41. Konstantin

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Seit Tagen landete ich jedes Mal sofort auf der Mailbox, wenn ich Johanna anrief. Mir war bewusst, dass sie mich absichtlich ignorierte und dass ich es verdient hatte, so von ihr behandelt zu werden. Trotzdem verletzte mich ihr Verhalten und ich hoffte mit jedem Anruf inständig, dass sie irgendwann einfach nachgeben und mit mir sprechen würde. Doch Johanna blieb standhaft.

Mein Geduldsfaden war zum Reißen gespannt und so beschloss ich, es stattdessen bei ihrem Gegenstück zu versuchen.

Als ich schließlich vor Konstantins Wohnungstür stand, auf deren dazugehörigem Klingelschild zu meiner Erleichterung noch immer ‚Meier' in geschwungenen Buchstaben geschrieben war, bebte mein Herz aufgeregt in meiner Brust. Bevor ich es mir anders überlegen konnte, drückte ich auf die Klingel, ein schriller Ton hallte durch das dunkle Treppenhaus.

Der Teppich unter meinen Füßen war dreckig und an einigen Stellen durchlöchert, an den Wänden fehlte teilweise der Putz. Trotzdem stimmte der Flur mich nostalgisch. Ich erinnerte mich an gemeinsame Filmabende, die ich mit Johanna und Konstantin auf seinem Sofa verbracht hatte, daran, wie ich die Wohnung immer in Begleitung meiner besten Freundin betreten, aber stets ohne sie verlassen hatte und wie er mich an unserem ersten Abend zu dritt in seiner Wohnung zur Haustür begleitet hatte, damit ich mich nicht in dem verwinkelten Treppenhaus verlief.

Und plötzlich stand der inzwischen fünfundzwanzigjährige Mann wieder vor mir im Türrahmen, als läge unser letztes Treffen nicht drei Jahre, sondern nur drei Tage zurück. Seine blonden Borsten waren einer weichen seitengescheitelten Mähne gewichen, er überragte mich um mindestens einen Kopf. Der graue Anzug saß wie angegossen an seinem schmalen Körper und als ich an ihm vorbei ins Innere der Wohnung spähte, sah ich, dass die Baumarktmöbel Designerstücken gewichen waren. Konstantins Anwaltsdasein ließ sein Konto offensichtlich von den entstandenen Schulden seines Studentenlebens aufatmen.

Ich schenkte ihm ein begrüßendes Lächeln, doch seine Mundwinkel blieben regungslos. Auch in seinen giftgrünen Augen erkannte ich keine Reaktion auf meine Anwesenheit. In seinem Blick lag nichts als gähnende Leere.

„Was willst du?"

Er war älter geworden, die kindlichen Züge waren aus seinem kantigen Gesicht verschwunden, doch Konstantins Stimme war so heiser, wie ich sie in Erinnerung hatte.

„Es tut mir leid, dass ich das Buch veröffentlicht habe. Ich hatte nie vor, dich bloßzustellen."

Ein Grinsen schlich sich auf seine Lippen, das seine Augen nicht erreichte. Mit den Fingern fuhr er sich durch die vollen Haare.

„Nachdem du mein ganzes Leben derart zerstört hast, denkst du doch nicht allen Ernstes, dass eine einfache Entschuldigung drei Jahre später alles wieder in Ordnung bringt? Du bist nicht diejenige, die Klienten verloren hat, weil sie in einem Buch von deinen Fehlern gelesen und das Vertrauen in dich verloren haben. Du hast keine Ahnung, wie es sich anfühlt, von seinen Bekannten ausgelacht zu werden, weil sie Dinge über dich gelesen haben, von denen du ihnen bewusst nichts erzählt hast. Du läufst nicht Tag für Tag Menschen über den Weg, die besser über dein Liebesleben Bescheid wissen als du selbst.

Ich habe Fehler gemacht und dazu stehe ich, aber das gibt dir noch lange nicht das Recht dazu, mich in deinem Buch derart bloßzustellen. Und erzähl mir nicht, dass du das nicht vorgehabt hast. Wenn du nicht gewollt hättest, dass alle Welt weiß, wer deine Protagonisten in Wirklichkeit sind, hättest du dir wenigstens die Mühe gemacht, unsere Namen zu ändern."

Konstantin verschränkte die Arme vor der Brust, seine rote Krawatte verrutschte unter seinem Jackett.

Ich beschloss, seine Vorwürfe beiseite zu schieben, es war zu viel Zeit vergangen, die Wunden waren zu tief, um seine Einstellung mir gegenüber zu ändern. Stattdessen stellte ich eine Frage, die mir seit der Trennung nicht aus dem Kopf ging.

„Warum hast du mit Johanna Schluss gemacht?"

Kaum hatte ich ihren Namen ausgesprochen, lag ein Funkeln in seinen Augen, das ich nicht deuten konnte. Zu meiner Überraschung zuckte er die Schultern.

„Ich wollte nicht mehr mit ihr in Verbindung gebracht werden, um die Vorurteile aus dem Weg zu räumen und sie vor den Attacken meiner Kritiker zu schützen. Irgendwann war es einfach zu spät, um wieder zu ihr zurückzugehen."

Verwundert legte ich den Kopf schief.

„Hattest du nach ihr keine Andere?"

Ich hatte erwartet, dass Konstantin längst über Johanna hinweg war. Er hatte auf mich nie so gewirkt, als läge ihm wirklich etwas an meiner besten Freundin. Seine Bemühungen nach dem Betrug hatte ich immer als Pflichten gedeutet, denen er nur nachkam, um den Menschen, der ihn liebte, nicht zu verlieren. Ich war mir sicher gewesen, dass er die Beziehung beenden würde, sobald eine neue Frau in greifbarer Nähe war. Scheinbar hatte ich mich in ihm getäuscht, denn Konstantin schüttelte den Kopf.

„Mal davon abgesehen, dass es niemanden gibt, der mich nach deinem Buch noch zu seinem Partner machen wollen würde, gab es für mich immer nur Johanna. Ich habe sie schon ein paar Wochen lang gemocht, bevor ich überhaupt den Mut dazu hatte, mich mit ihr zu verabreden."

Er kratzte sich am Kinn, das von wenigen Bartstoppeln bedeckt wurde, nach denen man vor drei Jahren noch vergeblich gesucht hatte.

Ich senkte den Blick und betrachtete den dunkelblauen Teppich, der hinter Konstantins Türschwelle von kaltem Fliesenboden abgelöst wurde. Eine blonde Strähne kitzelte mich in der Nase und ich schob sie zurück hinter mein Ohr. Es war mir nie in den Sinn gekommen, dass meine Arbeit sein Leben so aus der Bahn geworfen hatte. Ich konnte das Gelesene nicht mehr aus den Köpfen der Menschen löschen, doch ich konnte verhindern, dass sich die Situation für Konstantin verschlimmerte.

„Tja, ich werde das Buch zurückrufen, schätze ich. Dann gibt es wenigstens keine neuen Vorurteile dir gegenüber."

Konstantin zuckte die Schultern, mein Versuch, meinen Fehler wieder gut zu machen, schien ihm wirklich gleichgültig zu sein. Am liebsten hätte ich einfach auf dem Absatz kehrt gemacht und den Wohnblock verlassen, doch ich war es ihm schuldig, es nicht zu tun. Stattdessen sah ich zu ihm auf, damit er die Ehrlichkeit in meinen Augen erkennen konnte. Auch wenn mich weder er noch Johanna in ihren Leben haben wollten, konnte ich nicht länger in dem Wissen meinem Alltag nachkommen, dass ich sie auseinandergetrieben hatte.

„Ich verstehe, dass du mir nicht mehr vertraust, aber du kannst dich darauf verlassen, dass Johanna dich wirklich liebt. Es gab für sie immer nur dich, niemanden davor und – ich würde alles darauf verwetten – auch niemanden danach. Du kannst mich hassen, ich habe es nicht anders verdient, schätze ich, aber sprich mit Johanna. Dass eure Beziehung zerbrochen ist, liegt nicht an euch, sondern an mir."

Erneut zuckte Konstantin die Schultern, ich konnte nicht sagen, ob er nur so tat, oder ob ihm unser Gespräch wirklich gleichgültig war. Schließlich hob er die Hand wieder an die Wohnungstür.

„In Ordnung, ich werde darüber nachdenken.", sagte er, bevor er mich allein auf dem dunklen Flur zurückließ.

Ich lauschte noch einen Augenblick in die Stille hinein, in der Hoffnung, dass er die Tür in der nächsten Sekunde wieder aufreißen und sich auf den Weg zu Johanna machen würde.

Es war reines Wunschdenken, denn als ich kurz darauf durch das Treppenhaus lief, hörte ich seine Schritte noch immer nicht auf den Stufen. Er blieb zuhause, ohne mir einen Hinweis darauf zu geben, ob er meiner Bitte nachkommen würde.

Allein in der Dunkelheit hoffte ich inständig, dass die Geschichte von Johanna und Konstantin nicht so enden würde, wie es Angies und Tills getan hatte. Ich wünschte mir nichts sehnlicher, als dass ihre Liebe ausreichen würde, um ihre Beziehung zu retten. 

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt