Verkrampftes Herz

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Eine gefühlte Stunde hielt Lillia Martha noch im Arm, bis sich das Hausmädchen endlich wieder etwas gefasst hatte. Marthas Gesicht war knallrot vom Weinen gewesen und ihre Stimme brachte nur noch ein zittriges ,,Danke" hervor, ehe sie sich von ihr und Wilbur anwandte und zur Treppe davon stahl. Knarchzend ächtzten die Stufen unter Marthas Füßen, bis sie oben auf den Absatz getreten war  und eine Tür quietschend geöffnet und sogleich geschlossen worden war. Lillia begann daraufhin schwer beladen zu seufzen und ihren Verlobten anzusehen.
,,So hab ich Martha noch nie erlebt. Ich meine, leicht verschlossen und weise war sie mit ihren nun jungen 29 Jahren ja schon immer. Solange wie ich sie nun in der einen Woche kenne, aber diesen Weinkrampf…da fehlen selbst mir die Worte. Ob es wirklich richtig ist, sie heute Abend  bis spät in die Nacht hier allein zu lassen?"
,, Lillia…Martha ist genauso erwachsen wie wir. Natürlich wissen wir nicht viel über sie. Auch sie wird eine Vergangenheit haben…und vielleicht war sie auch nicht besonders gut, aber sie ist hier ! Sie gehört zu uns und auf uns kann sie sich verlassen ! Immerhin hat sie mir ein sehr guter Freund empfohlen. Auch wenn ich gerne gewusst hätte, was mit ihm passiert ist."
Bekräftigend und ernst begann Lillia zu nicken.
,,Ja…Jeremy war ein sehr guter Freund. Kam zu jeder deiner Geburtstagspartys und hat auch gerne Mal ausgeholfen wenn du Hilfe brauchtest. Insbesondere hier bei diesem Umzug. Es fühlt sich für mich auch ziemlich fremd an, wenn ich bedenke, dass er schon einen Tag nachdem er uns Martha mitgebracht hat, einfach spurlos verschwunden ist. Kein durchgestellter Anruf, kein Lebenszeichen in seinem Haus…selbst die Polizei, die wir seit fast einer Woche eingeschaltet haben, meldet sich nicht. Sagt, sie hätte keine Spuren."
,,Ja…klingt für mich immer noch nach einem Horrorfilm. Jeremy ist nicht der Typ, der einfach so von der Bildfläche verschwindet. Das ist nicht seine Art, besonders dann nicht, wenn unsere Hochzeit bevorsteht."
,,Hoffen wir einfach Mal, dass Karlotta und er sich da einfach Mal eine Überraschung zu unserer Hochzeit überlegt haben. Und Karlotta uns einfach Mal absichtlich angelogen hat, als sie sagte, sie wüsste nicht, wo Jeremy ist."
,,Das ist auch das Einzigste was bleibt Lil. Denn die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt."
Noch einmal nickte Lillia ernst und wollte gerade wieder in die Küche verschwinden, als der Gong der Türglocke läutete, während indessen Sundance draußen aufgeregt zu bellen anfing.
Das Paar sah sich noch einmal tief im gedämpften Licht des Flures in die Augen. Konnte das schon Davis Flanell sein ?
Oder war es etwa…Ohne eine weitere Minute verstreichen zu lassen, rannte Lillia in ihrem dunkellilafarbenen Hausmannsanzug zur Tür und öffnete sie. Von Weitem erkannte sie in dem sich  nun gebildeten Nieselregen Dave, der nur müde zur Begrüßung die Hand hob, während sein rehbrauner Hund vor Freude regelrechte Luftsprünge am Tor vollzog und ihn regelrecht ankläffte.
,,Dave ! Warte ich mach dir auf !", rief sie von Weitem, schnappte sich die Schlüssel vom Türhaken, an dem ein kleiner Plüsch Engel mit weißem Kleid und gelben Heiligenschein hing und rannte zu ihm.
Keine 30 Sekunden klackte der Schlüssel ins Schloss und ein völlig durchnässter Dave, trat ein. Sein blauer Anzug schien fast wie eine zweite Haut an ihm zu kleben, während die Locken mittlerweile gänzlich verschwunden und nur noch als Pottschwarze Strähnen ihm im Gesicht hingen. Als erstes schenkte er natürlich seinen Hund die Aufmerksamkeit und neigte sich zu ihm runter, weshalb er sogleich mit einer sabbernden Zunge im Gesicht empfangen wurde, was Lillia leicht zum Kichern brachte.
,,Ja, dein kleiner Streuner hat eine Menge Unfug angerichtet. 2 Rosenbeete sind völlig umgegraben. Aber ich werde sie heute Nachmittag noch einmal richtig ins Beet einfassen. Heute ist so ein richtig typisches englisches Wetter nicht wahr ? Komm rein.", meinte Lillia schließlich und ging erhaben voran, gefolgt von dem schweigsamen Dave, der noch einmal kurz seinen Hund durch das kurze Fell kraulte, die Tür hinter sich schloss und ihr hinterher trottete.
,,Ehm Dave ? Ist wirklich alles in Ordnung?", wollte Lillia schließlich wissen, als sie auf der versteinerten Treppe sich noch einmal umsah und in Daves verkrampftes Gesicht sah.
Die haselnussbraunen Augen des Hochzeitsmanagers trafen die verwunderten Grünen von Lillia.
Er wusste nicht Recht was er nun sagen sollte. Seitdem er die vorbereitete Halle verlassen und in die U-Bahn gestiegen war, wusste er nicht Recht, wie er Karlotta nachher eigentlich vorstellen sollte. War es nicht doch etwas zu früh dafür ? Dieser Gedanke verfolgte ihn schlussendlich von dort bis zu Lillias Haustür, ohne dass er darauf eine genaue Antwort kannte.
Anderseits war es nicht eigentlich egal ? Immerhin hätte Karlotta so oder so die Halle mit dekoriert, ob nun mit seiner persönlichen Verwicklung oder ohne, dies war doch egal !
Schließlich schüttelte Dave nur vehement mit dem Kopf.
,,Nein…nichts was von Bedeutung ist Miss Redford. Und auch die derzeitigen Hochzeitsvorbereitungen laufen  fabelhaft an."
Ein gequältes Stöhnen verließ Lillias Mund, worauf Dave verhängnisvoll seine Augenbrauen zusammen kneifte.
Was stimmte denn nun schon wieder nicht ?!
,,Tut mir leid für meinen Seufzer Mr. Flanell, aber derzeit scheinen sich  alle in gewisser Weise irgendwo in einem gewissen tristen Blues wiederzufinden. Martha hat vorhin schrecklich geweint, aber sie wollte weder mir noch Wilbur erzählen, weshalb sie so aufgelöst war. Und abgesehen wird auch ein langjähriger Freund von uns seit einer Woche vermisst und können ihn nirgends erreichen. Besonders Wilbur macht das zu schaffen. Unser Dinner steht unter keinem guten Stern was ?"
Bei Lillias letzter gestellter Frage, durchzuckten ein schwaches Lächeln ihre Gesichtszüge, aber Dave ließ sich davon nicht täuschen, die Woge ihres Herzens und die Sorge um ihn und Marthas Traurigkeit wog schwer. Und sie war verständlich. Zumal Dave wusste um wen es sich handelte. Um Jeremy Mils, jenen Mann, den er versucht hatte höchstpersönlich mit einer Einladung der Hochzeit zu kontaktieren und auch er war vor drei Tagen umsonst dorthin gefahren. Hatte ein Haus besucht, was zwar äußerlich gepflegt  aussah, aber einsam und verlassen am Rande Londons stand.
Keine Menschenseele hatte er getroffen, der ihm hätte weiterhelfen können und eigentlich hätte er letztens Lillia sagen müssen, das nur 49 Einladungen mit Zusendung des Kommens ihren Weg zur Halle finden werden, denn die 50zigste und vor allem Dingen auch für Wilbur  wichtigste, blieb unbeantwortet ! Reglos wie ein kalter Windstoß, welcher wie ein kurzer Sturm um die Bäume fegte und für alle Zeiten verschwand ! Oder wie ein  kräftiger Atemzug, der mit einem Mal das Leben aus einer Menschenseele heraussog und verstummen ließ. Es gab keine Aktivität und somit kein Lebenszeichen von ihm ! Es war frustrierend.  
,,Das Bloomsbury Lane Hotel…ich hab gehört es gab da einen Bowling Spieler, der soll immer alle Neune abgeräumt haben. Um ehrlich zu sein, hab ich noch nie gerne ne ruhige Kugel geschoben. Ich hoffe, Karlotta wird mir das verzeihen. Schon allein, weil wir ja im gleichen Wohnkomplex wohnen."
Ein leicht aufmunterndes Lächeln huschte auf Lillias Gesicht.
,,Sie wollen also tatsächlich dieses Hotel besuchen ?"
Unwirsch zuckte Dave mit den Schultern.
,,Ich denke, ein bisschen Frohsinn könnte niemanden schaden. Auch Ihnen und Wilbur nicht, besonders so kurz vor Ihrem Eheversprechen."
,,Nun ja…aber Martha…"
,,Für dieses Problem hätte ich eventuell auch eine Lösung…auch wenn sie nicht ganz davon begeistert sein werden…insbesondere Wilbur nicht, aber heißt es nicht manchmal zwischen Not und Elend zu wählen ?"
Lillia stutzte bei seinen Worten. Was er wohl damit meinte ?

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