Harlow
Nach dem mehr als üppigen Abendessen, bei dem mir Romeo immer ein neues Stück Pizza auf meinen Teller legte, obwohl ich jedes Mal verneinte, lag ich vollgestopft auf dessen Sofa. An Bewegung war nicht zu denken und sollten er oder Maxime von mir verlangen, mich anders zu platzieren, würde ich mit Sicherheit platzen.
„Du bist zu dünn", war nur eine der vielen Aussagen, die mein Gastgeber tätigte, während er mir nachlegte. Maxime grinste mich nur an, wenn ich ihn Hilfe suchend ansah, und Romeo ignorierte meine Einwände gekonnt. Selbst als es darum ging, ihm beim Aufräumen zu helfen. Zutiefst dankbar dafür nicht in meinen kleinen Finger sehen zu müssen, lag ich alle viere von mir gestreckt auf dem Sofa und sah Maxim dabei zu, wie ein Film aussucht. Denn scheinbar war es bei den beiden auch Tradition, am Pizza-Abend noch einen Film zu sehen.
Ich fühlte mich in meine eigene Kindheit zurückversetzt, nur mit dem Unterschied, dass ich mich zwischen VHS Tapes entscheiden musste und Maxime die riesige Auswahl eines Streaming Anbieters zur Verfügung hatte.
„Ich verstehe nicht, warum du überhaupt suchst", meldete sich Romeo irgendwann zu Wort und gesellte sich zu uns. „Selbst Harlow wird bereits ahnen, welchen Film du aussuchst."
Er ließ die Fernbedienung sinken und drehte den Kopf in Richtung seines Vaters. Vermutlich hatte er vor, ihn böse anzuschauen, doch ich fand es einfach nur niedlich, wie er seine kleine Stirn in Falten legte. „Das stimmt nicht. Harlow darf aussuchen", meinte er ernst und gab mir die Fernbedienung.
„Wenn das so ist, gehe ich ein paar Decken holen."
Romeo ging an dem Sofa vorbei in ein der vielen Räume, die ich nicht kannte. Eigentlich kannte ich nur Wohnzimmer und Küche sowie Bad und das Kinderzimmer, in welchem ich den halben Tag verschlafen hatte.
„Welchen Film soll ich aussuchen?" Flüsternd beugte ich mich zu Maxime herunter, damit seinen Vater nicht mitbekam, dass ich selbstverständlich ihm die Entscheidung überließ.
Doch dieser zuckte nur mit den Schultern und schmollte wahrscheinlich wegen der Aussage seines Vaters. Ich befand mich in einer Zwickmühle, denn ich hatte das Bedürfnis, beide Männer zufriedenzustellen. Den Kleinen sowie den Großen und von daher muss ich eine Lösung finden. Zu meinem Glück lieb dich nicht hinterm Mond und hatte zumindest eine gewisse Ahnung von dem Franchise, das hinter den Superheldenfilmen steckte.
Als Romeo zurückkam, hatte ich einen Film gefunden und wie eine kleine Familie, die wir im Grunde genommen nicht waren, lagen wir gemeinsam auf dem Sofa und ich startete den Film.
Kaum startete der Vorspann, fand ich mich in einem Stimmengewirr wieder. Maxim, welcher rechts von mir lag, stieß kleine Jubelrufe aus, während Romeo mir ins Ohr flüsterte, ob das mein Ernst wäre. Dabei bereitete er die Decken über uns aus und schüttelte belustigt seinen Kopf.
„Gegen euch beide, habe ich scheinbar keine Chance", sprach er das Offensichtliche aus und ergab sich seinem Schicksal.
Ich konnte nicht anders, als zu lachen und ihm meinerseits zu erklären, dass das eindeutig nicht der Film war, mit dem er gerechnet hatte. Im Grunde hatte ich nichts anderes gemacht, als den Kompromiss zu finden, mit welchem ich zumindest mich und Maxime glücklich machen konnte.
„Vielleicht läuft hier auch mal etwas ohne Superhelden im Fernseher." Romeo tat zwar so, als würde er am Rande der Verzweiflung sein, doch das Lächeln, welches sich Sekundenbruchteile danach auf seinen Lippen zeigte, entlarvte seine Lüge.
Maxime wandte seinen Blick nur kurz vom Bildschirm ab und sah seinem Vater direkt ins Gesicht. „Vielleicht, wenn ich eine kleine Schwester bekomme. Bis dahin entscheide ich." Gleich danach sah er wieder auf den Fernseher und gab Romeo nicht einmal die Möglichkeit zu antworten.
Ich überlegte noch, ob ich die Frage, die sich wie ein Strudel in meinem Kopf zu wiederholen schien, aussprechen sollte, als mein Gastgeber mit zuvorkam.
„Da die letzte Frau, mit der ich intim war, Maximes Mutter war und ich diese bereits einige Jahre nicht mehr zu Gesicht bekommen habe, kann ich dir versichern, dass kein Geschwisterchen für ihn auf dem Weg ist", flüsterte er mir erneut ins Ohr und seine Aussage erleichterte mich irgendwie. Andererseits verstand ich nicht, wieso dieser Mann scheinbar keine Beziehung, welcher Art auch immer hatte. „Und ich bin nicht schwul, falls dir das durch den Kopf geht."
Die Belustigung in seiner Stimme konnte er kaum zurückhalten und mir wurde klar, dass er mein Gesicht wahrscheinlich wie ein offenes Buch lesen konnte. Dennoch war ich glücklich über den entspannten Umgang, denn wir miteinander pflegten. Vor einigen Wochen war daran noch gar nicht zu denken. Das jedoch lag scheinbar einzig und allein nur an mir, denn unsere erste Begegnung hatte sich noch immer fest in meinem Kopf gebrannt. Jetzt, wo ich neben ihm saß, war von dem Mann, der mir an jenem Abend solche Angst einjagte, nichts mehr zu spüren.
Nun war ich es, die sich nah an sein Ohr beugte. „Kannst du etwa nicht mehr?" Zwar hatte ich vor, ernst zu klingen, doch ich brachte die Worte nur unter leisem Lachen heraus. „Ab einem gewissen Alter lässt es bekanntlich ja nach."
Einen Augenblick wirkte er perplex, doch dann beugte er sich an mir vorbei und sah zu Maxime. „Er bekommt jetzt eh nichts mehr mit. Wenn du willst, beweise ich dir, wie gut noch alles funktioniert."
Mir stand der Mund offen und ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. In meinem Kopf herrschte Leere, während mein dummes Herz wie wild schlug.
„Du solltest dein Gesicht sehen." Romeo lachte und brachte wieder Abstand zwischen uns. „Mach dir keine Sorgen. Ich habe nicht vor, dich wie ein Urmensch in meine Höhle zu ziehen."
Natürlich machte er sich einen Spaß daraus. Warum sollte er Interesse an jemanden wie mir haben? Bisher machte ich Romeos nicht gerade einfacher. Es war eher das Gegenteil, was er erst heute unter Beweis gestellt hatte, und doch ließ er sich nicht anmerken, welche Belastung ich für ihn war. Ich hatte Mühe, meine Enttäuschung zu verbergen und beschloss, mich auf den Film zu konzentrieren, um ihm keinen Anhaltspunkt zu geben, der auf meine verletzten Gefühle hinweisen könnte.
Meinen Blick stur nach vorne gerichtet, versuchte ich den Mann links von mir zu ignorieren und war dementsprechend erschrocken, als ich seinen Atem an meinem Ohr spürte.
„Ich würde dich gerne einmal zu essen einladen. Nur du und ich."
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Dedication
RomanceHarlow scheint die perfekte Definition für eine einfache und normale Frau zu sein. Sie lebt ihr Leben ohne größere Vorkommnisse und sitzt täglich, trotz jeglicher Widerstände, lächelnd an ihrem Schreibtisch. Das ändert sich jedoch, als sie nachts et...