38. Nationalmannschaft

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Der Gummiboden quietschte unter meinen Sohlen, als ich mir meinen Weg durch das Krankenhaus bahnte. Die Empfangsdame mit dem schokoladenbraunen Haar schien sich nicht an unsere letzte Begegnung zu erinnern. Sie begrüßte mich freundlich und beschrieb mir den Weg zu Zimmer 194, als hätte sie mir nie vom Tod meiner Mutter erzählt und mich kurz darauf zur Ruhe aufgefordert, weil ich im Gespräch mit meinem Agenten die Beherrschung verloren hatte.

Trotzdem spürte ich ihren Blick auf mir, als ich den Eingangsbereich verließ und den Aufzug betrat, um in die erste Etage zu fahren.

Ich kannte den Weg inzwischen so gut wie den zum Zimmer meiner Mutter, doch es fühlte sich falsch an, in dem Wissen über den Gang zu spazieren, dass sie inzwischen nicht mehr in diesen Räumen untergekommen war.

Als ich vor der Tür stand und die Hand zum Anklopfen hob, hielt ich inne. Aus dem Inneren des Raumes drangen Stimmen zu mir auf den Flur hinaus. Ich legte die Finger an das kühle Holz und lauschte.

„Herr Stoll, Sie müssen Ihr Bein wieder belasten, sonst werden Sie sich nie von Ihrer Verletzung erholen."

Es folgte ein unechtes Lachen, kurz darauf ertönte Markus' näselnde Stimme. Er sprach so leise, dass ich Mühe hatte, ihn zu verstehen.

„Schwachsinn, dank Ihnen bin ich doch erst an dieses Bett gefesselt!"

Ich hörte ein Seufzen, dass ich dem Arzt zuordnete.

„Es dauert Monate, bis der Kreuzbandersatz seinen Aufgaben vollständig gewachsen ist, Herr Stoll. Je eher wir mit der Rehabilitation beginnen, desto schneller können wir den Ersatz entlasten und Ihr Knie stabilisieren. Ob eine Fußballkarriere jemals wieder infrage kommt, liegt allein an Ihnen. Wir warten nur noch auf Ihre Zustimmung, um mit der Rehabilitation zu beginnen."

Erschrocken wich ich von der Tür zurück, als ich Schritte auf der anderen Seite hörte. Tatsächlich öffnete ein Mann in weißem Kittel kurz darauf die Tür. Er betreute Markus seit dem Unfall, doch sein graues Haar war während der letzten Wochen dünner geworden. Er begrüßte mich mit einem freundlichen Lächeln, das ich unschuldig erwiderte, bevor ich hinter ihm in Markus' Zimmer verschwand.

„Hey Lizzy. Schickt dich Fanboy oder das schlechte Gewissen, dass du deinen besten Freund so lange nicht besucht hast?"

Van hatte mich weder dazu aufgefordert, Markus zu besuchen, noch hatten seine Erzählungen über den Zustand seines Ehemannes in mir ein schlechtes Gewissen ausgelöst. Jetzt, wo ich an dem Bett meines Freundes stand und sah, wie schmal er unter der weißen Decke geworden war, stellte ich jedoch fest, dass es ein bisschen von beidem gewesen sein musste, das mich zu meinem Besuch ermutigt hatte.

„Du siehst schlecht aus.", begrüßte ich ihn wahrheitsgemäß.

Seine Wangen waren eingefallen, seine Augen, deren Farbe der einer Zartbitterschokolade glich, wirkten zu groß für sein Gesicht. Er war blasser, als ich ihn in Erinnerung hatte.

„Danke für deine aufbauenden Worte, da fühle ich mich sofort wohl in deiner Gegenwart."

Markus verschränkte die dürren Arme vor der Brust und musterte mich abschätzig. Das Lächeln war von seinen Lippen verschwunden.

„Tut mir leid, ich habe nur erwartet, dass es dir besser geht, schätze ich."

Ich zuckte die Schultern, aber Markus schien mir nicht zugehört zu haben. Er richtete sich ein wenig auf, um die Hände unter den Kopf zu schieben. Seine schwarzen Haare waren lang geworden und verteilten sich in wirren Strähnen auf dem Kissen.

„Schwachsinn, hier drin kann man sich nicht erholen."

Markus machte eine vage Handbewegung in Richtung Decke. Die monotone Einrichtung wirkte deprimierend und ich verstand, dass er sich an den weißen Vorhängen, Wänden und Möbeln sattgesehen hatte.

„Außerdem bin ich zu alt, um in die Nationalmannschaft zu kommen, die Verletzung wirft mich um Monate zurück."

Er seufzte, in seinen Augen glänzten Tränen. Ihn so am Ende seiner Kräfte zu sehen, versetzte meinem Herzen einen Stich. Von seiner Kämpfernatur war nichts mehr übrig geblieben.

„Weißt du noch, als du mir von Bert Trautmann erzählt hast?"

Markus' Blick schoss in meine Richtung. Seine Augen waren schockgeweitet, als hätte ich ihm gerade erzählt, dass sein Kreuzbandriss niemals existiert hatte.

„Genial, dass du dir das gemerkt hast."

In seiner Stimme lag ehrliche Begeisterung, seine Lippen umspielte ein Lächeln.

„Natürlich! Er hat im FA-Cup-Finale einen Genickbruch erlitten und hätte mit ein bisschen Pech wirklich sterben können. Tja, dagegen ist dein Kreuzbandriss lächerlich."

Markus legte die Stirn in Falten, sein Blick verfinsterte sich. Er verschränkte die Arme vor der Brust, unschlüssig, wie er reagieren sollte.

„Wie meinst du das?"

Nur mit Mühe konnte ich mein Grinsen zurückhalten, obwohl es sich falsch anfühlte, dass sich meine Mundwinkel beinahe wie von allein hoben. Doch ich hatte ihn fast und biss mir auf die Zunge, um nicht aufzugeben. Betont unschuldig lehnte ich mich zu ihm herüber.

„So, wie ich es sage. Bert hat keinen einzigen Ball ins Tor gelassen, obwohl er vor Schmerzen zu Boden gegangen ist. Und du liegst im Krankenhaus und traust dich nicht, dein Bein zu belasten, obwohl du längst mit der Reha hättest anfangen müssen. Wenn das so weiter geht, wirst du nie wieder spielen können, schätze ich."

Aus Markus' Augen sprühten Funken der Wut. Seine Wangen nahmen ein dunkles Rot an, er ballte die Hände so fest zu Fäusten, dass seine Knöchel weiß unter seiner Haut hervortraten.

„Red keinen Müll.", fauchte er.

Spätestens jetzt konnte ich das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht verbannen, so sehr ich es auch versuchte. Ich hatte seinen wunden Punkt gefunden und würde darin herumbohren, bis Markus seinen Ehrgeiz zurückerlangt hatte.

„Das ist kein Müll. Wenn du in die Nationalmannschaft willst, musst du etwas dafür tun, das hast du neulich selbst gesagt."

Unschuldig zuckte ich die Schultern, während er immer weiter kochte.

„Ich würde alles dafür tun, um zur DFB-Elf zu gehören, das weißt du! Hör auf, mir so einen Schwachsinn zu unterstellen!"

Seine Stimme überschlug sich. Noch nie hatte ich ihn derart wütend erlebt, die Adern an seinem Hals traten so stark hervor, dass ich glaubte, sie würden platzen. Die Röte hatte sich von seinen Wangen zu seinen Ohren ausgebreitet.

„Tja, wenn das so ist, dann ruf den Arzt und sag ihm, dass du so schnell wie möglich mit der Reha beginnen willst."

Tatsächlich hob Markus die Hand und drückte die Klingel neben seinem Bett. Als wenige Augenblicke später eine junge Krankenschwester das Zimmer betrat, hatte sie die Stirn besorgt in Falten gelegt. Markus' Wutanfall war ihr sicher nicht entgangen.

„Ich möchte mit dem Arzt sprechen, sofort!"

Markus spuckte ihr die Worte förmlich entgegen, mit der rechten Faust schlug er auf die Matratze, um seine Forderung zu unterstreichen.

Kaum hatte die dunkelhaarige Frau fluchtartig den Raum verlassen, begann ich, zu kichern.

„Ich wusste doch, dass der alte Markus noch irgendwo in dir steckt. Pass auf, dass du ihn kein zweites Mal verlierst."

Erleichterung breitete sich in Markus' Gesicht aus. Er schien verstanden zu haben, was gerade passiert war. Zufrieden sah er an sich herunter.

Stolz machte sich in mir breit. Ich konnte nicht verhindern, nostalgisch zu werden, als ich meinen Freund musterte. Vor mir saß wieder der ehrgeizige, wenn auch ein wenig vorlaute Mann, den ich vor wenigen Monaten kennengelernt hatte.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt