36. Carlo

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Ich fühlte mich, als wäre ich in eine Watteschicht eingehüllt, als ich das ‚Grün und Weiß' drei Tage später betrat. Draußen regnete es in Strömen, der Himmel hatte sich dem Dunkelgrau des Asphalts angepasst. Auf der anderen Seite der Glastür dagegen war es warm und gemütlich. Die Kakteen standen in der Mitte der weißen Rundtische, als wäre es noch immer Hochsommer, doch das alles sah ich durch einen trüben Schleier.

Meine Augen waren geschwollen, ich konnte nicht blinzeln, ohne dass meine Lider schmerzten. Nur widerwillig hatte ich mich aus dem Bett gequält, um die letzten Kapitel meines ‚Milchshake-Talk' niederzuschreiben. Je eher ich das Buch beendete, desto besser. Ich konnte die Last dieser Arbeit nicht länger auf meinen Schultern tragen, zu groß war das schlechte Gewissen, das ich mit meinem zweiten Werk verband.

Mich beschlich das Gefühl, dass meine Mutter Recht gehabt hatte. Es war falsch, die Geschichten der übrigen Farbkleckse des Cafés zu stehlen, aber es war auch zu spät, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Herold erwartete, dass ich ablieferte und auch mein Bankkonto wartete inzwischen händeringend auf die Veröffentlichung dieses Buches.

Ich taumelte an die Theke, um mir einen Erdbeermilchshake zu bestellen. Es fühlte sich verräterisch an, meinen Alltag fortzusetzen, obwohl meine Mutter gestorben war, die Worte kamen zu leicht über meine Lippen, das dankbare Lächeln in meinem Gesicht, als der Kellner mir mein Getränk überreichte, war nicht unecht genug.

Unwillkürlich fragte ich mich, ob es Marias Tochter genauso erging, ob sie sich ebenfalls schuldig an dem Tod ihrer Mutter fühlte und ob auch sie ihren Alltag nur mit Gewissensbissen bestritt.

Als ich auf dem Absatz kehrt machte, um mich an einen der Rundtische zu setzen, stieß ich gegen die Brust eines jungen Mannes, der hinter mir in der Schlange darauf wartete, seine Bestellung aufzugeben. Er hatte freundliche braune Augen und einen sonnengeküssten Teint, als wäre er frisch aus dem Karibikurlaub zurückgekehrt.

„Geht es dir gut? Du siehst blass aus."

Besorgt sah er zu mir herab, er hatte die Stirn in Falten gelegt und griff nach meiner Schulter, damit ich nicht das Gleichgewicht verlor.

„Es könnte besser sein, schätze ich.", antwortete ich wahrheitsgemäß.

Der Mann verzog seine schmalen Lippen zu einem bemitleidenden Lächeln, das ich während der letzten Tage viel zu oft gesehen hatte.

„Dann sitzen wir beide ja in einem Boot. Was hältst du davon, wenn wir uns ein wenig unterhalten? Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid." Er streckte mir die Hand entgegen. „Ich heiße übrigens Colin."

Sein Händedruck war fest und ich zwang mich zu einem Lächeln.

„Gern. Mein Name ist Lizzy."

Ich wartete darauf, dass er seinen Schokoladenmilchshake bestellte, den ich für ihn bezahlte, und begleitete ihn schließlich zu einem der Rundtische. Wie ein wahrer Gentleman zog er den Stuhl für mich zurück und bedeutete mir, mich zu setzen.

Abwartend nahm ich einen Schluck meines Getränks. Ich war zu erschöpft, um das Gespräch fortzusetzen, aber Colin schien sich nicht daran zu stören. Kaum hatte er sich auf seinen Platz fallen lassen, an seinem Shake genippt und sich die Schokolade genüsslich auf der Zunge zergehen lassen, begann er, zu erzählen.

Carlo war schon immer der Junge gewesen, der für die Mädchen gut genug für einen kurzen Flirt, aber nichts Langfristiges war. Es war noch nie vorgekommen, dass eine Vertreterin des anderen Geschlechts ihn ihren Eltern als ihren Freund vorgestellt hatte, obwohl er schon in mehreren Beziehungen gewesen war, von denen die meisten nur wenige Wochen angehalten hatten.

Grün Weiß - Unreife & LeereWo Geschichten leben. Entdecke jetzt