12. Finn - Steve

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Vor mir ging er in die Hocke und fing an, den Verschluss des Verbandes zu lösen. Ganz langsam begann mich diese Idee, den Doktor zu mir zu holen, gewaltig zu nerven. Da konnte ich tun und lassen, was ich wollte und nichts geschah. Außer natürlich, dass ich mit Ablehnung bestraft wurde und jetzt auch noch mit Nichtachtung. Meine sowieso schon angeschlagene Stimmung sank in den Keller.

„Sprichst du jetzt nicht einmal mehr mit mir?", fragte ich seufzend und hätte heulen können. Ich wollte lediglich eine schöne Zeit mit ihm verbringen und einen tollen Roman schreiben. Stattdessen saß ich da und wusste nicht, wie ich den Aufzug abwärts Richtung Stimmungshölle aufhalten konnte.

„Wieso?", wollte er nach einer gefühlten Ewigkeit wissen. Ich runzelte die Stirn. Der stellte vielleicht blöde Fragen. Das hätte ich eher ihn fragen müssen.

„Weil du so schweigsam bist!", antwortete ich gezügelt, um das scheue Reh nicht zu verscheuchen. Wer wusste schon, wann er sonst das nächste Mal wieder etwas von sich gab.

„Nein ...", dabei schüttelte er den Kopf, sah aber nicht zu mir auf. „Warum das hier!"

Federleicht und sanft strichen seine Finger über die schmalen Streifen auf meiner Hand. Es kitzelte und ich widerstand dem Drang meinen Arm einfach wegzuziehen. Zumal sich seine Berührung ansonsten ganz gut auf meiner Haut anfühlten. Auch wenn ich eigentlich nicht groß Lust dazu hatte jetzt ein tiefgründiges, psychologisches Gutachten von mir selbst zu erstellen und höchstwahrscheinlich auch noch auszudiskutieren.

„Ich weiß selbst, dass es falsch ist!", sagte ich, um diese unschöne Diskussion umzugehen oder wenigstens zu beschleunigen.

„Das war nicht meine Frage ...", sein Kopf hob sich und er sah mir in die Augen. Ich schluckte. Er hatte schöne Augen. Warm und sanft, ganz anders als meine Kerle vor ihm. Die hatten eher einen wilden, ungezähmten Blick, der schien, als würde er jeden Augenblick Funken sprühen und in Flammen aufgehen.

2!Auch wenn mich sonst solch „nette" Männer nicht interessierten, gefiel mir der weiche Blick des Doktors. Vielleicht hatten die Tiraden von Arne, meinen Männergeschmack zu überdenken, tatsächlich Früchte getragen, oder ich wurde einfach alt.

„Es liegt nicht bei mir, über dich zu urteilen. Ich will dich lediglich versuchen zu verstehen.", riss er mich aus den Gedanken, während seine Fingerkuppen immer noch meine Haut streichelten. Ob ihm das bewusst war? Ich würde ihn auf jeden Fall nicht darauf aufmerksam machen, sondern einfach dieses feine und warme Prickeln genießen. Es fühlte sich ein klein wenig an, wie im Sommer, wenn einem kleine Marienkäfer über die Arme krabbelten.

„An was denkst du gerade?", holt er mich erneut aus meinen Tagträumen und ich zuckte nur mit den Schultern.

„An Marienkäfer ...", beantworte ich trotzdem seinen fragenden Blick und stiftete noch mehr Verwirrung. „Nicht so wichtig!", schüttle ich immer noch lächelnd den Kopf. „Nur ein flüchtiger Gedanke aus der Kindheit."

„Das solltest du öfters tun!"

Irritiert musterte ich sein Gesicht, er war hübsch, wenn er lächelte. Dabei strahlten seine Augen nur noch mehr.

„Was sollte ich öfters tun?", fragte ich etwas abwesend, ganz in seinen Anblick vertieft. „An Marienkäfer denken?"

Kurz zuckten seine Mundwinkel, bevor sein Blick wieder erst wurde und er kaum merklich den Kopf schüttelte. „Nein, lächeln!"

Überrascht schluckte ich erstmal und blinzelte ihn an. „Ich lache doch sehr viel!" Das tat ich wirklich. Mich konnte man sehr schnell amüsieren und zum Lachen bringen.

„Ja ... aber es erreicht meistens deine Augen nicht. Das dagegen war echt." Das Lächeln auf meine Lippen gefror. Er war nicht der Erste, der mir das sagte, auch Arne sah hinter die Fassade.

„Schon ok!", er erhob sich aus der Hocke und trat einen Schritt zurück. „Du musst mir nichts erzählen." Drehte sich von mir ab und fing an die Verbände, die er zuvor aus seiner Tasche geholt hatte, wieder einzupacken. Mit mir innerlich hadernd beobachtete ich ihn dabei. Ich wollte jetzt nicht diskutieren, aber das wollte ich nie. Die wenigstens verstanden einen. Sie hatten nur tolle Ratschläge, die sie selbst noch nie anwenden mussten, und fühlten sich danach ganz toll, geholfen zu haben. Das Problem lag nur darin, dass Michael sich zum ersten Mal tatsächlich mit mir unterhalten wollte. Im Zwiespalt gefangen, fuhr ich mir übers Gesicht.

„Es hilft mir den Druck, den innerlichen Schmerz, zu ertragen ...", flüsterten meine Lippen, bevor ich mich zu einer Entscheidung ringen konnte. Mein Körper wusste scheinbar, was er wollte, na wenigstens einer von uns. Schweigend verschloss er seine Tasche und ich dachte schon, dass er erneut zum Schweigsamen mutiert war, doch stattdessen ließ er sich neben mir auf dem Sofa nieder.

„Du brauchst keinen neuen Verband.", stellte er, in der aufgekommenen Stille, fest.

Wie jetzt? Er wollte sich doch unterhalten und sagte wieder nichts? Das machte mich ganz kirre. Gerade wollte ich zum Sprechen ansetzen, da kam er mir zu vor.

„Ok. Das kann ich mir zumindest vorstellen. Aber, was bringt dich soweit? Ist dieser Schmerz immer da und nimmt in bestimmten Situationen überhand, oder ist das situationsbedingt. Siehst du es kommen oder bist du auf einmal mitten drin?", überhäufte er mich plötzlich mit Fragen. Statt, dass es mich wie üblich aufregte, solche Fragen beantworten zu müssen, ließ es mich diesmal schmunzeln. Der Doktor schien tatsächliches Interesse zu zeigen. „An dir als Patient!", flüsterte der Pessimist in mir, aber diesen Gedanken schob ich ganz schnell beiseite.

„Hmmm ...", machte ich, um etwas Zeit zu schinden und die Nähe zu ihm einfach zu genießen. „Unterschiedlich.", gestand ich dann doch einmal, um meinen Doc nicht allzu lange auf die Folter zu spannen. „Meistens fängt es langsam an und dann in einer Extremsituation nimmt es überhand. Dann hab ich das Gefühl, es würde mich innerlich zerreißen und das ist der schnellste Weg, Linderung zu schaffen."

Wieder schwiegen wir, er schien sich aber so seine Gedanken zu machen, denn seine Stirn lag in Falten. Nur zu gern hätte ich da hin gefasst und sie geglättet, aber ich behielt meine Finger bei mir. Irgendwas sagte mir, dass so ein Annäherungsversuch bei Michael nicht gerade gut ankommen würde.

„Was war vor ein paar Tagen los, wenn ich fragen darf?", stellte er endlich die Frage, auf die ich schon lange gewartet hatte.

„Mein Freund ...", ich unterbrach mich selbst und korrigierte. „Mein Ex-Freund war der Meinung, hier in meinem Apartment und in meinem Bett, mit irgendeinem drogenabhängigen Stricher, den nächsten „Der Rockstar und der Twink Porno" zu drehen." Irgendwie hatte ich gerade das Gefühl, dass diese Eskapade schon Wochen her war. Es berührte mich nicht einmal mehr.

Steve war ein Arsch. Die ganze zweimonatige Beziehung war er ein Arsch gewesen. Aber ein verdammt gut aussehender Arsch, der dazu auch noch verdammt gut ficken konnte. Ab und an, oder meist reicht das aus, um mich um den Finger zu wickeln.

„Nicht nett ...", dabei sah der Doc tatsächlich entsetzt aus. Sowas kam wohl in seiner heilen Welt nicht vor. Er war bestimmt eine treue Seele, dem niemals in den Sinn kommen würde fremdzugehen. Und das im Bett vom eigentlichen Lover ... auf seine Kosten. Okay, so ganz war ich wohl noch nicht darüber hinweg und es stieß mir immer noch sauer auf.

„Schon ok ... Ich hätte es kommen sehen müssen!", stellte ich fest. Hätte ich wirklich. Steve war Musiker und zwischen den einzelnen Gigs nur auf der Suche nach einer noch größeren Party. Sex, drugs und Rock ‚n' Roll war zu hundert Prozent sein Leben. Bei Sex und Rock ‚n' Roll war ich anfangs immer dabei, nur irgendwann musste ich auch arbeiten, was nicht gerade leicht fiel, wenn man verkatert und missgelaunt aus einem Rausch erwachte, nur um kurze Zeit später in den nächsten zu rutschen.

Da mir mein liebstes Julchen, alias meine Lektorin, mit der aktuellen Geschichte im Nacken saß, musste ich wohl oder übel die Partys sausen lassen. Die Szene vor ein paar Tagen war nur meine Strafe dafür. Wenn ich ihn nicht mehr wollte, gäbe es genug die Schlange standen.

„Nein ...", stieß Micha aufgebracht hervor. „Es gibt nichts, was so ein Verhalten rechtfertigt!"

Oh je ... mein hübscher, naiver Doktor. Aber in seiner Welt war das wahrscheinlich tatsächlich der Fall.

Mr. Unverbesserlich (Mr. 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt