40. Erkenntnis

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Als ich auf meinem Bett lag, ohne die unbequeme Jeans oder die weiße Bluse ausgezogen zu haben, und an die Decke starrte, vermisste ich Johanna mehr als in den Jahren zuvor. Ihr leuchtend rotes Haar tauchte vor meinen Augen auf, ich hörte ihr klares Lachen und sah, wie sie einen Pinsel in gelbe Farbe tunkte und die Leinwand in ein blühendes Rapsfeld verwandelte. Das Kunststudium war wie für sie geschaffen, genau wie das Jurastudium perfekt zu Konstantin passte, der das Gegenstück zu Johannas chaotischem Leben bildete.

Ich griff nach dem Buch zu meiner Rechten, dass ich seit seiner Veröffentlichung nicht mehr in den Händen gehalten hatte. Mit den Fingerspitzen strich ich über den Sticker mit der Aufschrift ‚Bestseller', der mich spöttisch angrinste. Ich setzte mich auf und blätterte zum ersten Kapitel, bevor ich es mir anders überlegen konnte.

Johanna und ich besuchten dieselbe Universität, sie studierte Kunst und ich Journalismus. Trotz der unterschiedlichen Vorlesungszeiten begegneten wir uns regelmäßig auf dem Campus. Dort bemerkte meine beste Freundin Konstantin zum ersten Mal.

Mit seinen blonden Haaren und den giftgrünen Augen fiel er eigentlich nicht in ihr Beuteschema, weshalb ich zu diesem Zeitpunkt noch glaubte, dass ihr Interesse an ihm einzig darauf beruhte, dass er ein Jahr über uns war und das Studentenleben inzwischen als seinen Alltag bezeichnete.

An den Abenden, an denen wir uns auf dem Spielplatz um die Ecke trafen, um zu schaukeln und über unsere Zukunft zu philosophieren, sprachen wir jetzt darüber, ob nach einer Hochzeit aus ihr Johanna Meier oder aus ihm Konstantin Lukas werden sollte, denn unterschiedliche Nachnamen kamen für meine beste Freundin in einer Ehe nicht infrage.

Wir dachten darüber nach, wie sie ihre gemeinsamen Kinder nennen sollten, wo wir Johannas heimisches Kunststudio unterbringen konnten, wenn Konstantin eine große Familie gründen wollte und planten den ersten gemeinsamen Pärchenurlaub, obwohl die beiden noch kein einziges Wort miteinander gewechselt hatten.

Doch Johanna schien sein freundliches Lächeln, das Konstantin ihr immer schenkte, wenn sie sich auf dem Campus über den Weg liefen, richtig gedeutet zu haben, denn es dauerte nur wenige Wochen, da machte er den ersten Schritt und lud sie auf einen Kaffee in die Mensa ein. Dass er sein Portemonnaie vergessen hatte und sie die Rechnung übernehmen musste, schien sie nicht zu stören. Ganz im Gegenteil, sie schwärmte davon, wie häufig er sich entschuldigt und ihr versprochen hatte, bei ihrem nächsten Treffen zu zahlen.

Das zweite Date sollte noch in derselben Woche stattfinden, Konstantin hatte einen Tisch in einem teuren Restaurant reserviert und Johanna zuhause abgeholt. Der Abend nahm eine böse Wendung, als er den ersten Bissen der asiatischen Gemüsepfanne in seinen Mund schob. Tränen stiegen in seine Augen, rote Punkte zierten seine blasse Haut, sein Hemd war plötzlich schweißgetränkt. Er schnappte nach Luft, doch nur ein Röcheln drang aus seiner Kehle. Erschrocken rief Johanna den Notarzt. Wie sich herausstellte, hatte die Erdnusssoße seiner Hauptspeise eine Allergie ausgelöst, von der Konstantin nicht gewusst hatte, dass sie überhaupt existierte. So endete das zweite Treffen im Krankenhaus.

Zum dritten Date erschien Konstantin nicht. Wie er später erklärte, war ihm ein wichtiger Termin dazwischen gekommen. Was Johanna ihm ohne zu zögern glaubte, stimmte mich skeptisch.

Beim vierten Treffen schüttete er seine Bowle über Johannas Kleid, worauf er sich zwei Wochen lang nicht meldete.

Er sagte ihr nicht, dass er sie mochte oder sie schön fand und war nicht einmal dazu in der Lage, mit ihr zu sprechen, wenn sie sich auf dem Campus begegneten. Doch Johanna schwor, dass er ihr Seelenverwandter war.

Es folgten weitere Monate voller kleiner Fehler seinerseits, die sie ihm verzieh.

Ich saß auf der alten Bank vor dem Rapsfeld, in dem ich mit Johanna gespielt hatte, als wir noch Kinder gewesen waren, um an einer Kurzgeschichte zu arbeiten, als das klare Lachen meiner besten Freundin meine Gedanken durchbrach.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt