43. Johanna

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„Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen?"

Sie stand in meinem Türrahmen, als hätten wir niemals unsere Freundschaft beendet. Ihre leuchtend roten Haare reichten inzwischen bis zu ihrer Taille, doch in ihren Augen lag dieselbe nussbraune Wärme, die ich bereits aus Kindertagen kannte. Ich glaubte sogar, kleine Farbspritzer zu erkennen, die sich zwischen ihre Sommersprossen geschummelt hatten.

Ehe ich etwas dagegen tun konnte, traten die Freudentränen in meine Augen. Ich hielt mir die Hand vor den Mund, um nicht aufzuschreien, als ich das schiefe Grinsen in ihrem Gesicht sah. Sie wirkte so fehl am Platz inmitten des Laubes, das sich auf den Treppenstufen gesammelt hatte, und doch war es, als wäre mein Zuhause plötzlich wieder zum Leben erwacht.

„Johanna, was machst du denn hier?", kam es über meine Lippen.

Jetzt konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten, sie rannen in Strömen über meine Wangen. Ich schluchzte und bedeckte mein Gesicht mit den Händen. Mein Herz machte Freudensprünge in meiner Brust.

„Das ist alles? Kein ‚Hey, beste Freundin, schön, dich zu sehen.'? Und sowas nach drei Jahren Funkstille."

Ihre Stimme war so hell wie Silber, das in der Sonne glänzte. Sie kicherte, doch als ich an meinen Fingern vorbeilugte, sah ich, dass auch ihre Tränen flossen.

Ich machte einen Schritt auf sie zu und drückte sie an mich, bis ich ihren Herzschlag an meiner Brust spüren konnte und sie an meiner Schulter schluchzte, wie ich es an ihrer tat. Vielleicht verharrten wir zehn Sekunden in dieser Position, vielleicht auch zehn Minuten, ich wusste es nicht. Ich bemerkte weder den kalten Novemberwind der uns um die Ohren pfiff, noch die Blicke der Spaziergänger, die an meinem Haus vorüberschritten. Alles, was zählte, war, dass ich meine beste Freundin in den Armen hielt. Keiner von uns sagte ein Wort, wir lauschten dem Weinen der anderen und gaben einander Halt, der mir während der letzten drei Jahre gefehlt hatte.

Mit aufgequollenen Augen saßen wir wenig später, jeweils mit einer Tasse Tee in der Hand, auf meinem Bett und sahen uns an. Ich winkelte die Beine an und Johanna tat es mir gleich, wie es unsere Routine gewesen war, wann immer es etwas Wichtiges zu besprechen gegeben hatte. Die Situation fühlte sich vertraut an, obwohl unsere letzte Unterhaltung eine Ewigkeit zurücklag. Es war, als wäre ich nach einer langen Reise endlich wieder nach Hause gekommen, die Sehnsucht nach meiner besten Freundin war wie Heimweh von meinen Schultern gefallen.

„Vielen Dank.", durchbrach Johanna schließlich die Stille.

Ich runzelte die Stirn, ihre Worte wirkten ironisch, doch in ihrer Stimme lag Klarheit.

„Konstantin ist vor ein paar Tagen zu mir gekommen und wir haben uns ausgesprochen. Er hat erzählt, dass du bei ihm warst, um dein Verhalten wieder gut zu machen und hat sich für seine Fehler entschuldigt. Das habe ich dir zu verdanken."

Ihre Mundwinkel hoben sich zu einem Schmunzeln, ihre Nase kräuselte sich, wie sie es immer tat, wenn Johanna nicht wusste, wie sie ihre Freude zum Ausdruck bringen sollte.

„Heißt das, ihr seid wieder zusammen?"

Ich umschloss meine Teetasse fester, als Johanna nickte. Mein Herz machte einen weiteren Freudensprung. Ich griff nach ihrer Hand und drückte sie, während ich fröhlich quiekte. Ihre Liebe hatte ausgereicht, um den Punkt am Ende ihres Kapitels zu einem Semikolon zu machen. Die Geschichte war nicht zu dem gleichen abrupten Ende gekommen, wie es Angies und Tills lange davor getan hatte. Meine Mundwinkel schossen in die Höhe.

„Es war schrecklich, sich drei Jahre lang derart einsam zu fühlen, aber ich wusste nicht, wie ich dir verzeihen soll, nachdem du deinen Fehler nie eingestanden hast, verstehst du?"

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt