14. Heide

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Das erste, das ich sah, als ich auf der anderen Seite der Glastür stand, war ein händchenhaltendes Pärchen auf dem gegenüberliegenden Gehweg.

Eine Nadel der Eifersucht bohrte sich in mein Herz, doch ich schüttelte den Kopf. Ich hatte keine Zeit dafür, mir über die Beziehungen fremder Menschen Gedanken zu machen. Stattdessen beschloss ich, ins ‚Grün und Weiß' zu gehen, um an meinem Buch weiterzuarbeiten.

Bernd Herold hatte sich seit unserem Telefonat vor einer Woche nicht mehr bei mir gemeldet, doch ich wusste, dass ich meine Arbeit so schnell wie möglich beenden sollte. Je länger ich wartete, desto größer war die Wahrscheinlichkeit, dass mir meine gewonnene Bekanntheit beim Verkauf meines zweiten Buches nichts mehr nutzen würde. Ich hatte nicht vor, von vorn anzufangen und mir meinen Platz in der Welt der Autoren erneut zu erkämpfen.

Die warme Nachmittagssonne tauchte die Straßen in goldenes Licht. Bauschige Schäfchenwolken schwebten über den Hochhäusern. Ein Auto reihte sich an das nächste, jedes von ihnen auf dem Weg, die Stadt zu verlassen und nach Hause zu fahren. Doch, anders als heute Morgen, lag anstelle von Stress und Hektik jetzt nichts als Ausgelassenheit in der Luft. Während die Autofahrer sich darauf vorbereiteten, den restlichen Tag zusammen mit ihren Familien in ihren Gärten zu verbringen, spielten Kinder im Park auf der anderen Straßenseite Fangen und Verstecken, das fröhliche Schnattern der Enten, die im Teich plantschten, drang zu mir herüber.

Wohin ich auch sah, überall spazierten händchenhaltende Pärchen, Familien führten ihre Hunde Gassi und Freunde picknickten im Grünen. Die Stadt war erfüllt von Leben, die einzige, die den Nachmittag nicht mit jemandem teilte, war ich.

Ich war allein.

Mein Herz wurde schwer mit jedem fröhlichen Grüppchen, das mir über den Weg lief. Als ich endlich das ‚Grün und Weiß' erreichte, war ich den Tränen nahe. Gedankenverloren schob ich die Tür auf, der Geruch von frischen Erdbeeren und Schokolade schlug mir entgegen.

Die junge Kellnerin grüßte mich schon von Weitem, als sie mich erblickte. Wissend hielt sie eine Erdbeere nach oben und ich nickte.

Es musste seltsam aussehen, dass ich täglich vorbeischaute, um einen Erdbeermilchshake nach dem anderen zu trinken. Allerdings schien die Kellnerin meine Sucht nach dem rosafarbenen Getränk nicht sonderlich zu stören.

Ich beschloss, mich ein wenig mit ihr zu unterhalten, doch an meinem Stammplatz an der Theke saß bereits eine alte Dame und rührte in ihrem Tee. Ihre weißen Locken sahen aus, als verbrächte sie täglich stundenlang damit, sie zu frisieren. In ihrer hellblauen Bluse und der weißen Hose bildete sie einen weiteren Farbklecks unter den Besuchern des ‚Grün und Weiß'.

Freundlich lächelnd setzte ich mich zu ihr.

„Hallo, mein Name ist Lizzy Thelen. Ich bin Bestsellerautorin."

Die Dame wandte sich mir zu, ein Lächeln lag auf ihren Lippen. Durch ihre schmale Brille hindurch sah sie mich neugierig an.

„Mein Name ist Helga. Wie kann ich dir behilflich sein, Kindchen?"

Ihr Händedruck war überraschend fest. Trotz ihrer Freundlichkeit entgingen mir die dunklen Augenringe und die fahle Haut nicht. Helga sah aus, als hätte sie seit Wochen kein Auge zugemacht.

„Sie sind mir aufgefallen, weil ich Sie hier noch nie gesehen habe. Darf ich Sie fragen, weshalb Sie so erschöpft wirken?"

Aufmunternd lächelnd legte ich den Kopf schief.

Helga seufzte.

„Ist das denn so offensichtlich?"

Noch immer rührte sie ihren Kräutertee, der Löffel klirrte leise in der Tasse, schwache Dampfwölkchen stiegen darüber empor und kreisten um Helgas Locken, bevor sie sich in Luft auflösten.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt