21. Arne - Schockstarre

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Voller Freude lief ich, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf zu unserem Apartment. Je beschissener der Tag, desto mehr freute ich mich auf den Abend oder besser gesagt die Nacht mit Micha. Es war ein Phänomen, das ich selbst noch nicht verstand. Aber ich war nach den wenigen Abenden mit ihm zusammen ausgeglichener geworden, als ein Urlaub es hätte vermocht. Es tat mir einfach gut. Nein, das war so nicht ganz richtig - er tat mir gut!

Grinsend schwenkte ich beim Gehen die Tasche, in der sich zwei sehr feine Stücke vom Kobe Rind befanden. Die würde ich uns heute Abend zu perfekten Steaks braten. Dazu ein bisschen Salat, das Weißbrot, das ich auch dabei hatte und einen kräftigen Cabernet Sauvignon. Gott, dass würde einfach großartig werden und mal eine andere Liga als schnelles Rührei oder Lachsnudeln. Der Doktor verdiente es aber auch, nach dieser wohl sehr anstrengenden Woche mit meinem kleinen Bruder, etwas verwöhnt zu werden.

Endlich oben angekommen, schloss ich die Tür auf und stockte im Schritt. Sofort nahm ich wahr, dass da kein Michael war, der auf dem Sofa schlief. Und ich hatte mich schon so dran gewöhnt. Also sah ich mich auch im Rest der Wohnung um, nur um festzustellen, dass er sich auch sonst nirgends verkrochen hatte.

Wirklich enttäuscht darüber ging ich also zum Kühlschrank und verstaute erst einmal das Fleisch darin. Heute also keine Kobe Primere für den Onkel Doktor, da ließ er sich aber was entgehen.

Auf dem Weg ins Bad ertönte eine Stimme aus Finns Zimmer, die eindeutig nicht zu ihm gehörte. Also trat ich näher. Kurz war da die Freude, Michael könnte noch hier sein, doch augenblicklich wurde diese zerschlagen. Denn nun folgte ein Stöhnen, und das Gekicher meines Bruders, der seinem Gegenüber bat, etwas leise zu sein, weil sein Bruder jeden Augenblick von der Arbeit heimkommen würde.

Zu spät! Ich war schon da und hoffte inständig, dass es sich darin nicht um Steve handelte. Sonst müsste ich Finn morgen in der Früh wahrhaftig den Schädel abreißen. Diesen Arsch von einem Rockstar wollte ich nie wieder sehen, sonst könnte ich wirklich für nichts garantieren.

Frustriert, meinem Bruder jetzt auch noch beim Vögeln zuhören zu müssen, verkroch ich mich ins Bett, zog die Bettdecke über den Kopf und schlief kurze Zeit später auch schon ein. Nur, um von einem sehr heißen Doktor zu träumen, der noch viel heißere Sachen mit mir anstellte. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich noch glauben, dass ich den lieben Doc mehr mochte, als mir lieb war. Aber viel wahrscheinlicher war die Tatsachen, dass ich einfach nur ganz dringend einen Mann brauchte.

Bei dem Kevin Klein Model war mir ja Finn dazwischen gerauscht und seit dem hat sich einfach nichts anderes ergeben. Kein Wunder, das mir der Notstand ausbrach. Ich war bestimmt seit meiner Jugend nicht mehr länger als zwei, drei Tage abstinent gewesen. Und jetzt lag immerhin eine ganze Woche dazwischen.

Wie gerädert erwachte ich also am nächsten Morgen, weil Geräusche vom Wohnzimmer durch die Tür drangen. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass es sich bereits um kurz nach neun handelte. Überrascht, dass es doch schon so spät war, erhob ich mich widerwillig aus dem Bett, schlüpfte in meine Sachen und machte mich auf den Weg ins Bad.

Scheinbar hat mich der wenige Schlaf der letzten Tage doch mehr geschlaucht, als dass es mir bewusst war. Die Zeit mit dem Doktor war aber so kurzweilig gewesen, dass ich sie einfach nicht missen wollte.

Immer noch halb schlafend erreichte ich das Bad. Eine kalte Dusche und ein Eimer voll Kaffee würden meine Geister bestimmt wieder zum Leben erwecken. Drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür.

„Hoppla!", stieß eine mir mittlerweile nur allzu bekannte Stimme aus und ich sah erschrocken hoch. Der liebe Doktor schien gerade aus der Dusche gestiegen zu sein. Zumindest griff er noch tropfnass nach dem Handtuch und wickelte er sich eilig um die Mitte.

„Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt!", meinte er nun grinsend. Gleichzeitig versuchte ich irritiert und überrascht zugleich, immer noch die Situation einzuschätzen. Wieso zum Teufel stand Michael nackt in unserem Bad? Am frühen Morgen?

„Wir haben extra versucht leise zu sein, damit du schlafen konntest", erzählte er gutgelaunt weiter und richtete sich sein Handtuch, das immer wieder versuchte von seinen Hüften zu rutschen.

Meine Augen weiteten sich. Mein Kopf hingegen tat sich sichtlich schwer zu verarbeiten, was ich da gerade sah und hörte. Aber eigentlich war es doch gar nicht schwer und lag auf der Hand.

„Aha ...", antwortete ich, weil er mich nun fragend musterte. Scheiße! War ich hier im falschen Film, oder träumte ich vielleicht noch? „Aber ...!", stotterte ich immer noch fassungslos und wollte mir das Ausmaß dessen, was mir mein Hirn auf einem Silbertablett persistierte nicht wahrhaben. Michael und mein Bruder??? Meine Eingeweide krampften sich zusammen und mir wurde schlecht. „Aber ich dachte ...", startete ich noch einen Versuch der verbalen Kommunikation, der aber von einem sichtlich fröhlich pfeifenden Finn unterbrochen wurde.

„Morgen Sweetheart!", verkündete er und trat zu uns. Ganz automatisch stellte ich fest, dass auch er erst vor kurzem unter der Dusche gestanden haben musste, denn das Wasser tropfte ihm von seinen langen Haaren auf das T-Shirt, das er lediglich mit Boxershorts trug.

Was zur Hölle war gestern passiert? Was hatte ich verpasst, während ich gearbeitet hatte? War da nicht eigentlich mehr zwischen mir und Michael? Immerhin hatten wir uns geküsst. So richtig geküsst. Mit Adrenalin im Blut und Ungeziefer im Magen. Nicht nur, um das Spiel etwas zu verlängern und den Höhepunkt hinauszuzögern. Alles in mir drin sträubte sich das so Offensichtliche zu glauben.

„Ich hoffe, wir haben dich nicht geweckt!" Klopfte mir Finn auf die Schulter und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Ich wollte nicht, dass er mich anfasste, nicht wenn sich gerade Bilder in mein Hirn brannten, die ich so wohl nie wieder vergessen würde. „Michael ist ein Sklaventreiber! Ich bin fix und fertig!" Überging mein Bruder meine Reaktion und plappert einfach weiter. Ich hingegen konnte nur noch den Mann vor mir anstarren. Der jetzt einfach nur da stand und mich fragend musterte.

War alles eine Lüge gewesen? Hatte ich mich da in was verrannt? Das konnte doch gar nicht sein! Die Nächte waren doch was Besonderes und das nicht nur für mich! Wie konnte er nur?

„Alles in Ordnung?" Scheiße, wann war er mir so nah gekommen? Sein frischer, unvergleichlicher, männlicher Duft stieg mir in die Nase. Ganz leicht roch er sogar nach mir, verspottete mich mein Hirn. Also nach meinem Duschgel besser gesagt, schließlich war er nicht durch mein Bett gehüpft, sondern durch das meines Bruders!

Seine Hand hob sich und ich wusste, gleich würde er mich berühren, aber das konnte ich nicht zulassen. Das würde mich innerlich verbrennen. Mir zeigen, dass dieser Augenblick echt war und kein Albtraum, aus dem ich nur zu erwachen brauchte.

„Fass mich nicht an, Ludwig!", zischte ich ihm also zu, während ich ganz automatisch seine Finger wegschlug. Immer noch hatte ich das Gefühl, als wäre ich innerlich zu Eis gefroren, obwohl die Welt sich weiter um mich drehte. Richtig absurd.

„Was ...?" Sein Blick irrte in meinem Gesicht umher. Sah mich verwirrt, überrascht und fragend zu gleich an. Aber was sollte ich ihm auch sagen? Das ich ihn gerade nicht ertragen konnte? Das ich ihm am liebsten meine Faust in sein hübsches Gesicht hauen wollte? Hatte ich ein Recht darauf? Nein! Zumindest nicht rational. Denn das, was zwischen uns war, entpuppte sich gerade scheinbar als absolut rein gar nichts.

Ich musste hier weg! Einfach nur weg. Das wäre das Beste. Nicht, dass ich doch noch etwas Dummes anstellen würde, denn es juckte gerade ganz arg in meinen Fingern. Also drehte ich mich um, schubste den nun vor mir stehenden Finn zur Seite und lief auf die Tür zu. Ein wenig Abstand und frische kühle Luft würden mir bestimmt guttun. Mich endlich durchatmen lassen, denn ich hatte immer noch das Gefühl zu ersticken.

„Arne ...", versuchte Finn mich aufzuhalten.

„Lass mich, Finn!", fauchte ich ihn an! „Nicht jetzt!" Und lief davon.

„Arne, warte!", war es nun Michael, der nach mir rief. „Draußen ist ein Schneesturm!"

Aber das alles war mir egal! Ich wollte einfach nur weg von den beiden. Wie konnte sie nur? Wie konnten sie mir nur so weh tun? Und es tat verdammt nochmal richtig weh in meiner Brust!

Mr. Unverbesserlich (Mr. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt