6. Milchshake-Talk

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Nervös trat ich von einem Fuß auf den anderen, die Aufzugmusik spielte unpassend gelassen im Hintergrund.

Ich hatte mich in meine beste weiße Bluse und eine schwarze Stoffhose geworfen, um meinem Agenten das Probekapitel abzugeben und mit ihm über den momentanen Plan des Buches zu sprechen.

Bernd Herold war ein fanatischer Anzugträger, ich wusste, er legte Wert darauf, dass auch seine Mitmenschen stets angemessen gekleidet und pünktlich zu den vereinbarten Treffen erschienen.

Von seinen Kollegen hatte ich erfahren, dass er vor ein paar Jahren noch ein anderer Mensch gewesen war. Doch seit seinem fünfzigsten Geburtstag hatte er nicht nur einen Großteil seiner Haare verloren, sondern auch einen erheblichen Karriereknick durchlebt.

Er hatte selbst erfolgreich Bücher geschrieben, Auszeichnungen gewonnen und mit seinem Schreibstil gutes Geld verdient, doch seine letzte Arbeit hatte sich plötzlich nicht mehr verkaufen lassen.

Kritiker bezeichneten das Buch als einen billigen Abklatsch seiner vorherigen Werke, ohne neue Ideen oder fesselnde Handlung, also war Bernd Herold aus dem Geschäft ausgestiegen und hatte begonnen, als Agent mit neuen Menschen zusammenzuarbeiten.

Manche seiner Kollegen und der anderen Autoren behaupteten, er wäre nur so fordernd, weil er sich seinen ursprünglichen Erfolg zurückwünschte. Er erwartete schlichtweg nichts als Bestseller.

Diesem Wunsch konnte ich seit meiner Schreibblockade – die übrigen Autoren auch davor – nicht nachkommen, doch jetzt hielt ich mit meinem Probekapitel etwas in den Händen, das dieser Tiefphase ein Ende setzen würde.

Mit einem Piepen öffnete sich die Aufzugtür und ich trat auf den beigefarbenen Teppich, der jeden meiner Schritte verschluckte. Ich folgte dem Gang nach rechts, auf silbernen Metallschildern waren die Namen der Bürobesitzer an den Türen angebracht. ‚Herold' stand am Ende des Ganges in großen Buchstaben auf einem dieser.

Zaghaft klopfte ich und wartete auf die kehlige Stimme meines Agenten, die mich zum Hereinkommen aufforderte.

„Pünktlich wie immer.", kommentierte er, als ich mich in den schweren Ledersessel auf der anderen Seite seines Schreibtischs sinken ließ.

Mit den Fingerspitzen schob ich die gedruckten Seiten meines unbetitelten Buches über das Eichenholz.

„Was muss ich erwarten, wenn ich das Kapitel lese? Einen Roman, einen Krimi oder ein ganz neues Genre?"

Kurz überflog Bernd Herold den ersten Abschnitt, dann lagen seine blauen Augen wieder auf mir.

Ich war mir im Klaren darüber, dass ihm meine Nervosität nicht entgehen würde. Bernd hatte ein Auge dafür, er merkte sofort, wenn etwas nicht stimmte. Wahrscheinlich war das einer der Gründe dafür, dass seine Krimis voller im Nachhinein offensichtlicher Hinweise steckten, die im ersten Moment nur Bernd selbst erkannte.

„Es ist etwas ganz Neues, das ich vorher noch nie gesehen habe."

Mein Agent wurde hellhörig. Er schob das Kapitel zur Seite und verschränkte abwartend die Hände auf dem Tisch.

„Ich habe mich neulich mit jemandem unterhalten, der etwas Ausgefallenes zu erzählen hatte. Er hat mich auf die Idee gebracht, mit noch mehr Menschen zu sprechen und sie nach ihren Erlebnissen zu fragen. Die spannendsten sammele ich in diesem Buch als Kurzgeschichten."

Einen Moment lang herrschte Stille.

Mein Herz schlug so laut in meiner Brust, dass ich glaubte, Bernd Herold könnte es hören. Doch er hatte den Blick stur geradeaus gerichtet und dachte über meine Worte nach. Was er von ihnen hielt, konnte ich aus seinem starren Gesichtsausdruck nicht ablesen.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt