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Harlow

Es war unglaublich, wie offen Romeo und ich miteinander umgingen und uns, als wären es nichtssagende Informationen, unsere vermutlich größten Geheimnisse anvertrauten. Der Abend machte mir Spaß und mit ihm wirkte alles so ungezwungen und leicht.

Dazu kamen die Kleinigkeiten, die mein Herz zum Hüpfen brachten. Als wir nach dem Essen aufstanden, welches natürlich Romeo gezahlt hatte, ohne mir auch nur die geringste Chance zu lassen, griff er wie selbstverständlich nach meiner Hand und ließ diese erst wieder los, als er mir die Beifahrertür seines Wagens öffnete.

„Ich glaube, ich platze jeden Moment." Meine Hände strichen über meinen Bauch und ich atmete laut aus. Ich hatte es zwar geschafft, mir eine richtige Hose anzuziehen, nachdem ich meine kleine Panikattacke überwunden hatte, trotzdem wäre es mir peinlich, wenn ich den obersten Knopf der Hose öffnen würde, nur damit ich mich nach unserem üppigen Abendessen wohler fühlen konnte.

Romeo lachte und startete seinen Wagen. „Das Erste, was ich zu Hause loswerde, ist meine Hose. Sollte ich etwas zu stark atmen, springt vermutlich der Knopf ab."

Ich musste laut lachen und gestand ihm, dass ich genau denselben Gedanken hatte. Während der Fahrt zurück zu meiner Wohnung sprachen wir noch immer über alles Mögliche, lachten viel und fanden eine Menge Gemeinsamkeiten. Ich hätte nie daran geglaubt, dass etwas diesen wunderbaren Abend mit den vielen kleinen perfekten Momenten ruinieren konnte. Zumindest bis wir in die Straße einbogen, in welcher ich wohnte.

Schon von Weitem konnte man die blinkenden Lichter der Polizeiwagen und eine Straßensperre erkennen, die jegliches Durchkommen unmöglich machte. Romeo verhielt sich vorbildlich und hielt mit dem Wagen nahe am Straßenrand, als einer der vielen Officer, die vor der Sperre standen, ihn mit Handzeichen dazu aufforderten und schaltete den Motor ab.

Ich war mir zwar darüber im Klaren, dass wir nichts getan hatten und demnach nichts zu befürchten brauchten. Dennoch machte sich ein unangenehmes Gefühl in meiner Bauchgegend bemerkbar und ich versteifte mich regelrecht, während mein Begleiter die Ruhe selbst war.

Romeo ließ das Fenster der Fahrerseite herunter und fragte er den Officer auch gleich, was vor sich ging und ob wir noch lange warten müssten.

„Da kommt so schnell keiner durch. In einem der Häuser gab es einen Zwischenfall und es dauert mit Sicherheit noch mehrere Stunden, bis wir die Straße freigeben."

Unsicher sah ich zu dem Gesetzeshüter. „Ich wohne in einem der Häuser. Kann ich wirklich nicht nach Hause?" Meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern und ich musste mich einige Male räuspern, um überhaupt einen Ton herauszubekommen.

Was dann geschah, kannte ich nur aus irgendwelchen Fernsehserien. Ich teilte dem Officer meine genaue Adresse mit, und er erklärte mir und Romeo, dass in genau diesem Haus eine Schießerei stattfand. Als die Officer und Sanitäter eintrafen, fanden Sie außerdem noch ein Drogenlabor. Scheinbar ging ein Deal schief, und es gab mehrere Verletzte sowie Tote.

„Sie können frühestens morgen Mittag in Ihre Wohnung. Vorher ist es leider nicht möglich und Sie können mir glauben, dass Sie nicht sehen wollen, was wir gesehen haben. Außerdem muss ich Sie bitten, sich für Fragen bereitzuhalten."

Romeo, plötzlich ganz der Anwalt, nahm eine Visitenkarte aus der Mittelkonsole und reichte sie dem Officer. „Jeglicher Kontakt mit meiner Mandantin findet über mich statt."

Beinahe kam Mitleid für den Officer in mir auf, der plötzlich wie ein kleiner Junge wirkte und nicht mehr so recht zu wissen schien, was er sagen sollte. Er nickte nur mit dem Kopf, trat von uns weg und machte eine Handbewegung, die Romeo als Aufforderung verstand zu fahren.

Er wendete den Wagen und nachdem wir die Straße, in der ich wohnte, hinter uns gelassen hatten, wurde mir erst so richtig bewusst, was eben eigentlich passiert war.

„Du bist nie wieder auch nur eine Nacht in diesem Haus verbringen. Sobald wir das okay bekommen, räumen wir deine ganzen Sachen aus dieser Wohnung." Er bemühte sich, ruhig zu sein und seine Stimme nicht zu erheben, doch Romeo war eindeutig aufgebracht und ich konnte ihn verstehen.

Mir ging es nicht anders, denn wer wollte schon freiwillig in einem solchen Umfeld leben? Doch etwas anderes hatte ich noch nicht gefunden. Ich hatte die Woche Zeit und war schon auf der Suche, aber entweder konnte ich es mir nicht leisten oder die Wohnung befand sich in einem ähnlichen Umfeld wie meine jetzige. Im Grunde war es einfach. Entweder zu teuer oder Ungeziefer als Untermieter.

„Ich habe aber nichts anderes, wo ich hinkann", sprach ich ruhig, flüsterte es beinahe und doch verstand er mich.

Romeo nickte und schien sich ebenfalls Gedanken zu machen. „Heute Abend kannst du bei mir bleiben", meinte er und setzte gleich hinterher, dass dieses Angebot natürlich ganz ohne Hintergedanken war. Maximes Zimmer war leer und ich konnte es diese Nacht nutzen.

„Dein Angebot weiß ich sehr zu schätzen, aber ich möchte dir nicht zur Last fallen. Du könntest mich auch einfach an einem Hotel absetzen."

Scheinbar beschloss er meine Bitte einfach zu ignorieren und fuhr an jedem Einzelnen der unzähligen Hotels vorbei. Ich wusste ganz genau, dass er nicht vorhatte, mich irgendwo abzusetzen und ich wollte nicht mit ihm darüber diskutieren.

„Dein Schweigen deute ich als eine Art Aufforderung, dir die Entscheidung zu überlassen", sprach ich, nachdem wir erneut an einer möglichen Unterkunft für die Nacht vorbeigefahren waren.

Beinahe belustigt schnaufte er auf. „Es klingt vielleicht überheblich, aber es ist mein Job, Entscheidungen zu treffen."

„Es klingt nicht nur vielleicht, sondern eindeutig überheblich. Doch mir bleibt wohl nichts anderes übrig" gab ich mich geschlagen. „Aber damit wir uns verstehen: Das heute ist eine Ausnahme. Morgen suche ich nach einem anderen Platz zum Schlafen."

Dass ich schnellstmöglich aus dieser Wohnung musste, war mir bewusst. Doch leider war es nicht so einfach, wie ich es gerne hätte, und ich würde ihn einfach anlügen und sagen, dass ich in einem Hotel übernachte.

Die restliche Fahrt verlief ruhig, die Stimmung hatte ich verändert und Romeo legte einen Zwischenstopp in einer großen Kaufhauskette ein, damit ich mich mit den nötigsten Dingen für die Nacht eindecken konnte. Mir entgingen dabei nicht die Blicke einiger Frauen, die ihn von oben bis unten musterten, während er neben mir lief und einen kleinen Korb trug, in den ich einfach alles reinwarf, was ich brauchte.

„Ist es eigentlich immer so?" Wir befanden uns auf dem Weg zu Kasse, als ich zu ihm aufsah und meiner Neugier nachgab. Er schien nicht so recht zu verstehen, was ich meinte und legte seine Stirn in Falten. „Ich meine die Blicke, die dir zugeworfen werden."

„Welche Blicke?" Er schien wirklich nicht zu verstehen, was ich meinte.

„Das ist ein Witz, oder?", fragte ich und wartete darauf, dass er verstand, was ich meinte. „Ich meine die Frauen, die dich ansehen, als wärst du ein Stück Fleisch. Du musst das doch mitbekommen?"

Endlich schien er zu verstehen. „Ach das" tat er schulterzuckend ab. „Ich ignoriere es einfach." Plötzlich legte er seinen linken Arm um meine Hüfte und zog mich näher an sich. „Es sei denn du siehst mich so an."

DedicationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt