11. tottraurige Singlemutter

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Noelia

Ich sah, wie Aleksis ihr besorgt nach sah. Ohne vorurteilig klingen zu wollen, trotz seiner Herkunft war er sehr weichherzig. Schon als ich ihm von Lydias Situation erzählt hatte, hatte er diesen mitleidigen Blick drauf. „Alek, denkst du, es gibt Hoffnung?", fragte ich und erhob mich, als Lya nach oben verschwunden war, um mich zu ihm zusetzen. „Azrael wird schon in einem der Labore sein. Er wird schon jetzt Schäden davontragen. Halbvampire sind nicht darauf ausgelegt, nur Blut zutrinken. Selbst wenn er es in einer für Vampire normalen Menge verträgt ... er wird Mangelerscheinungen haben. Blut ist nur ein Bruchteil unseres Bedarfes, wenn nicht sogar nur eine unwichtige Option.", erklärte er. Und ich? Ich fiel schon wieder. Schon seit zwei Jahren himmelte ich ihn an und ich hatte mit Absicht seine Existenz vor Lydia verschwiegen. Allerdings kam Azrael eines Tages nicht mehr aus der Schule und Alek hatte angeboten zu helfen.

Kennengelernt hatte ich ihn bei einer Ärztefortbildung. Auch wenn er nicht wirklich Medizin studiert hatte. Er war Wissenschaftler. So in etwa die abgespeckte Version von Eric. Halbvampir und halb Arzt. Er beschäftigte sich ebenfalls viel mit Vampiren. Sie hatten es zugelassen, dass er weiter forschte. Zwar hatten sie ihn erst auf das Vampirgen untersucht, wegen der eindeutigen Zeichen. Er hatte sie aber davon überzeugen können, dass diese „Symptome" nur durch den Versuch entstanden sind, sich selber in einen Vampir zu verwandeln, ohne das Blut eines dieser zu brauchen. Statt ihn deswegen wegzusperren, hatten sie ihm sogar zugestanden, weiter daran zu forschen. Offensichtlich hatten sie selber Interesse daran, Menschen in Vampire verwandeln zu können.

„Ihr Sohn ist noch nicht tot. Wieso ... Wieso ist sie so betroffen?", fragte Alek und sah weiter auf die Wendeltreppe. „Azraels Vater musste sie verlassen. Die Umstände waren nicht sehr angenehm. Es sind mehrere Faktoren, die sie belasten.", erwiderte ich und beobachte unzufrieden, wie Alek schon wieder nicht mich beachtete. Jeder beachtete nur sie. Wie oft ich jetzt schon in den letzten Jahren sehen musste, wie viele Männer ihr nachgesehen hatten. Nur mir nicht. Aber ich war auch keine tot traurige Singlemutter.

Dennoch legte ich meine Hand auf seinen Oberschenkel und rutschte etwas näher. „Aber es wird ihr wieder besser gehen, sobald Azrael zurück ist.", sagte ich und neigte meinen Kopf zu seinem Hals. „Noelia, nicht. Deswegen bin ich nicht hier.", hörte ich ihn sagen. „Aber du kannst grade nichts tun.", erinnerte ich ihn. Jedoch erhob er sich und erwiderte: „Ich werde zurück ins Krankenhaus fahren. Dein Chef hat mir Hoffnungen auf einen Arbeitsplatz gemacht."

Moe

„Eric.", winselte er ein letztes Mal, bevor er an der Tür hinunterglitt und sich wimmernd gegen das Metall kauerte. Warum tat er das? Er wusste doch ganz genau, wie es zwischen mir und Nael aussah. Ich hatte ihm doch erst vor einer kurzen Weile erzählt, wie ich mich fühlte. Dass ich Angst hatte, ihn zu verletzen. Immer noch. Allerdings nur, wenn ich ihm zu lang ausgesetzt war.

„Nael.", kam es rau über meine Lippen. Im dämmrigen Licht sah ich, wie er zusammen fuhr und dann hektisch versuchte, mehr Distanz zwischen uns zubringen. Da war nichts mehr von dem Selbstbewusstsein vom Dach.

Sein Rücken stieß gegen die graue Wand und er starrte mich nur noch ängstlich an.

„Ich habe damit nichts zu tun.", versuchte ich mich zu erklären. Doch Nael fing nur an zu schluchzen. „Ich will hier nicht sein.", schniefte er und rollte sich in der Ecke zusammen. „Ich weiß, ich will auch nicht, dass du hier sein musst.", versuchte ich ihn zu beruhigen, aber sein Weinen wurde nur deutlicher und ich erkannte seine glänzenden Wangen in der Dunkelheit. „Hör zu, ich bleibe hier. Ich werde dir nichts tun. Nael, bitte beruhige dich.", sagte ich sanft.

Seit Eric die Tür geöffnet hatte, ging es mir stetig besser. Die Atemnot ließ nach und mein Brustkorb brannte nicht mehr so schrecklich. Doch etwas blieb zurück. Ich wusste nicht, ob es daran lag, dass Nael diesen Abstand zu mir suchte. Aber es wäre mir auch egal gewesen, wenn ich daran gestorben wäre. Solange es ihm gut ging und ich ihm nicht weh tun konnte.

Es dauerte ziemlich lang, bis Naels Wimmern verstummte. Ich sah, wie sein Körper an Anspannung verlor. Er hatte sich offensichtlich in den Schlaf geweint. Ich wollte ihn nicht unbedingt dort auf dem harten Boden schlafen lassen. Also stand ich auf und ging leise zu ihm hinüber.

Vorsichtig hob ich ihn an und brachte ihn zu meinem Bett, um ihn dort abzulegen. Sobald ich ihn zugedeckt hatte, entfernte ich mich sofort wieder von ihm. Alleine diese kurze Nähe hatte eine solch starke Wirkung auf mich. Tief durchatmend setzte ich mich an die gegenüberliegende Wand und schloss die Augen. Versuche an etwas anderes zu denken, als an den jungen Omega in meinem Bett. Wenn ich ihm zeigte, dass ich seine Befürchtungen wahr machen würde ... ich würde nie wieder die Chance bekommen zu beweisen, dass ich mich ändern konnte. Zumindest dachte ich, dass ich das konnte. Für Genaueres müsste ich wahrscheinlich Sanji fragen. Aber ich sprach nicht mehr als nötig mit ihm. Ich war auch sicher, dass Ran das nicht erlauben würde. Seufzend legte ich meinen Arm auf meine Knie und vergrub meine Nase in meinem Ärmel. Ein Test. Einfach ein Test. Nur ein paar Tage. Vielleicht hörte sein Blut auch schon früher auf zu wirken und ich könnte wieder aufatmen.

Ich hatte ihm doch gesagt, dass ich das Verlangen gehabt hatte, ihn zu meinem zu machen? Warum zum Teufel musste er es wieder so verstärken? Nein, ich wollte mich nicht beklagen. Er hatte jedes Recht, mich zu foltern. Aber warum brachte er sich selber so in Gefahr? Er konnte mir doch nicht erzählen, dass er das nicht verstanden hatte.

Gestern noch hätte ich seine Anwesenheit ohne Probleme ausgestanden. Aber jetzt? Selbst mit so einer geringen Menge an Blut.

Das Ablenken hatte ja großartig funktioniert. Ich fühlte, wie mein Herz erneut anfing, zu rasen. Meine Lungen verlangten nach seiner Luft. Mein Körper wollte ihn wahrnehmen.

Zitternd griff ich in mein Hosenbein und presste meine Nase noch fester in meine Armbeuge. Angestrengt schloss ich die Augen und zwang mich, flacher zu atmen. Ein paar Tage klang jetzt schon so unglaublich lang und dank des fehlenden Menschenblutes fiel es mir schon jetzt schwer mich zu beherrschen. Ich wusste und verstand nicht, wie Eric das schaffte, wie Atayo es schaffte.

Sanji und Nael waren nicht die einzigen Omega in diesem verfluchten Bunker. Dennoch hatte keiner der beiden ein Problem damit. Die angedrohte Rangtrennung war ebenfalls nicht wahr geworden. Wobei es doch Zwischenfälle zwischen Omega und Alpha gab. Cirah schien es aber als akzeptabel anzusehen. Oder zumindest als vertretbar. Ganz nach dem Motto: „Verlust hat man überall." Nicht ganz meine Meinung.

~

Ich wusste nicht, wie lange ich jetzt schon in dieser Ecke hockte als die Tür sich langsam öffnete. Aber wenn ich Eric Glauben schenken durfte, waren es vier Tage.

„Ranga.", keuchte ich leise, als ich meinen Bruder in der Dunkelheit erkannte. Ich hatte das Licht ausgeschaltet in der Hoffnung, dass wenn ich ihn nicht sehen würde, meine Wahrnehmung von ihm ablassen würde.

„Dir geht es nicht besser?", fragte er leise und schloss die Tür hinter sich. Nur ganz leicht drehte er das Licht auf und kam zu mir. „Eric meinte, du hättest Entzugserscheinungen.", fügte er hinzu und hockt sich zu mir. „Nimm ihn mit.", bat ich leise und griff nach seinem Arm. „Moe es geht dir noch nicht gut. Das Blut ist immer noch in deinem Kreislauf.", sagte er. „Bitte Ran, ich werde ihm weh tun.", wimmerte ich und schüttelte ihn leicht. „Er tut dir weh.", verbesserte Ranga und legte eine Hand in meine Haare. „Bitte.", kam es erneut über meine Lippen und es musste so erbärmlich geklungen haben, dass Ran anfing durch meine Haare zu streichen und mich dann an seine Brust zog. „Du schaffst das. Moe, ich werde dich nicht wegen so etwas ersticken lassen. Nael wusste, was er tut. Jetzt muss er mit den Konsequenzen leben. Wenn er deine Nähe nicht aushält, hätte er sein Blut lassen sollen, wo es war.", erwiderte Ranga. Ich schüttelte den Kopf und fühlte, wie ich anfing zu weinen. Zumindest fühlte ich, wie der Stoff an meiner Wange feucht wurde. Ich konnte nicht mehr. Ich wollte lieber diese Entzugserscheinungen alleine durchstehen müssen als auch noch gegen das Verlangen kämpfen zu müssen. Da meine Erlösung so nah lag.

„Ich will das nicht wiederholen. Bitte Ranga. Sanji wird das nicht wollen. Bitte.", flehte ich und griff in den Stoff seines Hemdes. „Ich habe das Blut neben die Tür gestellt.", sagte er und löste meinen Griff sanft. „Ran, bitte.", rief ich leise. Doch er trat nur an die Tür. „Ranga. Dann bind mich wenigstens fest. Ich will dieses Monster nicht sein.", schluchzte ich. Doch er erwiderte: „Jetzt werde nicht lächerlich.", und verschloss die Tür wieder hinter sich.

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt