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Harlow

„So sieht die momentane Lage aus. Ich könnte es verstehen, wenn du mich entlässt, hoffe aber, dass wir eine andere Lösung finden." Ich war dabei, Gibbs offiziell über alles aufzuklären, obwohl es vermutlich nicht einmal notwendig war, da Romeo ihn mit Sicherheit bereits in meine Entscheidung und die damit verbundenen Konsequenzen eingeweiht hatte.

Ich würde an der Studie teilnehmen und damit hoffentlich dazu beitragen, dass ein Medikament entwickelt wird, welches mir und anderen Menschen dabei helfen würde, mit dieser Krankheit zu leben. Seit dem letzten Schub spürte ich regelrecht, wie sich bei jedem noch so kleinen Anzeichen von Stress eine regelrechte Angst aufstaute, dass ich erneut aus den Ohren oder noch schlimmer aus den Augen bluten könnte.

Gibbs saß an seinem Schreibtisch und hörte mir aufmerksam zu. Wie seltsam es doch war, dass dieser Mann, von dem ich vor wenigen Monaten noch dachte, dass er nicht einmal dazu in der Lage war, eins und eins zusammenzuzählen, einen wirklich hervorragenden Geschäftssinn besaß und er in der gesamten Belegschaft überaus beliebt war.

Es war erstaunlich, wie er mit ein paar wenigen Veränderungen und waren diese noch so klein die Herzen seiner Angestellten gewann. Ob es neue Software war oder einfach Zimmerpflanzen, er traf damit den Nerv aller und die Begeisterung war riesig. Besonders als die einzelnen Abteilungen neue Kaffeemaschinen bekamen. Zum Spaß hatten einige Kollegen Fotos von ihm eingerahmt und darunter "Mitarbeiter des Monats" geschrieben. Über jeder Kaffeemaschine hing so ein Bild und während Mister Miller und vermutlich die Köpfe abgerissen hätte, nahm Gibbs es mit Humor und klopfte sich selbst auf die Schulter.

„Zuerst danke ich dir für deine Offenheit. Ich glaube, das ist ein Thema, welches man nicht gerne vor seinem Chef preisgibt und noch dazu mit ihm diskutiert. Aber ich kann dir versichern, dass ich nicht vorhabe, dich zu entlassen. Wir werden schon eine Möglichkeit finden und es ist ja, wenn ich es richtig verstanden habe, nicht von Dauer. Die paar Wochen, die du in dieser Klinik verbringst, werden wir schon irgendwie überbrücken. Vielleicht könntest du, wenn es dein Zustand zulässt, von dort aus arbeiten. Aber wie genau das machbar wäre, kann ich noch nicht sagen."

Gibbs verschränkte die Arme vor seiner Brust und schien nach einer Möglichkeit zu suchen. Privat verstanden wir uns super, was nicht zuletzt an Olivia lag. Doch das nahm keinen Einfluss auf unsere Arbeit. Diese Grenze hatten wir bereits früh für uns festgelegt. Das Erstaunliche an dieser Absprache jedoch war, dass ich selbst mit Jessie warm wurde. Es war nicht so, als konnte ich ihn überhaupt nicht leiden, aber beruflich funktionierten wir wie eine geölte Maschine. Privat hingegen schwiegen wir uns meist an, was aber auch daran lag, dass wir kein wirkliches Gesprächsthema hatten und auch sonst so verschieden waren wie Tag und Nacht.

„Ich könnte dich aber auch freistellen. Leider fällt damit ein Großteil deines Gehalts weg."

„Du musst nicht sofort eine Lösung haben", unterbrach ich ihn. „Noch haben wir ja etwas Zeit." Zwar lachte ich, aber jeder hätte erkennen können, dass mir die Situation zu schaffen machte und es nur ein kläglicher Versuch war, von meiner eigenen Unsicherheit abzulenken. Ich war mir zwar sicher, dass Romeo mich nicht verhungern lassen würde, aber das war wirklich die allerletzte meiner Optionen.

„Er wird sich mit Sicherheit sehr oft besuchen." Nun war Gibbs derjenige, der mich und meine Gedanken unterbrach.

Verwundert sah ich auf und wollte ihn fragen, woher er wusste, dass es Romeo war, an den ich dachte, als er mir zuvorkam.

„Du hast so ein verträumtes Lächeln, wenn es um ihn geht. Ich hab davon zwar keine Ahnung, aber Olivia hat es mir mal erklärt und seitdem weiß ich, worauf ich bei dir achten muss."

Vor einem Jahr hätte ich nie geglaubt, dass ich einmal einen fröhlichen Plausch mit meinem Chef halten würde. Dazu noch zum Teil über Dinge und Themen, die rein gar nichts mit meiner Arbeit zu tun hatten. Als wir dann noch auf Olivia und das Baby, welches in ihrem immer größer werdenden Bauch heranwuchs, zu sprechen kamen, gab es für Gibbs kein Halten mehr. Während seine Frau die Ruhe selbst war, schien er die Rolle des Helikopterelternteils für sich eingenommen zu haben.

Olivia beschwerte sich mehrmals bei mir darüber, dass nun täglich Handwerker damit beschäftigt waren, ihr zu Hause in eine Art Hochsicherheitstrakt für Babys zu verwandeln. Alles wurde auf welche Art auch immer erneuert und gesichert. Romeo lachte nur, als ich ihm davon erzählte und meinte zu mir, dass es ihn wunderte, dass Maxime noch am Leben war, denn er hatte scheinbar nie so einen Aufriss betrieben.

Ich selbst konnte nicht mehr als zuhören, denn von Babys hatte ich keine Ahnung. Mein Glück war es in Maxime, mittlerweile so etwas wie ein eigenes Kind gefunden zu haben, und er war in jeglicher Hinsicht perfekt. Romeo war das Beste, was mir passieren konnte, ich wusste, dass ich ihn liebte. Maxime jedoch nahm einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen ein und um nichts in der Welt würde ich ihn hergeben. Nicht einmal für seinen Vater, der sich des öfteren beschwerte, wenn Maxime nachts zum Kuscheln zu uns ins Bett kam und ihm damit die Möglichkeit nahm, auf eine andere, spezielle Art mit mir zu kuscheln, wie er es ausdrückte, sobald sein Sohn zwischen uns lag.

Doch er ließ ihn nachts bei uns bleiben. Maxime war dafür, dass er teilweise durchaus schlagfertig war, dennoch ein sensibles Kind, wenn man es so nennen konnte. Selten sprach er uns gegenüber Dinge an, die ihn störten. Er zog sich dann lieber immer in sein Zimmer zurück und redete mit seinem Kaninchen, wenn er dachte, dass wir nicht hinhören. Romeo hatte es mir verraten und wenn ich es nicht selbst gehört hätte, würde ich es mich immer nicht glauben. Es war nicht die feine Art, ein Kind zu belauschen, aber so konnten wir zumindest auf die Sachen eingehen.

Es kam nicht oft vor, dass wir direkt mitbekamen, wenn etwas mit ihm nicht stimmte. Aber wenn es passierte, dann war es nicht ohne. Einmal weinte er mitten in der Nacht. Als Romeo zu ihm ging und nachsah, was ihm fehlte, wurde uns bewusst, dass wir wohl zu laut waren. Maxime meinte unter Tränen, dass er mich schreien gehört hatte, unsere Tür aber abgeschlossen war und er sich Sorgen machte, mir wäre etwas passiert. Seitdem war die Tür nicht mehr abgeschlossen und wir weitaus vorsichtiger.

Zwar würde er bald in die Schule kommen, aber auf ein klärendes Gespräch darüber, was wir im Bett veranstalteten, konnte ich getrost verzichten. Romeo würde sich darum kümmern und das hoffentlich erst in vielen Jahren. Bis dahin erzählte Olivia ihm die verrücktesten Geschichten darüber, wie das Baby in ihren Bauch kam. Noch lustiger wurde es allerdings, wenn sie daran verzweifelte, ihm zu erklären, wie es dort herauskommen würde.

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