66. Ausland

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Jacob

„Hey Großer.", begrüßte mich meine Mutter als ich aus dem Bus stieg, welcher vom Flughafen kam. „Hey.", erwiderte ich und erwiderte ihre Umarmung. Etwas was meine Klassenkameraden unter keinen Umständen tun würden. „Gib mir das.", sagte sie sanft und versuchte mir meinen Rucksack abzunehmen. „Nein, alles gut. Die paar Meter schaffe ich schon noch.", erwiderte ich lächelnd und wich ihrem Griff aus. „Wie du meinst.", sagte sie schmunzelnd und strich sanft durch mein Haar. Dann nahm sie meine Hand und brachte mich zu unserem Auto. „Ich schätze du willst nicht fahren?", fragte sie und schien mein müdes Gesicht zu mustern. Ich nickte bestätigend und lud mein Gepäck in den Kofferraum. Dann stieg ich auf der Beifahrerseite ein. Meine Mutter startete den Wagen und verließ den Parkplatz meiner Schule. Müde rutschte ich in den Sitz und zog mein Handy aus der Tasche um die Zeitzone zu ändern. Allerdings blieb ich an meinem Hintergrundbild hängen. Ken. „Es wird ihm gut gehen.", sagte meine Mutter und legte eine Hand auf mein Bein. „Ich hoffe du hast nicht das ganze letzte Jahr nur an ihn gedacht.", fügte sie hinzu und ich sah im Augenwinkel wie sie kurz zu mir sah. Langsam schüttelte ich den Kopf. Doch es war gelogen. Ich hatte es früher nicht verstanden. Mein Vater hatte versucht es mir zu erklären. Dass ich Kenneth erstmal nicht wiedersehen könne. Erst war es nur seltsam. Das sein Zimmer leer war und niemand mit mir spielte. Dann war ich eine lange Zeit sehr wütend auf ihn. Doch jetzt tat es nur noch weh und meine Wut richtete sich an die, die ihn dazu zwangen mich allein zu lassen.

„Hat er sich gemeldet?", fragte ich leise und stellte jetzt wirklich die Zeitzone um. „Dein Vater? Nein. Du weißt, dass er uns damit gefährden würde.", erklärte sie und strich erneut über mein Bein. „Mir gefällt das auch nicht.", murmelte meine Mutter. „Sollen sie doch alle auslöschen.", knurrte sie leise. Sowas sagte sie schon seit geraumer Zeit und ich hatte aufgehört zu versuchen sie vom Gegenteil zu überzeugen. Sie hasste Vampire, nicht ihrer wegen sondern nur weil die Jäger sie jagten.

Es wurde still im Auto und bis wir in unsere Garage fuhren sagte auch niemand mehr einen Ton. Meine Mutter verließ das Auto und trug meinen Rucksack nach drinnen während ich meinen Koffer holte. Beides brachte ich die Treppe nach oben. Und auch wenn es jetzt sieben Jahre nicht mehr so war, hoffte ich, dass Kenneth an seinem Schreibtisch saß und seine Unisachen machte. Das Zimmer dunkel, nur die schlanke Lampe auf seinem Tisch leuchtete. Doch wie sollte es anders sein. Der Spalt, welcher offenstand zeigte nur ein mit Sonne überflutetes Zimmer. Niemand. Warum hatte ich gehoffte, dass ein Jahr im Ausland etwa ändern würde?

Leicht schüttelte ich den Kopf und ging in mein Zimmer. Grade als ich frische und getragene Wäsche trennte klingelte es unten an der Tür. Verwirrt hob ich den Kopf und trat an meine Zimmertür. Meine Mutter kam aus dem Wohnzimmer und öffnete die Haustür. „Theresa.", hörte ich eine männliche, raue Stimme keuchen. „Es tut mir so leid.", schluchzte die Person. Papa?

Leise ging ich zur Treppe und nahm eine Stufe nach der anderen. „Ich konnte nicht auf deine Söhne achten. Es tut mir leid.", winselte er und ein dumpfer Ton war zu hören. „Victor.", hauchte meine Mutter. „Wovon redest du?", fragte sie. Ich brachte die letzten Stufen hinter mich und sah um die Ecke in den Flur. Ein dürrer Mann kniete vor meiner Mutter und hatte beide Arme um ihre Oberschenkel geschlungen. „Sie haben ihn.", winselte er leise und griff mit den blutigen Händen in ihren langen Rock. „Kenneth?", fragte meine Mutter schockiert. „Jacob.", erwiderte er schlunzend.

„Ich bin hier.", hörte ich mich selber sagen und der Kopf meines Vaters fuhr in die Höhe. Seine Wangen waren eingefallen und die Wangenknochen wirkten höher als gewöhnt. Blut und Dreck bedeckte sein Gesicht, die Haare waren wild und unordentlich.

„Jacob.", keuchte er und kam schwankend auf die Beine. Erschrocken wich ich zurück, doch er packte mich dennoch und zog mich an seine Brust. „Oh Gott.", hauchte er und vergrub sein Gesicht an meinen Haaren. „Mein Sohn.", schluchzte er und ich fühlte an meinem Brustkorb wie seiner anfing zu zucken. Überfordert hob ich meine Arme und legte sie um seinen abgemagerten Körper.

„Victor, was ist passiert?", fragte meine Mutter und trat zu uns. „Sie wollten von mir wissen wo Kenneth ist.", hauchte er zitternd und schlang seine Arme noch fester um meinen Körper. „Ich denke, sie haben ein Video bearbeitet um mir weiß zu machen sie hätten Jacob.", erklärte er. „Es war so echt. Ich dachte, sie würden ihn aufhängen.", schluchzte er und ich fühlte wie seine Finger verzweifelt über meinen Rücken wanderten. Es war ziemlich klar wer sie war.

Schockiert drückte ich ihn von mir weg und sah ihm in die Augen. „Du hast meinen Bruder verraten?", rief ich und suchte nach Schuld in seinen Augen. Doch er schüttelte den Kopf. „Nein, Jacob. Wenn sie Kenneth in die Finger bekämen... Er wäre der Anfang vom Ende. Jon würde für ihn sterben und das zieht sich durch diese ganze verfluchte Familie. Und ich weiß, was sie tun würden und das kann ich nicht mitansehen.", erklärte er und zog mich wieder an sich. „Aber ich dachte sie hätten dich im Labor. Ich dachte, ich hätte dich verloren.", sagte er mit brechender Stimme. „Ken lebt?", fragte ich leise. Mein Vater nickte fühlbar und strich über meinen Hinterkopf. „Es geht ihm gut.", sagte er leise und ich fühlte wie er tiefer einatmete.

Ich hatte doch gesagt, dass ich die Umarmungen meiner Mutter akzeptierte. Doch bei ihm fühlte es sich anders an. Auch wenn es nur vier Jahre waren, die ich ihn nicht zu Gesicht bekommen hatte. Vorsichtig wand ich mich erneut aus seiner Umarmung. Doch er schien Verständnis dafür zu haben.

„Und was hast du jetzt vor?", fragte meine Mutter. „Ich werde wieder mehr ins Labor müssen. Sie glauben lassen, dass ich nicht wüsste wo Jacob wirklich ist. Es wäre das sicherste, wenn du untertauchst.", erwiderte er und sah mich zuletzt an. „Wohin?", fragte ich verwirrt. „Du kannst ihn nicht aus seinem Leben reißen.", knurrte meine Mutter. „Wenn er hier bleibt wird er ganz anders aus dem Leben gerissen.", erwiderte mein Vater und griff sich dann an den Kopf. „Komm.", sagte ich sanft und führte ihn ins Gästebad. Dort setzte ich ihn auf dem Toilettendeckel ab und suchte einen Waschlappen. Meine Mutter war uns gefolgt. „Du meinst sie töten ihn?", fragte sie entgeistert. Victor zuckte mit den Schultern. „Wenn sie es wollen, könnten sie es. Bei seinem Bruder wäre er sicher.", erwiderte er und zischte leise als ich anfing die aufgeplatzte Haut auf seinen Handinnenflächen zu reinigen. „Er steht kurz vor seinem Abschluss.", wetterte meine Mutter. „Das war Kenneth auch.", erwiderte mein Vater und zuckte leicht zurück als ich etwas zu fest auf einen blauen Fleck drückte. „Mögt ihr vielleicht mich fragen was ich will? Ich bin nicht mehr zehn.", fuhr ich dazwischen und sah kurz zu dem beiden auf. „Natürlich.", hörte ich meinen Vater einfühlsam sagen. „Ich will nicht sterben oder als Druckmittel verwendet werden. Tu alles was du musst um das zu verhindern.", erwiderte ich leise und begann seine eine Hand zu verbinden. „Jacob, wenn du deinen Bruder fragen könntest...", setzte sie an. „Dann würde er wollen, dass ich lebe. Egal unter welchen Umständen. Und wenn ich mich dafür begraben muss.", knurrte ich und verband auch die andere Hand.

Dann reinigte ich den Rest seines Armes und nahm einen frischen Lappen für sein Gesicht. „Jacob. Ist okay.", sagte er leise und wehrte meine Hand ab. „Aber du kannst so nicht rumlaufen.", erwiderte ich. Doch er nahm mir den Lappen nur ab und tat es selber. Meine Mutter seufzte leise und murmelte: „Also willst du zu deinem Bruder? Dir muss bewusst sein, dass du auch dort sterben kannst. Wie viele Vampire sind dort?" Victor sah auf und erwiderte: „Wir haben aufgehört zu zählen. Aber um die fünf sechshundert würde ich schätzen. Und ja, es gibt Todesfälle. Die meisten sterben aber an den Folgen des Labors oder es sind Alphakämpfe. Menschen sind keine gestorben und bisher wurde nur einer verletzt. Allerdings arbeitet er im Medizinbereich.", schilderte er und zuckte leicht mit den Schultern. Dann sah er zu mir auf. „Du solltest dir allerdings bewusst sein, dass nicht alle Vampire sind wie Jon. So gut wie keiner. Ich habe noch keinen gesehen, der so kontrolliert ist wie er."

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt