1. Schreibblockade

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„Wie gefährlich es doch ist, jemanden zu haben, dessen Verlust schmerzen könnte."

Nein.

„Sie sahen sich an, gefangen zwischen Liebe und Hass."

Nein.

„Am Ende sind es diejenigen, die wir lieben, die uns am meisten verletzen. Und am Anfang auch."

Nein.

Ich ließ meinen Zeigefinger auf der Tastatur meines Laptops ruhen und beobachtete, wie die Wörter Buchstabe für Buchstabe von ihrem weißen Untergrund verschwanden. Die Null in der unteren Ecke des Bildschirms grinste mir höhnisch entgegen.

Seit ich das Café kurz nach einer weiteren Standpauke von Bernd Herold betreten hatte, war die Sonne am Himmel hinter die höchsten Gebäude gesunken, der Erdbeermilchshake zu meiner Rechten war halbleer. Und trotzdem hatte ich nichts in der Hand, das ich meinem Agenten in der nächsten Woche überreichen konnte, um ihn zu beruhigen. Keine Seite, keinen Paragraphen, nicht einmal ein einziges Wort. Meine Gedanken glichen dem Bildschirm meines Laptops, beides war wie leergefegt.

Seufzend legte ich den Kopf in den Nacken. Von meinem Stammplatz in der Mitte des Raumes konnte ich meinen Blick unbemerkt über die übrigen Besucher schweifen lassen, die einen Großteil der Plätze besetzten. Das ‚Grün und Weiß'-Café machte seinem Namen alle Ehre, lediglich seine Kunden bildeten Farbkleckse zwischen der Möblierung und den Kakteen, die mittig auf den Rundtischen platziert worden waren.

Doch obwohl die Cafébesucher von außen betrachtet gleich zu sein schienen, weil sie – ähnlich wie ich selbst – mit einem Milchshake oder Kaffee neben sich auf ihre Bildschirme starrten, wild auf Tastaturen einhämmerten oder angeregt telefonierten, war jeder von ihnen in seine eigene Welt versunken, ohne einen seiner Tischnachbarn auch nur anzusehen.

Ich klappte meinen Laptop zu, es hatte keinen Sinn, an etwas zu arbeiten, von dem ich nicht einmal wusste, was es werden sollte. Angestrengt kramte ich in meinen Gedanken nach einer Idee. Ein winziger Funke, den ich zu Papier bringen konnte, um meinen Alltag von dem Druck zu befreien, den mein Agent mir seit Monaten bereitete. Aber die Schreibblockade war, entgegen aller Drohungen und Schimpfwörter Herolds, noch immer mein treuer Begleiter. Meine Fantasiefreunde hatten ihre regen Gespräche in meinen Gedanken eingestellt.

Schlürfend leerte ich meinen Erdbeermilchshake, den Blick dabei auf den Punkt gerichtet, den mein Laptop vor wenigen Sekunden noch verdeckt hatte.

Am anderen Ende des Cafés saß ein junger Mann, der in seinem schwarzen T-Shirt zwar einen weiteren gleichen Farbklecks bildete, im Gegensatz zu jedem weiteren Anwesenden allerdings konzentriert auf einen Zeichenblock starrte. Seine Hand flog regelrecht über das Papier und ich fragte mich, warum ich das Kratzen seines Stiftes nicht schon früher bemerkt hatte. Beiläufig schob er eine honigbraune Haarsträhne aus seinem Sichtfeld, jede seiner Bewegungen wirkte leicht, als wäre es für ihn das Normalste der Welt, den Tag im ‚Grün und Weiß' ausklingen zu lassen.

Doch ich wusste, dass dem nicht so war.

Die meisten der Besucher waren wie ich selbst Stammkunden, deren Ankunftszeiten und Bestellungen genauso zur Tradition des Cafés gehörten, wie es die Kakteen auf den Tischen taten. Ich sah sie, sie sahen mich, und obwohl wir einander vollkommen fremd waren, lernten wir uns während unseres Aufenthalts von einer Seite kennen, die unsere Mitmenschen kaum zu Gesicht bekamen.

Ein junger Arzt betrat das ‚Grün und Weiß' immer pünktlich bei Sonnenuntergang, vermutlich am Ende seiner Schicht, bestellte sich einen schwarzen Kaffee und fuhr mit dem Rettungswagen die Straße hinunter.

Der Platz direkt neben der Tür wurde von einem dunkelhäutigen Mädchen besetzt, das, ohne etwas zu bestellen, auf den Tisch vor sich starrte. Nicht einmal der Arzt, der mit ausladenden Schritten täglich ihren Platz passierte, konnte sie dazu bringen, den Kopf zu heben. Ich hatte sie das Café noch nie verlassen sehen, sie blieb sitzen, wenn ich ging und wartete bereits, wenn ich wieder einen Fuß auf die hellen Fliesen setzte.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt