11. Ersatzbank

8 4 0
                                    

Van warf mir einen mitleidigen Blick zu, als Angie sich endlich erhob und nach ausgiebiger Verabschiedung das Café verließ. Während der letzten Minuten unseres Gesprächs war ich nicht nur immer unaufmerksamer geworden, sondern hatte hilfesuchend zu Van gesehen, der mich, mit seinem Zeichenblock in der Hand, nur amüsiert beobachtet hatte.

Ich war fest entschlossen, ihn dafür, dass er mir nicht geholfen hatte, bezahlen zu lassen. Mit ausladenden Schritten marschierte ich auf ihn zu.

Gespielt ängstlich kauerte er sich auf seinem Stuhl zusammen, er griff nach dem Kaktus auf der Tischmitte und hielt ihn wie eine Waffe schützend vor sich.

„Verzeih mir, ehrwürdige Lizzy."

Seine Stimme zitterte, doch auf seinen Lippen lag ein schelmisches Grinsen.

Ich stieß ihn in die Seite, nur mit Mühe konnte Van sich sein Lachen verkneifen.

„Ich dachte, sie hört nie wieder auf, zu reden.", seufzte ich, als ich mich gegenüber von Van niedergelassen hatte. „Sie war freundlich und hat mir eine schöne Geschichte erzählt, aber am Ende war es wirklich zu viel."

Van nickte verstehend, obwohl ich nicht glaubte, dass er meine Probleme nachvollzog. Bevor ich ihn in Angies Worte einweihen konnte, griff er nach seinem Block und dem schwarzen Kugelschreiber, der auf meine Tischhälfte gerollt war.

„Wie auch immer, ich muss Markus vom Fußball abholen. Wir wollen noch ins Kino."

Unschuldig zwirbelte ich eine meiner Strähnen zwischen den Fingern betrachtete die blonden Haarspitzen, um Van keinen verurteilenden Blick zuzuwerfen.

„Kann ich mitkommen? Ich fand es schön, neulich Zeit mit euch zu verbringen."

Van seufzte, heute musste ich offenbar weniger Überzeugungsarbeit leisten.

„Von mir aus.", stimmte er zu, obwohl ich schon längst neben ihm stand, bereit, ihn zu begleiten.

Ich folgte ihm nach draußen.

Der schwarze SUV stand wie gewöhnlich direkt vor dem Eingang des ‚Grün und Weiß'. Er öffnete die Beifahrertür, die ein wenig quietschte, und bedeutete mir, einzusteigen. Im Inneren des Wagens roch es nach würzigen Zigaretten, der Stofffußball baumelte am Rückspiegel. Obwohl nichts an dem abgestanden Fahrzeug meinem Geschmack entsprach und ich jeden der Kratzer am liebsten professionell hätte entfernen lassen, mochte ich Vans Auto, das ihm erstaunlich ähnlich war.

Van ließ sich auf den Fahrersitz fallen, während seine Jeans einen Farbklecks in dem dunklen SUV bildete, verschmolz sein schwarzer Pullover förmlich mit den Sitzbezügen.

„Gib mir mal eine Zigarette und das Feuerzeug."

Er deutete auf das Handschuhfach.

Ein wenig unbeholfen öffnete ich die schmale Schachtel, die mindestens so teuer war, wie drei Erdbeermilchshakes. Nur noch zwei Zigaretten warteten in ihrem Inneren darauf, angezündet zu werden. Angeekelt reichte ich Van eine davon.

„Markus hasst es, dass ich rauche."

Erleichtert blies er den graublauen Qualm aus dem offenen Fenster in die Abendluft.

Kurz überlegte ich, Markus zuzustimmen, dann schüttelte ich den Kopf.

„Jeder Mensch hat sein Laster, für dich ist es das Rauchen, für mich sind es die Erdbeermilchshakes."

Van lachte heiser, während er den Wagen auf die Straße lenkte.

„Du bist abhängiger von Milchshakes als ich von Zigaretten, richtig?"

Verlegen nickte ich, ein schwaches Grinsen schlich sich auf meine Lippen. Ich beobachtete, wie der Rauch, dessen Farbe Vans Augen glich, aus seinem Mund im kühlen Wind verflog.

Entgegen aller Dinge, die ich in meinem Leben über Zigaretten und deren Folgen gelernt hatte, waren Vans Hände und Zähne nicht gelb und auch seine Haut hatte keinen grauen Unterton. Lediglich seine Augenringe deuteten darauf hin, dass er dem Nikotin verfallen war.

Und doch war er zweifellos schön. Wie sein honigbraunes Haar sein Gesicht umrahmte, wie er die linke Hand locker aus dem Fenster hielt, damit der Qualm nicht ins Innere des Wagens zog, die Art, wie er seinen Blick desinteressiert über seine Umwelt gleiten ließ – alles an Van wirkte unbeschwert. Er schien sich über nichts unnötig Gedanken zu machen und das faszinierte mich.

Auf dem Parkplatz des Stadions wartete Markus bereits auf uns. Er hielt seine Sporttasche in der Hand, seine Haare waren vom Duschen noch nass und fielen ihm in sanften Wellen ins Gesicht.

Ohne zu zögern, nahm ich auf der Rückbank Platz, doch auch heute setzte sich Markus zu mir.

„Hey Lizzy. Hat Fanboy es geschafft, dich mal wieder mitzunehmen?"

Er deutete in Vans Richtung, der sich auf dem Fahrersitz versteifte.

„Seit ich erfahren habe, dass ihr euch kennt, nenne ich ihn nur noch so."

„Richtig.", kommentierte Van wenig begeistert und ich musste mir ein Lachen verkneifen.

Bevor ich allerdings etwas erwidern konnte, begann Markus, zu schimpfen.

„Der Trainer hat mich heute schon wieder auf der Bank gelassen! So ein Müll, als wäre ich kein guter Spieler mehr, nur weil ich ein einziges Eigentor gemacht habe. Noch dazu eins von der Sorte, an dem ich keine Schuld habe."

Er raufte sich die Haare, Wassertropfen flogen von seinem Kopf durch das Innere des SUVs.

„Das ist so ein Schwachsinn! Wenn ich nicht spiele, komme ich nie in einen besseren Verein. Wie soll ich denn irgendeinen Trainer von mir überzeugen, wenn ich nur auf der Ersatzbank hocke?"

Entrüstet warf Markus die Arme in die Luft.

Während Van unbeeindruckt durch den abendlichen Verkehr lenkte, zuckte ich mit jedem seiner Worte zusammen. Markus' sonst leise, näselnde Stimme überschlug sich förmlich vor Wut.

„Du willst in einen besseren Verein?", fragte ich, um die angespannte Stimmung ein wenig zu lösen.

In Markus' schokoladenbraunen Augen lag pure Begeisterung, seine schlechte Laune war wie weggeblasen. Er lehnte sich auf seinem Sitz zurück und drehte sich zu mir, um mir genau ins Gesicht sehen zu können.

„Ich bin jetzt schon erfolgreicher als jeder der Idioten, mit denen ich während meiner Schulzeit Fußball gespielt habe, aber ich will mehr als unseren kleinen Stadtverein. Mein Ziel ist die deutsche Nationalmannschaft."

Er senkte die Stimme zu einem mysteriösen Flüstern, sodass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen. Seine Wangen waren vor Ehrfurcht gerötet.

„Ich werde den Trainer schon dazu bringen, mich spielen zu lassen. Spätestens, wenn wir kurz vor dem Abstieg stehen, wird er mich wieder aufs Feld lassen."

Ich versank förmlich in seinen Augen. Seine Worte klangen wie eine Drohung und ich konnte nicht verhindern, dass Markus mir Angst einjagte. Er schien nicht abgeneigt davon zu sein, seinem Trainer etwas anzutun, um seinen Willen durchzusetzen. Der Gedanke daran schickte einen Schauer eiskalter Rattenfüße über meinen Rücken, ich begann, mich unwohl zu fühlen. Schützend verschränkte ich die Arme vor der Brust.

Der SUV kam auf dem Kinoparkplatz so abrupt zum Stehen, dass ich fast von meinem Sitz gefallen wäre.

Markus' Blick lag noch immer auf mir.

Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Ich beobachtete, wie er schließlich ausstieg und atmete tief durch, bevor ich den beiden Männern in Richtung Kino folgte. So sympathisch sie mir auch waren, jeder von ihnen hatte etwas an sich, das ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend auslöste. Doch ich hatte nicht vor, herauszufinden, was es war.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt