Freundschaft

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Unbewusst begann Karlotta noch einmal leise zu seufzen, als sie durch den großen, klimatisierten, teilweise licht gedämpften und schmalen Gang entlang wanderte. Ob dieser Tag im  Bloomsburry Lane wirklich ein schöner Tag mit Dave werden würde ? Unsicher blieb Karlotta bei dieser selbst gestellten Frage stehen und schaute auf die linksseitige Wand, statt kahle und  weiße Wände, zierten auf diesen 10 Meter breiten Flur, drei riesige illusionäre Wasserfälle, welche jeweils in drei Felsenstufen, versetzt hinab in die Tiefe stürzten und in einem kleinen türkisblauen See mündeten. Dank der  batteriebetriebenen Effekte, erstrahlten die glasklaren Wasserfälle mit ihren weißen Dampfwolken über den See und schienen   sich tonlos aus der vier Meter hohen Wand zu bewegen. Auch hierbei musste Karlotta erneut den Mund aufklappen. Wer konnte sich solch ein riesiges und bewegendes Motiv, wenn er nicht gerade wie Lillia und Wilbur reich war, schon leisten ? Voller Begeisterung glitten ihre Augen noch einmal über dieses Wasserfall Motiv, an dessen beider Ränder riesige und graue Findlinge mit dazwischen wachsenden und hellgrünen Farnen aufgemalt waren und beinahe wie echt skizziert  waren. Ein Naturmotiv, das Karlotta daran erinnerte, dass es noch ein deutlich anderes Leben als nur das, der überfüllten Großstadt gab. Wehmütig wendete sie ihren Blick von diesem Bild ab. Ob vielleicht Dave auch nicht immer nur die Großstadt sehen wollte und vielleicht wie sie in die abgelegene Kleinstadt gezogen ist ? Vehement begann sie mit den Kopf zu schütteln. Das war bestimmt Blödsinn. Wieso sollte er auch schon mit ihr im selben Wohnkomplex eingezogen sein ?  Er hatte bestimmt nur Jemanden dort besucht. Nachdem Karlotta noch einmal laut und besonders tief geseufzt hatte, erschien Lillia mit ihrem blass braunen Haaren aus einem der offenen Türrahmen am Ende des Ganges.
,,Karlotta komm doch jetzt endlich Mal. Der Kaffee wird kalt !", quengelte sie fast schreiend, was die rot blondhaarige Dame leicht zum Schmunzeln brachte.
Lillia war und blieb halt eine herzliche Person, die halt gerne für Speis und Trank sorgte und die es überhaupt nicht mochte, wenn man zu Spät kam. Als Karlotta schließlich mit einigen gehörigen Schritten endlich in der Küche angekommen war, saßen bereits Lillia, Anastasia und Martha am langgezogenen Bar-tisch, auf ihren Barhockern und nippten allmählich an ihren taubenblauen Teetassen mit dem goldfarbenen Rand. Karlotta ließ noch einmal einen Blick auf die Küche fallen, die trotz des gigantischen Hauses ziemlich klein war. Eine alufarbene Spüle mit Abtropfstation aus blauem Kunststoff, daneben ein weißer Herd mit schwarzen Keramikplatten, auf der anderen Seite eine helle und hölzerne Anbau Anrichte mit vielen Schubladen und Türen und elegant geschwungenen Griffen, daneben ein kleines Regal in derselben Farbe auf welchem ein rot/weiß kariertes Tischtuch lag, auf dem eine polierte Metall-rote Kaffeemaschine, ein weißer Toaster mit metallischem Gestell und ein weißer Wasserkocher standen, während in den Fächern allerlei Teesorten und Soßen,  fein sortiert, ihren Platz hatten, während links neben der Anbau Anrichte der ebenso weiße Kühlschrank seinen Platz hatte.
,, Kari nun setz dich doch bitte endlich hin ! Du machst mich wirklich sehr nervös !", herrschte Lillia sie an, während sie bei ihren Worten zappelnd ihre Tasse auf die ebenso gleichfarbige Untertasse stellte. Belustigend begann daraufhin Karlotta zu lächeln und hob charmant eine Augenbraue, als sie bei ihren Worten auf sie geschaut hatte.
,,Ach mach ich das ?!"
Anastasia, die genau neben ihrer Schwester Platz genommen hatte, begann daraufhin vergnügt zu kichern, während Lillia es aber gekonnt ignorierte und Karlotta eine aus Spaß genervte Antwort gab.
,,Ja ! Bitte setz dich Kari. Das ist so Stress pur."
,,Ich glaube ja eher, dich regt etwas anderes auf und versetzt dich in Stress.", entgegnete Karlotta, die sich in der lichtdurchfluteten Küche ihr Gegenüber und neben Martha gesetzt hatte, die bei diesem Gespräch ihre contenance bewahrt und stillschweigend in ihren Kaffee gestarrt hatte.
Lillia zog hingegen nur eine Augenbraue hoch und stützte ihren linken Ellenbogen an der Tischkante ab.
,,Was willst du mir denn damit sagen ?"
,,Denk nicht so viel an deinem großen Tag. Es wird alles schon gut gehen. Da bin ich mir sicher."
Diese Worte lösten in Lillia den wahren puren Stress aus.
,,Aber die Torte ! Die Blumen, die Dekoration !", schrie sie nun leicht aufgebracht und war wie vom Blitz getroffen aufgesprungen, wobei Anastasia sie nur fassungslos und leicht besorgt anschauen konnte und auch Martha begann sie ebenso mitfühlend anzustarren. Sie war wie ein zerrüttetes Wrack ! Karlotta schluckte tonlos auf. Sie wusste zwar das Anastasia schon gemeint hätte, sie würde sich ja überfordert fühlen aber das war wirklich schon untertrieben !
,,Ich hab schon von Daves Mitarbeiter gehört, das die Blumen in voller Anzahl in der gemieteten Halle eintreffen. Darüber brauchst du keine Sorgen haben."
,,Und die Dekoration ?!", fragte sie völlig verzweifelt, wobei sie ihre flachen Hände sogleich auf den Tisch abstützte.
Bei diesen Worten begann Anastasia leicht zu lächeln, hob ihren schwarzen Rucksack vom Boden auf, öffnete den Reißverschluss und präsentierte eine Rolle Luftschlangen.
,,Tada Schwesterherz, für Dekoration ist gesorgt hab an die 10 solcher Rollen nach der Schule besorgt."
Wie entgeistert schaute Lillia mit entsetzt großen und grünen Augen auf ihre kleine Schwester.
,,Ist das dein Ernst ? Das reicht doch niemals für so eine große Halle !!! Meine Hochzeit wird ein Desaster werden !!!", schrie Lillia schließlich auf und verließ Tränen überstürzt und heulend die Küche.
Karlotta schaute erst Lillia von ihrem Sitzplatz traurig hinterher und warf dann auch Anastasia einen Blick zu, allerdings eher einen bösartigen, wobei die Jugendliche mit dem geflochtenen Zopf nur unwirsch mit den Schultern zuckte. Es war halt ein mieses Timing gewesen ! Ohne noch ein Wort zu sagen, stand Karlotta wieder auf, verließ wieder  die Küche. Während Lillias heulende und weinende Stimme, aus dem verschlossenen Nebenzimmer schräg gegenüber erklang. Karlotta wollte schon anklopfen, als plötzlich ein großer Mann in diesem sperrigen Licht-durchsetzten  Flur einen Schatten auf sie warf.
Stammelnd und unschlüssig blickte Karlotta auf und schluckte leicht erregt, als sie Dave mit einem beruhigenden Lächeln auf sie sah. Der Geruch nach Pfefferminze gab ihr eine gefühlte Sicherheit, die sie selbst kaum beschreiben mochte.
,,Ich mach das schon Kari. Verlass dich ganz auf mich."
Auf ihn verlassen ??? Bei diesen zarten und ruhigen  Worten wäre sie am liebsten zusammen gezuckt. Ob er…solche Worte vielleicht auch…Doch Karlotta wollte nicht schon wieder über ein Bett Abenteuer mit ihm nachdenken. Es war weder die passende Zeit, noch der passende Ort dafür. Lillia brauchte ihre Unterstützung ! Aber sie wusste auch, das sie mit ihrer Hochzeitsplanung wenig zu tun hatte. Es lag an Dave und sein Team Lillias Tag zu einem besonderen werden zu lassen. Und womöglich konnte deshalb nur er sie richtig trösten. Nach einem kurzen Zögern willigte Karlotta schließlich ein, während Dave vorsichtig an die nussbraunfarbige Tür klopfte.
,,Miss Lillia Redfort ? Hier ist Davis Flanell. Dürfte ich mit Ihnen reden ? Es geht um ihre Hochzeitsfeier !"
Plötzlich verstummte Lillias Weinen  und nach gefühlten zwei Minuten öffnete sich sogar die Tür. Leicht zögernd bat sie Davis mit schwacher Stimme herein und  schloss sie sogleich wieder. Mit einem leicht beruhigendem Seufzer in ihrem Herzen bei dem Karlotta nun  Daves ruhige und Sachverhaltende Stimme vernehmen konnte, spazierte Karlotta in die Küche zurück. 2 erwartungsvolle Augenpaare sahen sie wie aufgeschreckte Mäuse an.
,,Kari, es tut mir leid…ich hab einfach wahrscheinlich schon zu sehr überreagiert. Ich dachte dieser eine Scherz würde Lillias Grenze nicht überschreiten aber…"
,,Es ist nun Mal geschehen Anastasia. Ich hoffe jedenfalls, dass Dave das mit ihr wieder zurecht biegen kann."
,, Sagmal was ist das zwischen dir und diesen Davis Flanell eigentlich ?"
Völlig überrascht schaute Karlotta die nun fragende Anastasia an.
,,Er ist…ein guter Mensch."
Auf Anastasias Gesicht legte sich ein schiefes Lächeln.
,,Ach komm schon, da muss doch mehr sein. Gut ich geb ja zu, das ich bislang nie eine Liebe hatte, aber hallo ich bin 16 ! Ich weiß sehr wohl was da abläuft. Bestimmt bist du ganz schön heiß auf ihn. Bei der Reaktion da draußen…Ja ich geb ja zu als du so erneut raus gestürmt bist in Lillias Klamotten hab ich mich auch im ersten Moment gefragt was mit dir los ist, aber wenn ich so an die eine Liebesgeschichte von "50 Schades of Grey" von "E.L. James" denke…"
,,Also jetzt Mal nen Punkt Anastasia ! Ich bin doch keine schüchterne Miss Steele, die sich in einen reichen Unternehmer und Millionär verliebt !"
In diesem Augenblick begann aus Anastasias schiefen Lächeln ein Grinsen zu werden.
,,Du hast den Film also auch gesehen."
Ungehalten warf Karlotta ihr einen Blick zu.
,,Trink lieber deinen Kaffee, ehe er kalt wird !"
,,Schon gut, war nicht böse gemeint.", säuselte Anastasia kleinlaut vor sich hin, packte die Luftschlangen zurück in ihren Rucksack, stellte ihn auf den Boden und nahm erneut einen Schluck, wobei Karlotta erneut genervt seufzte, ehe sie wieder sehnsuchtsvoll zum Flur schaute. Hoffentlich würde sich Lillia wieder fangen. Eine depressive Freundin auf deren eigene Hochzeit wäre sehr betrübniserregend bestimmt erst Recht für Wilbur. Indessen hatte Martha auch an ihre letzte Beziehung gedacht beziehungsweise an ihrer damaligen Arbeit als Prostituierte hier in London. Wie oft hatte sie ihren Körper jeglichen Alters und jeglichen Geschlechts zur Verfügung gestellt ?! Das sie nun ihrer alten Vergangenheit entfliehen konnte…ja sogar eine neue Existenz bekam…das verdankte sie einem ganz speziellen Kunden…Dürfte davon eigentlich jemals irgendetwas ans Licht kommen ? Jetzt da sie hier ein neues Leben fast  geschenkt bekommen hatte ? Leicht verstört biss sich Martha auf ihre geschundene Lippe. Die Antwort war ein klares Nein und dennoch…dennoch wollte sie Karlotta und allen anderen hier bei stehen.
,, Die Liebe ist meist kompliziert."
Auf diese von ihr unvorhergesehenen Worte, starrte Karlotta sie fragend an.
,,Was meinen Sie damit ?"
,,Nun ja nicht nur das Leben kann kompliziert sein, sondern auch die Liebe."
,,Also ich hab davon wenig Ahnung mit meinen 16 Jahren. Ich verschwinde jetzt Mal in mein Gästezimmer und lese mein Comicbuch weiter.", meinte Anastasia nun leicht genervt. Gesagt getan und keine drei Minuten später war sie samt Tasche aus dem Raum verschwunden.
,,Diese Jugendlichen heutzutage…wollen immer mit dem Kopf durch die Wand. Doch das kann manchmal auch schwerwiegende Folgen haben."
,,Du scheinst dich dadrin gut auszukennen Martha.", entgegnete Karlotta, die sich nun stattdessen wieder neben sie gesetzt hatte.
,,Ich ? Ja…leider zu gut Miss Belling. Aber wie sagt man so schön…manchmal bekommt man im Leben auch eine 2. Chance und diese hier Miss Belling…ist meine. Und ich bin dankbar das es solche Menschen wie Lillia Redfort und Mr. Wilbur Well überhaupt gibt."
Anerkennend nickte Karlotta, goss sich ihre Tasse Kaffee ein und nahm einen Schluck, wobei der duftende  Apfelstrudel noch immer unberührt in der Mitte des hellen Bar-tisches stand und nun ihr aromatisch in die Nase zog.
Solch eine Gastfreundschaft gab es nur bei Lillia und sie hoffte zutiefst, das es ihrer Freundin bald wieder besser ging. Ihre ganze Hoffnung beruhte auf Davis Flanell…

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