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Romeo

„Hey, kleiner Mann. Wie war dein Wochenende?" Gibbs beugte sich nach unten, um Maxime von dessen Füßen zu heben, nur um ihn daraufhin wild durch die Luft zu wirbeln. Die Mutter meines Sohnes hätte bei diesem Anblick vermutlich eine Herzattacke erlitten, aber das lag weniger daran, dass sie sich um Maxime sorgte, sondern vielmehr an dem muskelbepackten und tätowierten Mann. Gibbs Anblick entsprach nicht dem Standard, den sie von Männern erwartete.

Mein Sohn hatte eindeutig Spaß daran umhergewirbelt zu werden und kicherte, bis die beiden irgendwann zum Stillstand kamen. „Wir waren im Zoo und haben die Löwen angeguckt. Die waren so riesig und der eine hat sein Maul so weit geöffnet und ganz laut gebrüllt." Mit seinen Händen demonstrierte er, wie sich besagtes Tier verhielt und Gibbs hörte deiner euphorischen Erzählung aufmerksam zu. „Aber Dad will mir keinen kaufen", meinte Maxime dann weniger begeistert und ließ sich von Gibbs zurück auf den Boden stellen.

„Man sollte auch keinen Löwen zu Hause haben. Die fressen viel zu viel und wenn du einmal vergisst, ihn zu füttern, wird er vielleicht wütend und versucht ein Stück aus dir herauszubeißen." Mit seinen Händen griff er nach Maxime und gab Geräusche von sich, die scheinbar das Gebrüll eines Löwen imitieren sollten.

„Nein, Papa! Er will mich fressen!" Mein Sohn flüchtete in meine Richtung und versteckte sich hinter mir. „Hat er Tante O auch gefressen? Letztens hat er auch so Geräusche gemacht."

Ich konnte nicht an mich halten und lachte aus vollem Herzen, während Gibbs aussah, als würde ein Bus auf ihn zurasen und er hätte keine Zeit mehr, um auszuweichen.

„Was hast du gesagt?" Sämtliche Farbe wich aus seinem Gesicht und entsetzt sah er zuerst Maxime und dann mich an. „Wir dachten, du schläfst schon."

Maxime war sich der Schwere seiner Aussage nicht bewusst und erzählte munter drauf weiter, dass er die Geräusche erst letztens gehört hatte und vermutete, dass Olivia und er ohne ihn spielten. Dann folgte eine Standpauke, eben weil sie scheinbar ohne ihn spielten und er jetzt nicht mehr zu Besuch kommen wollte.

Gibbs hockte sich hin, um auf Augenhöhe mit dem Jüngsten zu sein. „Es war ein besonderer Tag für Olivia und mich. Deshalb wollten wir etwas Zeit gemeinsam verbringen", begann er seine Erklärung. „Aber ich verspreche dir, dass das nicht noch mal vorkommen wird. Wenn du bei uns bist, solltest du der wichtigste Mensch für uns sein. Wenn du nicht mehr zu Besuch kommst, wird deine Tante O bestimmt ganz traurig und ich möchte nicht, dass sie traurig ist."

„Sie soll nicht traurig sein. Ich hab sie lieb." Maxime zog an meinem Hosenbein und sah zu mir hoch. „Darf ich sie anrufen und ihr sagen, dass ich sie lieb habe?"

„Natürlich."

Als hätte er auf meine Zustimmung nur aus Höflichkeit abgewartet, lief er an mir vorbei auf den Schreibtisch zu, der eigentlich Gibbs Arbeitsbereich war. Dann setzte er sich auf den Stuhl und zog das Telefon an sich heran, welches er eine Weile anstarrte. „Ich weiß nicht, was ich drücken muss."

„Komm. Ich helfe dir." Ich gab ihm den Hörer und wählte ihre Nummer, die ich auswendig kannte. „Ich rede so lange mit Gibbs, also lass dir Zeit."

Das folgende Gespräch verlief ruhig. Wir flüsterten beinahe, damit mein Sohn auch wirklich nichts mitbekam. Dennoch musste ich etwas klarstellen und es konnte nicht länger warten. „Ich kann dir und Olivia nichts vorschreiben. Ohne euch wüsste ich manchmal nicht, was ich mit Maxime machen sollte. Darum bin ich euch beiden auch über aus dankbar, aber bitte habt keinen Sex mehr im Beisein meines Sohnes. Du kannst dir nicht vorstellen, wie anstrengend es war ihm zu erklären, was in eurem Schlafzimmer vor sich ging, ohne ihm zu erklären, was wirklich vor sich ging."

Gibbs entschuldigte sich immer wieder und versprach, dass es nicht noch einmal vorkommen würde. Ich zweifelte nicht an der Aufrichtigkeit seiner Worte und war mir sicher, dass es eine einmalige Sache war. Während Maxime mit Olivia telefonierte und ich meinen Standpunkt klargemacht hatte, sprachen wir über Jessie. Er fühlte sich scheinbar doch sehr wohl besonders nachdem er mitbekommen hatte, wie viele gut aussehende Frauen hier beschäftigt waren.

„Ich habe ein Auge auf ihn", versprach mein Gegenüber. „Er wird die Finger von Harlow lassen. Nicht weil ich es ihm sage, sondern weil er Angst vor ihr hat."

Bei der Erwähnung ihres Namens macht mein Herz einen kurzen Hüpfer. Was eigentlich totaler Blödsinn war, immerhin begegnete ich ihr erst wenige Male und im Grunde verlief keine dieser Begegnung wirklich friedlich. Es war immer irgendeine Art von Drama damit verbunden. Dennoch wäre es gelogen gewesen, wenn ich behauptet hätte, ich würde sie nicht gerne wieder sehen. Ich ertappte mich selbst dabei, wie ich immer wieder nach Gründen suchte, um so oft wie möglich in diese Firma zu kommen, nur in der Hoffnung, diese Frau noch einmal zu sehen.

Dabei sollte ich zu den Männern gehören, die sich möglichst weit von Frauen entfernt hielten. Maxims Mutter hatte mir über aus deutlich gemacht, dass es nicht nur liebenswürdige Damen auf diesem Planeten gab.

Ich beschloss, nicht weiter auf seine Aussage einzugehen. Von mir aus konnte er denken, was er wollte. Vorerst würde ich mich nur auf mich und meinen Sohn konzentrieren, während ich mir vornahm, Harlow aus weiter Ferne im Auge zu behalten.

„Ich bin fertig." Maxime legte den Hörer auf und schob das Telefon von sich weg. „Darf ich jetzt zu Harlow?"

Überrascht sah ich ihn an. Ich wusste bereits, dass er einen Narren an ihr gefressen hatte, nicht jedoch, dass dieser so groß war. „Sie muss noch arbeiten", versuchte ich ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. „Wenn du sie dabei störst, bekommt sie Ärger."

Er blickte an mir vorbei zu Gibbs und runzelte seine kleine Stirn. „Machst du ärger?" Die Ernsthaftigkeit in seiner Stimme sorgte bei uns beiden für Erstaunen. „Sie ist meine Freundin."

Abwehrend hab Gibbs die Hände. „Niemals würde ich so was machen."

Die Bürotür wurde aufgerissen und Jessie betrat den Raum. „Da bin ich", rief er laut und schlug die Tür hinter sich zu. „Es ist heute so anstrengend. Ständig kommt jemand und will etwas von mir." Geräuschvoll ließ er sich auf einen der Sessel fallen und streckte seine Füße aus. Entweder bemerkte er es nicht oder er ignorierte einfach, dass er uns unterbrochen hatte. „Das Büro im fünften Stock möchte einen neuen Kopierer und scheinbar braucht jeder Computer eine neue Software. Der Hauptserver ist an seiner Belastungsgrenze und einer der Techniker will einen neuen. Der kleine Drache hat sich für nächste Woche abgemeldet. Scheinbar will sie irgendwo hin."

„Ihr habt hier einen Drachen und ich darf keinen Löwen haben?" Ungläubig sah Maxime uns abwechselnd an. „Ich will auch einen Drachen."

„Hey Maxi. Wie geht es dir, Kumpel?" Schlagartig setzte Jessie sich aufrecht hin, dennoch schien der Kleine das Thema nicht ändern zu wollen.

„Mein Name ist Maxime und ich will auch einen Drachen."

DedicationWo Geschichten leben. Entdecke jetzt