20. Otto

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„Dein Probekapitel hat sie vom Hocker gerissen."

Bernd Herolds Stimme drang, vom Hupen der Autos unterstrichen, in mein Ohr. Er wiederholte die Worte inzwischen zum dritten Mal, doch ich konnte ihm nicht glauben.

Ein Verlag hatte sich bei ihm gemeldet, sie wollten mein ‚Milchshake-Talk' veröffentlichen und versprachen, mich damit ein zweites Mal zur Bestsellerautorin zu machen.

Meine Zukunft lag in sicheren Händen, ich hatte es geschafft.

„Vorerst machst du so weiter wie gehabt. Du schreibst qualitativ hochwertige Kurzgeschichten, allerdings im doppelten Tempo. Je schneller du fertig bist, desto eher können wir das Buch überarbeiten und in den Druck geben."

Ich wich einem Anzugträger mit schwer aussehender Aktentasche aus, der sich, ohne von seinem Handy aufzusehen, seinen Weg durch die überfüllten Straßen bahnte.

„Wie viel Zeit habe ich noch?"

Herolds Antwort kam wie aus der Pistole geschossen.

„Vier Wochen Maximum, nächsten Monat solltest du fertig sein, sonst wird es eng."

Mein Herz rutschte mir in die Hose, ich spürte, wie die Panik in meine Knochen kroch und holte tief Luft.

„Können wir fünf daraus machen?"

Ich lauschte in die Stille hinein, Herold hatte bereits aufgelegt und mich mit meinem Stress allein gelassen.

Mit zitternden Händen schob ich mein Handy zurück in meine Tasche. Meine Schritte wurden ausladender, die Häuser flogen förmlich an mir vorbei. Jede Minute, die ich länger auf dem Gehweg verbrachte, fehlte mir, um an meinem Buch zu arbeiten.

Kraftvoller als gewöhnlich schob ich die Tür auf, den Geruch von Schokolade und Erdbeeren, der mir augenblicklich entgegen schlug, bemerkte ich kaum. Stattdessen ließ ich meinen Blick sofort durch das eintönige Innere des ‚Grün und Weiß' schweifen, das nur von seinen farbenfrohen Kunden durchbrochen wurde. Einer von ihnen trug ein schlichtes blaues T-Shirt und eine gleichfarbige Jeans und besetzte meinen Stammplatz.

Vor ihm auf dem Rundtisch lag ein verblichenes Polaroidbild.

Ohne ihn aus den Augen zu lassen, bestellte ich mir einen Erdbeermilchshake und ihm einen Kaffee. Mit beiden Getränken in der Hand nahm ich ihm gegenüber Platz. Ein professionelles Lächeln zierte meine Lippen, als ich den Becher zu ihm herüber schob.

„Hallo, mein Name ist Lizzy Thelen. Ich bin Autorin."

Die Haare des Mannes waren genauso blond wie meine eigenen. Obwohl er kaum älter als vierzig sein konnte, zierten schmale Fältchen seine traurigen Augen.

„Ich heiße Oskar Sieger."

Seine Stimme war rau, aber freundlich. Er erwiderte mein Lächeln, ohne zu zögern.

„Der ist für Sie, Sie sahen so aus, als könnten Sie ihn gebrauchen."

Ich deutete auf den Kaffee, der unangerührt vor Oskar stand.

Seine dunklen Augen weiteten sich.

„Man sieht es mir an?"

Er lachte heiser, ich stimmte mit ein, ohne zu wissen, was er so lustig fand.

Oskar hatte den Kopf eingezogen, sein Rücken bildete einen Bogen, der mir schon beim Hinsehen Schmerzen bereitete. Ich richtete mich ein wenig auf, in der Hoffnung, dass er meine Bewegung kopieren würde. Doch er rührte sich keinen Millimeter.

„Darf ich Sie fragen, weshalb Sie so traurig aussehen? Vielleicht geht es Ihnen danach besser."

Ich trank einen Schluck meines Milchshakes und schob die rosafarbene Masse in meinem Mund hin und her, der Geschmack der Erdbeeren umhüllte meine Zunge.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt