Showdown im Krankenhaus

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Eine weitere gefühlte und bis dato schweigende Ewigkeit, hielt das Taxi mit den Insassen Dave und Sam am St. Mary Hospital an. Keine Sekunde später war auch schon Sam aus der Rückbank ausgestiegen und rannte die vielen Treppenstufen wie ein Wirbelwind hinauf, wobei seine blonden und kurzen Haare ein wenig im Wind hin und her wedelten. Zum einen wollte der blonde Schönling seine Anspannung loswerden und zum anderen sehen wie es Mikel ging.  Dave hatte hingegen mit einem weiteren tiefen Seufzer das Gefährt verlassen und schaute noch einmal auf das Backsteingebäude und besonders auf das Namensschild vor sich, das in großen und goldenen Buchstaben angebracht war.
,,Imposantes Gebäude. Dennoch nicht leicht einen Freund, Freundin oder halt eigene Mutter zu verlieren.", erklärte der Taxifahrer, der ebenfalls noch einmal einen Blick auf das Haus schweifen ließ. Mit großen Augen schaute Dave erneut auf den fremden Fahrer.
,,Sie haben Ihre Mutter verloren ?!"
Und der Fahrer nickte, wozu er noch einmal seine Mütze richtete.
,,Ja, letztes Jahr. Sie musste…hatte mit Herzprobleme. Leider...sie starb im Sommer. Also dann Bye mein Friend !"
Der Mann wollte gerade den Motor erneut starten, als Dave sich komplett zu ihm wandte.
,,Aber das Geld !"
Doch der Mann wunk läppisch ab.
,,Ich wohnen in selbe Stadt wie Miss Belling. Miss ist gute Frau, kennt mein Chef hier in London. Sie beim Anruf versprochen morgen Geld aufs Konto zu buchen. Alles gut. Schönen Tag noch Mr.", meinte der Fahrer und setzte sein Vorhaben in die Tat um, und während er davon fuhr, sah ihn Dave schweigend, aber mit einer skeptischen Augenbraue hinterher.
Seit wann kannte denn Karlotta den Chef der Taxifirma ? Fuhr sie denn nicht immer mit dem Zug nach London ?! Innerlich begann Dave mit dem Kopf zu schütteln. Nun ja eigentlich war dies noch das geringste Problem, denn nun…nun stand noch eine viel schwere Mutprobe vor ihm und Sam. Was wohl gerade im Inneren des Gebäudes los war ? Daves Körper fühlte sich bei der Frage wie eine Steinfigur an. Schwer und voller Anspannung. Nur mühsam konnte er sich komplett dem Haus zu wenden. Und er kam sich vor, als würde gerade David gegen Goliath kämpfen. Er als kleiner Mensch im Kampf gegen die Zeit in einem riesigen Gebäude. Doch in seinem Inneren hallte einfach der Wunsch Mikel zu helfen, auch wenn Sam es vielleicht nicht gerne sehen mochte, was ihm zusätzlich ein mulmiges Gefühl im Magen bescherte, als hätte er etwas Schlechtes gegessen.
Langsam und mit Bedacht stieg nun auch er in das Klinikum, während Sam wie ein aufgescheuchtes Huhn zur Rezeption lief und mit einem lauten Keuchen, die diensthabende Schwester derart erschreckte, das sie fast ihre Unterlagen auf dem Sitzplatz fallen ließ.
Terencino…Mikel Terencino, wo ist er ? Ich muss ihn sehen !"
Mit geweiteten und dunkelgrünen Augen sah sie den Besucher aufmerksam an. Als ob er ein seltsamer Vogel aus dem Zoo entstammen mochte.
,,Bitte…ich bitte Sie, Schwester…Auf welchem Zimmer liegt Mikel Terencino!"
Doch statt einer Antwort, starrte die anscheinend noch junge Schwester weiter auf Sam, der ein genervtes Seufzen nicht unterdrücken konnte. Er wollte gerade einer seiner Hände zu einer Faust ballen und auf dem Tisch klopfen, um sie aus ihrer Starre zu befreien, da konnte Mikel eine vertraute Stimme vernehmen. Eine Stimme, die bereits herzzerreißend schluchzte. Im Nu durchfuhr es Sams Körper als hätte er soeben einen Blitzschlag erhalten. War sie etwa ? Wie mechanisch und beinahe magisch von der Stimme angezogen, folgte er dem Klang dieser Stimme. Indessen konnte Sam nebenbei, wenn auch leise, im Hintergrund die Musik aus den Lautsprechern des Flures vernehmen. Eindeutig Smash Into Pieces mit ,,Real One".

Irgendwie hatte Sam immer mehr das Gefühl, eine Leere in seinem Herzen zu spüren. Ein leichter Schweißfilm bildete sich auf seiner Haut. >>Bitte…bitte nicht ! Bitte lass ihn noch am Leben sein !<<, flehte Sam innerlich, je näher er dem immer lauter werden Schniefen und Weinen näher kam. Und kurz darauf, konnte er das Unheil sehen, das ihm einen Kloß in seinen Hals auftat. Mitten im Aufenthaltsraum, im Stil der 60 er Jahre, stand eine korpulente Frau in einem knallpinken Filzmanzel, mit eben denselben Kreuzhochhakigen Schuhen und vielerlei diverser Schminke von Lippenstift bis Rouge im Gesicht  mit einer ebenso pinken Umhängetasche herum. Einzig ihre braunen Dauerwellenlocken, ließen Normalität erkennen. Sam erkannte sofort, um wen es sich hier handelte.
,,Raffaela.", flüsterte der blonde MacGyver leicht ehrfürchtig, der nicht einmal 10 Meter von ihr entfernt stand. Indessen schien das  letzte verblichene Sonnenlicht des Tages,  durch die riesigen verglasten Fenster und warfen vermehrt Schatten, Silhouetten von den Möbelstücken und Raffaelas Gestalt auf den dünnen und grau farbigen Teppich. Doch die Frau weinte weiter, hatte Sam bis dato nicht wahrgenommen und Sam hingegen sog noch einmal still und leise, aber dafür umso kräftiger Luft in seine Lungen. Was sollte er ihr nur sagen ? Aber anderseits…er musste einfach wissen, wie Mikels momentaner Zustand war. Nur zu wissen daß er im Koma lag, reichte ihn nicht ! Mutig atmete er noch einmal aus und spazierte auf Raffaela zu.
,,Raffaela !"
Mit einem kurz darauf  jämmerlichen Ton und unbeholfenen Versuchen, mit ihren Händen verzweifelt die Tränen aus den Augen zu wischen, schaute sie auf den Mann vor sich, der nun ihr gegenüber stand.
,,S…Sam !", rief sie mit bröckelnder Stimme und zog ihn sogleich in eine schwere Umarmung.
,,Ich bin so froh, dass du hier bist. Es…es steht…es steht…"
Immer wieder brach bei dem Satz ihre Stimme ab und Sam begann zärtlich ihre Umarmung zu erwidern. Es fühlte sich zwar so falsch an, wenn er an die vielen privaten Sexmomente in ihrer Wohnung mit Mikel dachte, aber er spürte trotz dessen, dass der momentane Halt, den er ihr gerade gab. Gut tat. Sie entspannte sich, hörte auf laut zu schluchzen. Ja, Raffaela wollte schon immer tapfer wirken und nicht so schwach wie eine kleine Modeprinzessin, die sie doch letztendlich war. Wie oft hatte Sam sie aufgetakelt mit Schminke im Gesicht oder mit ihrer Fingernägel Lackierung bei seinen Besuchen erwischt ?  Und auch ihre Kleidung entsprach völlig dem bekannter Modelabels. Unzählige Male hatte auch Mikel davon berichtet, auch zu seinem Leidwesen, weil er ihre täglichen Schicki Micki Sachen an ihr nicht mochte.  Ein Trend, den sie aber erst nach dem College-Abschluss in ihre gemeinsame Wohnung eingeführt hatte.
Doch trotz der Ruhe, die Sam gerade versuchte auszustrahlen, war sein gesamter Körper unter Anspannung. Er wollte wissen was mit seinem Freund los war ! So unauffällig wie möglich begann er Raffaelas Rücken ein paar Mal mit seinen Händen zu streicheln, ehe er sich aus ihrer Umklammerung löste und sie direkt und hochkonzentriert in die Augen sah.
,, Raffaela, wie geht es ihm ?"
Unschlüssigkeit und Angst standen in ihren verwaschenen blassblauen Augen, die vor Feuchtigkeit noch glänzten. Doch noch bevor sie überhaupt ein Wort über ihre Lippen bringen konnte, erschien Dave in ihrem Sichtfeld.
Ein leichter Seufzer fiel über ihre Lippen, woraufhin Sam sie nur merkwürdig ansah und sich dann überrascht umdrehte.
Erst als er Dave erneut am Rande stehen sah, verfinsterte sich sogleich sein Blick.
Er hatte es tatsächlich gewagt, hier rein zu gehen.
Leicht unbeholfenen ließ sie Sam stehen und taumelte zu Dave, der sie nur noch behutsam ebenfalls in den Arm nahm. Erneut durchzogen weitere Schluchzer ihr Denken und Handeln und Dave hielt sie einfach nur fest. Legte behutsam seinen Kopf auf ihrer Schulter ab und wog sie wie eine  Schaukel hin und her. Immer mehr stieg Wut derweil in Sam auf.
>>Gab es hier eigentlich nur Verräter ?!<<
Diese Frage stellte er sich innerlich bei diesem Bild. Aber andererseits…es konnte ihm auch egal sein. Er musste nur wissen, wo Mikel lag ! Mit schnellen Schritten lief er auf die beiden zu und trennte mit einer gekonnten Armschranke die Beiden. Völlig perplex sah Raffaela auf Sam, der jedoch ziemlich aufgebracht aussah, während Dave ihn ebenso ungehaltenen musterte
,,Raffaela, jetzt sag endlich, wo Mikel liegt!"
,,Er…er ..er ist noch auf der Intensivstation. Auf der dritten Etage."
Sam sog noch einmal tief Luft ein und atmete hörbar  wieder aus, bevor er ihr nur stumm zu nickte, er ihr für eine halbe Sekunde seine Hand auf die Schulter gelegt hatte und nun wieder los stürmte.  Wie sich Dave gerade fühlte, interessierte ihn nicht mehr, Hauptsache er wusste, wie es Mikel, seinem Liebling, ging.
Indessen sah Raffaela Dave in seine vertrauensvollen, haselnussbraunen Augen, die jedoch die reine Betrübnis widerspiegelten.
,,Dave ich…"
Langsam glitt Daves reumütiger Blick auf den Boden.
,,Ist schon ok. Du musst dich nicht quälen, es mir zu sagen, Raffaela. Ich war bei diesem Horror Unfall dabei. Und es fühlt sich wirklich ziemlich merkwürdig an. Erst eine Amnesie zu haben und sich dann wieder Stück für Stück an alles zu erinnern. In gewisser Weise war ich auch mitschuldig an Mikels Zustand."
Sogleich hatte Raffaela ihre rechte Hand nach ihm ausgestreckt und dieser mit seiner linken verbunden.
,,Sieh mich an Dave…"
Allmählich folgte der Mann mit der Lockenpracht ihrer Anweisung, auch er erkannte , das ihre Augen noch immer der Trauer nah waren, doch sie schüttelte nur mit den Kopf.
,,Egal wie sein Wagen mit dem Rolls Roys zusammen gestoßen ist. Es ist und war nicht deine Schuld ! Das darfst du dir nie einreden ! Mikel hat dich immer geschätzt und wenn er mit dir im Wagen saß, dann hatte das seinen Grund. Es war eben nun einmal nicht sein Glückstag. Deiner hingehen schon. Und darüber bin ich froh. Zwei Beerdigungen hätte ich nicht mehr verkraftet."
Bei diesen Worten begannen sich Daves braune  Augen zu weiten und sein Gesicht würde schlagartig kreideweiß.
,,Ist…ist er etwa… ?!"
Die braunhaarige Frau schüttelte jedoch vehement mit dem Kopf.
,,Noch nicht, aber die Ärzte geben ihm eine geringe Überlebenschance. Er hat…die letzte Nacht nur knapp überstanden. Er…er hat Blutungen im Gehirn gehabt. Selbst wenn er wieder aufwacht. Er…er wird nie wieder derselbe sein. Wenn Sam das hört, wird er bestimmt einen Schock erleiden. Er hing doch immer so an Mikel. Aber…ich ähm…ich konnte es gerade nicht."
Vereinzelt fielen Tränen aus ihren Augenwinkeln und Dave nahm sie erneut in den Arm, begann sogar leicht, mit einer Hand durch ihre Haare zu streicheln. Indessen konnte auch Dave die Radiomusik prägnanter aus dem Lautsprechern in seinen Ohren vernehmen. Lewis Capaldi mit dem Song ,,Before You Go".

Die Sonne senkte sich. Dave konnte den dämmernden Himmel über Londons Häuser aus diesen riesigen Fensterscheiben erkennen und hoffte inständig, dass es kein schlechter Vorbote für seinen kranken Freund war.
Zeitgleich war Sam vor der Tür der Intensivstation angekommen und hörte sogleich besorgniserregende Worte.
,,Die Atemmaske ! Er braucht Sauerstoff, sogleich den OP Saal vorbereiten los !", rief eine Baritonale Männerstimme, während kurz darauf eine Schwester aufgebracht und mit schneller Stimme über ein Telefonat anrief.
,,Schwester Maggie…Op Saal 10 vorbereiten. Schädel Hirn Trauma Patient mit Bradyaarhythmia absoluta. "
Und kaum war dieses kurze Telefonat beendet, brachen schon die Türen auf und Sam musste mit einen gehörigen Satz zurückspringen, um nicht von diesen wie eine Fliege an die Wand erschlagen zu werden.
,,Junger Mann machen Sie Platz. Das ist ein Notfall!", schrie der Arzt erbost ihm entgegen und Sam gehorchte ohne jeden weiteren Widerstand. Und trotz der Schnelligkeit wie die Trage an ihn vorbei gerollert kam und drei Schwestern im Schlepptau, hatte er für wenige Sekunden einen Blick auf diese liegende, ja fast schon regungslose Person gesehen. Sams Gesichtsfarbe hatte sich kreideweiß verfärbt, der Mann auf der Trage war eindeutig sein Schatz Mikel Terencino gewesen ! Wie gedankenverloren hatte sich nun dieses Bild in ihn eingebrannt. Ein weißer Verband um seinen Kopf, eine Atemmaske auf Nase und Mund gestülpt eine kleine Schwester, die noch dazu seine Flasche hielt und die strahlend weiße Daunendecke, die seinen restlichen Körper Hals Abwärts bis zu seinem Füßen abgedeckt hatte.
,,Bitte nicht !", flüsterte Sam nur noch gedankenverloren vor sich hin und begann sogleich zu zittern. Er wollte nicht, dass der Abschied so vonstatten ging.
Kurz darauf, als bereits der Fahrstuhl mit Mikel, dem Arzt und den drei Schwestern mit einem kleinen Geräusch hinunterfuhr, gaben Sams Beine gänzlich nach. Was tat er eigentlich, wenn Mikel nun wirklich starb? Langsam schloss er bei diesem Gedanken seine Augen, Tränen begannen bereits aus seinen Augenwinkeln wie Feuer zu brennen. Sollte dies nun wirklich der letzte Moment von ihm gewesen sein ?
Er zitterte weiter, hoffte aber noch immer auf ein Wunder. Es musste doch noch Wunder in dieser Welt geben, oder ? Trotz dieser selbst rhetorischen Frage schnürte ihm der Hals zu, nahm ihn teilweise die Luft zu Atmen. Er stand ohne jeden Zweifel unter Schock. Das sah auch die zurückgebliebene Schwester auf der Intensivstation, die sogleich einen neuen Anruf tätigte. Doch von all dem bekam Sam nichts mit. Er blieb auf dem Boden sitzen bis…bis ihm mit einem Schlag sogar schwarz vor Augen wurde und von einem Moment auf den anderen längelang auf den düsteren Belag Boden fiel und bewusstlos liegen blieb, während aus der draußen herrschenden Dämmerung schwarze Nacht wurde…

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