2. Finn - Schmerz

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[Triggerwarnung: Selbstverletzendes Verhalten – kommt in dieser Form nur dieses eine Mal vor und ist auch nicht Schwerpunkt der Geschichte]

***

„Verpiss dich!", schrie ich ihn an. Schrie mir bereits seit gefühlten Stunden die Seele aus dem Leib, aber es wurde nicht besser. Mein Mund war trocken, mein Hals rau. Ich schnappte nach Luft. Doch es kam nichts in der Lunge an. Alles in mir drin zog sich zusammen. Magen, Lunge krampften. Schmerz. Mein Puls raste. Panik. Kurz wurde mir ganz schwarz vor Augen.

„Du bist doch krank!", schrie mein Gegenüber nicht minder, „Du bist krank! Ein Psycho!", spuckte er mir förmlich angewidert ins Gesicht, „Kein Wunder, dass es niemand lange mit dir aushält!"

Meine Hände zitterten, erneut sog ich Luft in meine Lungen. Vergeblich. Ich keuchte. Versuchte das Brennen in meiner Lunge zu ignorieren.

„Ich hab dich nicht gezwungen, deinen Schwanz in den nächstbesten Arsch zu stecken!", würgte ich mit erstickter Stimme hervor. Diese Bilder, eingebrannt in meine Netzhaut. Das Zittern wurde schlimmer, ich ballte meine Fäuste. Versuchte, irgendwie die Kontrolle zu behalten, auch wenn es längst zu spät war.

„Du hast mich aber auch nicht davon abgehalten!", bekam ich scharf erwidert. Seine Worte schneidend, schmerzhafter als ein Hieb es je sein konnte. Stießen in mich hinein und ließen den innerlichen Schmerz unerträglich werden. Meine Schuld ... es war immer meine Schuld!

„Hau ab!", keuchte ich mit letzter mir verbliebener Kraft. Ich konnte das hier keine Sekunde länger ertragen. Dieser glühende Schmerz in meinem Inneren bohrte sich tiefer und tiefer. Presste den übrig geblieben Rest an Luft aus meinen Lungen und ließ mich taumeln. „Hau ab!", dabei stolperte ich einen Schritt nach vorne, auf ihn zu, obwohl ich viel lieber so viel Raum, wie nur möglich, zwischen uns bringen wollte.

„Leck mich, Finn!", dann wandte er sich einfach ab und marschierte durch die offene Tür. Fassungslos starrte ich ihm nach.

Aber das wollte ich doch? Wollte ich das wirklich? Mein rasendes Herz hämmerte immer noch schmerzhaft gegen meine Rippen. Mir wurde schwarz vor Augen. Zitternd griff ich nach der Wand, versuchte, mich abzustützen, doch meine Handgelenke gaben nach. Der Schmerz, den der Aufprall mit der Wand verursachte, kam gar nicht erst an. Dazu war der, der in mir drin wütete, zu dominant. Nur ganz nebenbei bemerkte ich die Tränen, die scheinbar unablässig heiße Spuren auf meinen kalten Wangen hinterließen. Meine Lunge verbrannte förmlich. Ich hatte immer noch keine Luft, dafür wurde der Druck immer schlimmer, die Schmerzen kaum noch auszuhalten. Wollten raus aus mir, rissen mich innerlich auseinander.

Mich von der Wand zu drücken, kostete unendlich viel Kraft, doch nach dem dritten Versuch klappte es einigermaßen und ich schleppte mich regelrecht bis zur nächsten Tür. Der kalte Türknauf, bohrte sich in meine heißen Handflächen. Bestand denn alles an mir, in mir, nur noch aus gleißendem Schmerz? Das logische Denken setzte aus, der Instinkt übernahm. Mein Körper wusste, was er brauchte, nach was es ihm verlangte. Verdrängte meinen schwachen Geist.

Einen Schritt nach dem anderen nährte ich mich dem Waschbecken, riss das Schränkchen auf und begann zu suchen. Es müssten noch welche da sein, es waren immer welche da. Auch, wenn ich schon sehr lange keine mehr gebraucht hatte.

Scheppernd fielen Glasfläschchen ins Waschbecken, einige zersplitterten in tausend Teile, es war mir egal. Stattdessen fegte ich einen Regalboden nach dem anderen leer. Ich wusste nicht wie, aber mein Herzschlag erhöhte sich nochmal. Mein Blick verschwamm und es kostete unendlich viel Kraft, mich dabei auf meine Suche zu konzentrieren.

Bilder vor meinem inneren Auge, wie er sich grinsend in diesem widerlichen Kerl versank. Mich dabei herablassend angrinste. Ich würgte, hätte kotzen können, doch dafür war keine Zeit. Auf Zehenspitzen stehend, streckte ich mich nach dem letzten Regalboden. Tastete es ab, erneut fiel etwas zu Boden, ich ignorierte es. Da war nur noch Panik in mir und Schmerz. Schmerz, der endlich raus wollte. Und dann endlich fühlte ich sie. Klein, kalt und glatt. Kurz hielt mein Herz vor Erleichterung inne und ich atmete ein. Luft ... Endlich! Ich lächelte. Gleich, gleich würde alles besser werden.

Ganz vorsichtig, um mich ja nicht zu schneiden, nahm ich die Rasierklinge. Eigentlich irrsinnig, wenn man bedachte, was ich damit vorhatte. Aber jetzt, da ich sie endlich zwischen meinen Fingern spüren konnte, hatte ich etwas von der Kontrolle zurück. Mit dem Handrücken wischte ich mir über die Augen und wandte mich von meinem Spiegelbild ab, ich hätte diesen Anblick sowieso nicht ertragen.

Zusammen mit der Klinge verließ ich das Bad, kannte nur noch ein Ziel. Mein Schlafzimmer, mein Bett. Auf dem Weg dorthin, griff ich mit der freien Hand nach der Flasche Wodka, die fahrlässig auf der Kommode abgestellt wurde, und stieß nur einen Moment später mit dem Ellbogen die Tür zu meinem Schlafzimmer auf. Schwärze umfing mich, so dass ich ein paar Mal blinzeln musste, bis sich meine verquollenen Augen an die Dunkelheit gewöhnten und ich die Umrisse meines Bettes erkannte. Wie in Trance darauf zusteuernd, kickte ich alles weg, was mir den Weg versperrte. Bevor ich endlich mein Ziel erreichte und ins Bett kletterte.

Ganz vorsichtig, fast schon liebevoll, legte ich sowohl die Flasche, als auch die Rasierklinge, auf das Kissen neben mir. Griff auf dem Nachtkästchen nach dem Gläschen mit meinen Beruhigungstabletten und pfriemelte, mit immer noch zitternden Fingern, am Deckel. Für das, was ich jetzt vorhatte zu tun, musste ich erst einmal das Zittern in den Griff bekommen.

Endlich war der beschissene Deckel offen! Achtlos warf ich ihn zur Seite und schüttete mir eine Handvoll kleiner, ovaler Pillen in die Hand. Gut die Hälfte ging daneben, aber es interessierte mich nicht. Achtlos ließ ich das Glas fallen und griff nach dem Wodka, um ein paar der Pillen gleich damit herunterzuspülen.

Das Brennen, das meinen Hals langsam hinab wanderte, ließ mich schlucken. Lenkte mich einen kleinen Augenblick von dem Schmerz in mir drin ab. Der, der mich immer noch zerriss. Innerlich auffraß. Aber es war nicht genug, es war nie genug. Ich brauchte mehr. Ganz automatisch, tasteten die Finger meiner rechten Hand nach der Klinge, die auf meinem Kissen lag, während ich noch einmal einen kräftigen Schluck des klaren Alkohols genoss.

Dann fühlte ich sie. Kalt, glatt, so filigran. Konzentrierte mich nur noch darauf und sehnte mich nach der Erlösung, die mich gleich überkommen würde. Gleich, wenn der kalte Stahl sich sanft seinen Weg durch meine Haut bahnen würde.

Also drückte ich zu, fühlte den Schmerz, die Erleichterung. Seufzend schloss ich die Augen, hieß es Willkommen. Dieses Gefühl von Kontrolle, von Freiheit. Das Zittern hörte auf, der dumpfe Schmerz in mir, der mich zerreißen wollte, hörte auf. Nur ganz nebenbei bemerkte ich das warme, klebrige Rinnsal, das sich zuerst langsam, doch dann immer schneller den Unterarm hinunter schlängelte, nur um sich in meiner Handfläche zu sammeln.

***

Es gibt bessere Ventile um mit dem Schmerz im Inneren umzugehen, als es Finn hier macht. Sollte es dir wie ihm gehen, Sprich mit jemanden, hol dir Hilfe, statt zur Klinge zu greifen....

Jo

Mr. Unverbesserlich (Mr. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt