Die Tür wurde aufgerissen und ich zuckte auf der Stufe, auf der ich saß, zusammen. Mein armer Po war schon ganz taub vom vielen Sitzen und der Kälte, die hier im Treppenhaus herrschte. Wurde aber auch Zeit, dass der wehrte Herr, endlich wieder auftauchte.
„Finn ..." Überrascht mich zu sehen, machte er gleich mal einen Satz nach hinten. Mit wem hatte er denn bitteschön gerechnet? Mit dem Weihnachtsmann? Nein, nur Finn, der zum Leben erweckte Eiszapfen.
„Ja, ich! Wer sonst?", fuhr ich ihn wenig begeistert an, während ich ihn zu mustern begann. Verstrubbelte Haare, gerötete Wangen, hastig angezogene Klamotten, da nicht alle Knöpfe des Arztkittels in das passende Loch geknöpft wurden. „Ihr hattet Sex!" Keine Frage, eine reine Feststellung! Gott, ich hätte ihm glatt um den Hals fallen können! Scheinbar hatten sie endlich ihre Differenzen beseitigt. Wurde aber auch Zeit!
„Wie ... wieso bist du nicht ...?", stotterte der Doktor scheinbar ertappt und überrumpelt zu gleich.
„Was? Eis essen?", half ich ihm Augen rollend auf die Sprünge und er nickte. „Ja, soll ich etwa barfuß durch den Schnee stapfen?" Dabei deutete ich nach unten und sein Blick folgte meinem Finger. Demonstrativ wackelte ich mit meinen nackten Zehen. Der wollte mich so schnell aus dem Weg haben, dass ihm das gar nicht aufgefallen war. Gott sei Dank, hatte ich mehr an, als ein Handtuch um die Hüften. Bei meinem Glück hätte er mich auch darin vor die Tür gesetzt und Stunden warten lassen. „Wenn ich mich jetzt erkältet habe, während ihr euch durch die warmen Lacken gewälzt habt, kannst du was erleben! Dann kommst du wieder tagtäglich her und pflegst mich! Haben wir uns verstanden?"
Hinten in der Wohnung erklangen Geräusche und der Mann vor mir wurde zuerst blass und dann merklich nervös.
„Das tut mir leid!", murmelte er und sah gleichzeitig panisch über die Schulter. „Aber... Aber ich muss jetzt ganz dringen weg!"
Er wollte bereits die Stufen hinunter, als ich ihn an der Kapuze seines Mantels zu fassen bekam.
„Halt! Stopp!", fuhr ich ihn an und griff fester zu, damit er mir ja nicht entwischte. „Was ist hier los?" Fragend musterte ich sein Gesicht, als es mir auch schon wie Schuppen von den Augen fiel. „Nein ...", stöhnte ich und hätte am liebsten meinen Kopf an die Mauer geschlagen. „Wieso haust du ab? Ihr hattet doch eindeutig Sex, ihr liebt euch beide, was noch eindeutiger ist! Ihr vertragt euch jetzt endlich! Auf der Stelle! Gott, Jungs, das ist doch echt nicht so schwer." Ja ich klang wehleidig und frustriert, aber das durfte ich mittlerweile.
Ich liebte es ja durchaus, in meinen Geschichten kleinere und ausgewachsene Dramen einzubauen, das hier ging aber eindeutig zu weit. Wie konnte man nur so bescheuert sein?
„Finn ... das verstehst du nicht!"
„Was versteh ich nicht?", wütend funkelte ich ihn an. Diesmal würde er mir nicht so einfach davon kommen.
„Er geht weg und ich ...", er stockte, wusste nicht recht, was er sagen sollte.
„Ja, aber er geht deinetwegen weg, du Vollidiot!" Diese zwei Spaßvögel trieben mich in den Wahnsinn. Ich hatte hier meine eigenen Probleme, um die ich mich dringend kümmern musste. Da war dieses selbstgefällige Arschloch, mit den dunkelsten Augen, die ich je gesehen hatte. Der mich um den Verstand brachte und mit dem ich mich jetzt wirklich einmal auseinandersetzen musste. Und keiner von den beiden war in der Lange mir zu helfen. Auch nur zuzuhören. Wo kamen wir denn hin, wenn ich meine Probleme jetzt ganz alleine auf die Reihe bekommen musste? Das ging so eindeutig nicht weiter! „Arne will doch nicht dabei zusehen, wie du dich in den Nächstbesten verliebst und so auf seinem armen gebrochenen Herzen herumtrampelst. Noch dazu mit mir befreundet bist, ihn aber Abblitzen lässt und auf Abstand hältst. Das ist doch eine Qual!"
„Aber ... aber ...", stotterte er erneut drauf los. „Du hast doch gesagt, es bleibt ein Geheimnis, dass wir befreundet bleiben.", fand er scheinbar endlich die richtigen Worte.
Ja genau Herr Doktor, das war die Kernaussage, die ich mit meiner Message vermitteln wollte. Vielleicht sollte ich ihm ein großes Schild malen, auf dem in fetten Lettern ‚ARNE LIEBT DICH, DU VOLLPFOSTEN!!!', drauf steht. Vielleicht würde es dann endlich mal Klick machen. Oder ich tanz es, à la Walldorf. Oder diese Worte mit dem Edding auf seine Stirn zu pinseln, war doch auch eine sehr verlockende Idee. Dann konnte er es sich jedes Mal, wenn er in den Spiegel sah, betrachten.
„Ich lüge doch meinen Bruder nicht an!" Genervt schüttelte ich den Kopf. Statt mich hier aufzuregen, sollte ich ganz dringend in das Büro von diesem Möchtegern Geschäftsführer marschieren und ihm gehörig in den Arsch treten. Ich war der Star seines Verlags, so konnte er einfach nicht mit umspringen! Das Beste wäre, ich suchte mir einen neuen Verleger. Einen, mit weniger gefährlichen Augen und einem nur halb so großen Ego.
Richtig hässlich würde sicherheitshalber auch nicht schaden.„Aber mich?", holte mich Michael netterweise zurück in die Realität. Immer dieses bla, bla, bla ... Man, man ... ich sollte ihnen allen beiden den Hals umdrehen.
„Ich hab dich echt lieb Micha, aber du bist dennoch nicht mein Bruder!" Zuckte ich stattdessen mit den Schultern, man musste schon Prioritäten setzen. Ich hätte es Arne jetzt nicht gerade auf die Nase gebunden, aber verheimlicht hätte ich wiederum auch nichts. „Der arme Kerl gesteht dir, dem ersten Mensch neben mir und unseren toten Eltern, seine Liebe und du trittst seine Gefühle mit Füßen?! Findest du nicht auch, dass er genug gesühnt hat? Du weißt doch, wie sehr es ihm leidtut! Wie sehr er dich zurück will. Also wovor rennst du jetzt wirklich davon? Von Arne, oder vor deinen Gefühlen ihm gegenüber?" Ich hatte mich wahrlich in Rage geredet. Das musste doch jemand mal gesagt haben. Vielleicht rüttelte es den Doktor ja etwas auf! Er setzte gerade an, etwas zu erwidern, da wurde ich hart am Oberarm gepackt.
„Ist gut, Finn! Sag ‚Tschüs' und ab in dein Zimmer!", knurrte mich mein liebreizender Bruder an. Herrgott, würde er jetzt auch noch anfangen? War nicht ich sonst der kindische Part?
„Aber ...", wagte ich trotzdem einen Versuch. Doch vergeblich! „Kein aber!", fiel er mir ins Wort. „Und jetzt ab." Grob zog er mich Richtung Haustür und schubste mich regelrecht hindurch.
„Es tut mir leid, Michael! Er hatte kein Recht, all diese Dinge zu sagen! Du kannst jetzt natürlich gehen! Mach's gut ..." Drehte sich zu mir um und erdolchte mich regelrecht mit seinen Blicken.
Na super! Jetzt war seine Laune noch beschissener als zu vor. Und bei meinem Glück, würde er nun tatsächlich nach Frankreich abdüsen, statt seinen Lebenstraum hier zu erfühlen, wie er es sich schon seit längerem wünschte.
Ich wollte nicht, dass mein Bruder ging! Sicher konnte ich mit, aber ich wollte auch nicht von hier verschwinden. Wir waren erst seit ein paar Jahren wieder hier im Lande, nach dem langen Aufenthalt in Amerika. Mir gefiel es hier besser. Hier war ich daheim. Schniefend riss ich mich von Arne los und stürmte in mein Zimmer.
„Mensch, Finn!", rief er mir noch nach, aber ich wollte es nicht hören. Der konnte mir getrost den Buckel herunterrutschen und sich einreden, wie okay es für ihn war, dass Michael einfach ging. Aber es war nicht okay. Nicht für ihn und auch nicht für mich!
Idioten waren das, alle beide!
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Mr. Unverbesserlich (Mr. 2)
RomanceWas passiert, wenn man aus Verliebtheit eine Stelle annimmt, nur um seinem Schwarm nahe zu sein? Ganz einfach, man zieht die goldene Arschkarte! Vor allem, wenn der vermeintliche Mr. Right, seinen eigenen Mr. Right bereits gefunden hat und man infol...