8. Zeichnungen

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Vans Blick lag gespannt auf mir, als Jannick das Café verließ und ich allein an seinem Tisch zurückblieb.

Ich griff nach meinem Laptop und nahm gegenüber von Van Platz, der augenblicklich seinen Zeichenblock zuklappte.

„Was war das denn gerade?"

Er deutete in die Richtung, aus der ich eben gekommen war. Amüsiert zog ich eine Augenbraue nach oben.

„Was meinst du?"

Van lehnte sich seufzend auf seinem Stuhl zurück, sein Blick war ausdruckslos.

„Das Gespräch mit dem Typen da. Er hat dich mit seinen Augen fast ausgezogen."

Ein Grinsen breitete sich auf meinen Lippen aus.

„Jannick ist harmlos, er hat mir seine Geschichte für mein Buch erzählt."

Zufrieden trank ich einen Schluck meines Erdbeermilchshakes. Fast erwartete ich, dass Van ebenfalls die Kalorienanzahl des Getränks kommentieren würde, wie Jannick es mehrfach getan hatte, doch er blieb stumm.

Statt unser Gespräch weiter fortzusetzen, öffnete er seinen Zeichenblock und kritzelte angestrengt auf eine freie Seite. Sein honigbraunes Haar fiel ihm ins Gesicht. Im Licht der Kronleuchter schien es golden zu glänzen. Ich hatte noch nie jemanden mit dieser Haarfarbe gesehen und fragte mich, ob sie einfach gefärbt war. Doch ich hielt Van nicht für jemanden, der bei seinen Friseurbesuchen Geld für etwas anderes ausgab als das Schneiden seiner Haare.

„Du zeichnest sehr gut. Ich finde, du solltest etwas aus deinem Talent machen.", begann ich, als ich die peinliche Stille nicht mehr ertrug.

Van sprang nicht sofort auf meine Aussage an, sondern blätterte durch seinen Block, als wollte er sich selbst davon überzeugen, dass ich die Wahrheit gesagt hatte. Schließlich hob er den Kopf und sah mir unbeeindruckt in die Augen.

„Ich halte sie gar nicht für so gut. Es sind einfach die Cafébesucher, wie ich sie wahrnehme."

Er deutete willkürlich auf eine seiner Zeichnungen. Sie zeigte ein Mädchen, das die Hände auf dem Tisch vor sich abgelegt hatte und ins Leere starrte. Es war Lydia, wie sie vor unserem Gespräch ausgesehen hatte. Danach war ich ihr nicht mehr über den Weg gelaufen. Obwohl es sich nur um eine Bleistiftzeichnung handelte, hatte Van ihre leblosen Augen und die lockigen Haare so gut getroffen, dass es sich unwiderlegbar um sie handelte.

„Wie du schon gesagt hast, jeder von ihnen hat seine eigene Geschichte und es ist interessant, sie festzuhalten."

Ich glaubte, Van würde unser Gespräch sofort wieder aufgeben, doch er schob seinen Block zu mir herüber.

„Das ist meine Lieblingszeichnung."

Neugierig beobachtete Van, wie ich mit den Fingerspitzen vorsichtig über das kleine Bleistiftmädchen strich, das mit dem Rücken zu seinem Betrachter vor der Theke stand und einen Arm nach oben streckte, um seinen Milchshake entgegen zu nehmen. Die Kleine war gerade einmal so groß wie der Barhocker zu ihrer Rechten. Die Latzhose, die sie trug, war ihr deutlich zu weit.

„Wer ist das?", fragte ich, ohne von dem Block aufzusehen.

Van zuckte die Schultern.

„Ich weiß es nicht. Sie kam einmal hier her, danach habe ich sie nie wieder gesehen."

Ich versuchte, mir jeden Bleistiftstrich ihres schmächtigen Körpers einzuprägen, jede Haarsträhne, die aus ihren Zöpfen gerutscht war und jede Falte ihrer Hose. Es war zweifellos eine der schönsten Zeichnungen, die ich je gesehen hatte. Ich wusste nicht, was es war, doch irgendetwas an dem Mädchen bewegte mich und brachte mich zum Schaudern.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt