10. Arne - Duell

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Was für ein Tag ... ein Hoch auf die Arbeit! Wäre ich auch nur eine Sekunde länger bei Finn geblieben, ich hätte für nichts mehr garantieren können. Keine Ahnung, was mit ihm los war. Aber seit Monaten schon warf er sich einem Kerl nach dem anderen an den Hals und hoffte scheinbar darauf, die Liebe seines Lebens zu finden. Egal wie mies sich die Kerle benahmen, er blieb und kämpfte bis zum Schluss. Wohin ihn dieser „Schluss" brachte, hatten wir ja alle heute Morgen gesehen. Und was machte der Vollpfosten, statt sich mal wirklich auszukurieren und über sein Verhalten nachzudenken? Er schwang sich wieder aufs Pferd. Und das, mit zwei gebrochenen Füßen und Armen, so wie einem amputierten Hirn. Das, dass nicht gut gehen konnte, sah selbst ein Blinder!

Nur konnte ich absolut gar nichts dagegen machen. Denn würde ich jetzt anfangen, ihm bei Michael reinzureden, würde sich mein sturer Bruder nur noch mehr in dessen Arme schmeißen. Das einzig Gute an der Sache war, der Doktor sah mir nicht gerade nach einem noch größeren Arschloch aus, wie die Kerle zuvor.

Fertig und nur noch müde schloss ich die Tür zu unserem Apartment auf und hoffte, dass mir heute weitere Wortgefechte erspart blieben. Und tatsächlich, mich empfing göttliche Ruhe. Überrascht und dem Braten noch nicht gänzlich trauend, sah ich mich erst einmal im Feindesgebiet um. Irgendwo musste doch Finn stecken, aber da entdeckte ich die beiden auch schon. Mein Bruder lag auf dem Sofa und schien zu schlafen und Michael saß daneben und las in einem Buch. Diese Situation wirkte so idyllisch und absurd zu gleich, dass ich einige Minuten nur da stehen und die beiden beobachten konnte.

„Willst du vielleicht Wurzeln schlagen?" Das Buch senkte sich und fragende Augen musterten mich.

Ertappt schloss ich die Tür hinter mir und entledigte mich erst einmal meiner Wintersachen. Zeit schinden war nie verkehrt. Bevor ich zu der Küchenzeile trat und Michael mir folgte.

„Tut mir leid, dass es so spät wurde! Aber ich hätte nicht gedacht, dass du wartest!" Wir hatten bereits nach eins und er hätte schon längst über alle Berge sein können.

„Schon ok!", murmelte er weniger begeistert.

„Du musst das nicht tun!", versicherte ich ihm, in der Hoffnung, dass er sich die Sache nochmal überlegen würde.

„Nicht?" Dabei schoss seine Augenbraue ganz automatisch in die Höhe. „Es gibt Leute, die sind auf ihre Arbeit angewiesen. Und hätte ich mich geweigert, wüsste ich nicht, ob ich noch eine hätte ... Also doch, ich denke, ich muss das hier in der Tat tun.", beantwortete er, überraschenderweise ohne jeglichen Vorwurf in der Stimme meine Frage. Das war eher selten der Fall. Normalerweise wurde uns gleich vorgeworfen, uns auf dem Erbe unserer Eltern auszuruhen. Nur war das so gesehen nicht ganz richtig. Klar hatte uns das Geld eine gute und vor allem sorgenfreie Ausbildung ermöglicht, aber mittlerweile verdienten wir beide so gut, dass wir nicht auf das Familienvermögen angewiesen wären. Sinnlos aus dem Fenster warfen wir es trotzdem nicht. Mal abgesehen von heute, wo mein liebster Bruder sehr viel Geld für einen Doktor ausgegeben hatte, den er eigentlich gar nicht brauchte. Aber selbst wenn der Grund dafür, ein sehr Eigennütziger war, so landete das Geld am Ende dennoch an einer Stelle, an der Gutes damit bewirkt werden konnte.

„Hast auch wieder recht ...", erwiderte ich schlussendlich, weil mir dazu jetzt auch nichts Besseres einfiel. „Wie war es denn heute noch?", setzte ich nach, um ganz unauffällig das Thema zu wechseln. Auf Diskussionen hatte ich immer noch keine Lust, auch nicht mit dem Doktor. Ich wollte einfach nur ins Bett.

„Es ging. Nachdem er sich um Kopf und Kragen geredet hatte, schlief er recht schnell ein und seit dem war er nicht mehr wach.", erzählte Michael schulterzuckend und etwas emotionslos. Man wurde durchaus das Gefühl nicht los, dass er nicht gerne hier war.

„Aber er lebt noch?", fragte ich schmunzelnd, um das Eis zwischen uns etwas zu brechen, während ich zur Kaffeemaschine ging. Mein Blut bestand sowieso schon aus Koffein, also hatte ich auch keine Probleme damit, rund um die Uhr welchen zu mir zu nehmen. Es war sozusagen mein Wasser.

„Weiß nicht, hab nicht nachgesehen!", antwortete Michael ganz lapidar und ich fuhr erschrocken zu ihm herum. „Musste ich nicht, er schnarcht!", beruhigte er mich nun ebenfalls grinsend und nickte in Finns Richtung.

„Gar nicht wahr ...", ertönte es verschlafen vom Sofa und kurze Zeit drauf erschien ein verwuschelter Kopf. „Ich schnarche nie ...", fügte dieser beleidigt hinzu.

„Ab ins Bett mit dir!", befahl ich meinem kleinen Bruder und deutete, keine Widerrede duldend auf seine Schlafzimmertür. Wie ein getretener Hund erhob sich Finn von seinem Platz und dackelte mit seiner Kuscheldecke, die er sich fest an die Brust drückte, verschlafen in sein Zimmer.

„Das ist der Grund, warum ich froh bin schwul zu sein und niemals in den Genuss komme, Kinder zu haben.", seufzte ich, während ich immer noch dabei war meinem Bruder nachzusehen, der ganz brav in seinem Zimmer verschwand und die Tür hinter sich schloss. Müde Finns, waren die pflegeleichtesten Finns. Man musste sie nur ins Bett schicken und hatte mindestens zehn Stunden seine Ruhe.

„Die sind nicht alle so, es gibt tatsächlich auch welche, die richtig erzogen worden sind." Wurde ich aus den Gedanken gerissen.

„Was bringt die ganze gute Erziehung, wenn die scheinbar Wohlerzogenen trotz allem noch rotzfrech sind und dabei möchte ich jetzt niemanden ansehen.", grinsend beugte ich mich vor und sah dem lieben Doktor direkt in die Augen.

Er war in der Tat hübsch. Nicht so gutaussehend, wie die Kerle, mit denen ich sonst so verkehrte, dennoch hatte er etwas, was mich nicht wirklich losließ. Statt wie erwartet den Blick abzuwenden oder wenigstens zu blinzeln, starrte er geradewegs zurück. So so, der Junge hatte also auch noch Biss? Mein Mundwinkel zuckte und ich konnte das Grinsen, was sich von selbst auf meine Lippen stahl, nicht zurückhalten. Er grinste zurück. Oh ja! Dieser Kerl gefiel mir. Auf einmal rückte er ein ganzes Stück näher, so dass sich unsere Nasenspitzen fast berührten. Ganz automatisch weiteten sich meine Augen und ich hielt die Luft an. War ich der Einzige, dem es auf einmal ganz heiß wurde?

„Und jetzt ...?", raunte er mir zuckersüß zu. Ich schluckte und blinzelte. „Ha!", stieß er plötzlich euphorisch hervor. „Gewonnen!" Und rückte wieder ab von mir.

Blinzelnd stand ich einfach nur da und versuchte, mir klarzumachen, was gerade genau passiert war.

„Ich muss dann mal!", verabschiedete er sich währenddessen und verschwand zur Tür.

„Das war nicht fair!", rief ihm nach, nach dem ich wieder etwas klarer denken konnte.

„Ist das Leben nie!", vernahm ich ein letztes Mal seine Stimme, während die Tür ins Schloss fiel.

Mit einer Tasse Kaffee in der Hand und einem Lächeln auf den Lippen machte ich mich auf den Weg zu Finn. Was wäre ich denn für ein Bruder, wenn ich nicht richtig nach ihm sehen würde. Leise klopfte ich an die Tür, sollte er tatsächlich schlafen, hätte ich ihn natürlich schlafen lassen. Aber irgendwas sagte mir, dass dem nicht so war.

„Komm rein ...", ertönte es nicht gerade verschlafen dahinter und bestätigte meine Vorahnung. Also öffnete ich die Tür und huschte zu ihm ins Zimmer. Im Schneidersitz und mit verschränkten Armen vor der Brust, saß Finn auf dem Bett und schien zu schmollen.

„Was ist los, Bruderherz?", wollte ich wissen und ließ mich neben ihm nieder. „Läufts nicht so, wie du dir das vorgestellt hast?", bohrte ich nach, während er sich an meine Schulter lehnte und seufzend die Augen schloss.

„Er ist gemein!", stellte er nach einer gefühlten Ewigkeit fest, was mich lachen ließ. Das konnte ich mir wahrlich vorstellen. „Außerdem scheint er total immun gegen meinen Charme zu sein. Egal, was ich versucht habe, immer stieß ich auf Eis.", seufzend kuschelte er sich noch näher.

„Ach was ...", wiegelte ich ab. „Das war bestimmt nur heute so! Du hast ihn ganz schön überfallen. Gib ihm ein paar Tage, dann kann er dir bestimmt nicht widerstehen!"

„Denkst du?", wollte Finn hoffnungsvoll wissen.

Nickend streichelte ich ihm mit der freien Hand übers Haar. „Klar, wer kann dir schon widerstehen?"

Mr. Unverbesserlich (Mr. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt