71. Sichel

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Kenneth

„Vio.", setzte ich vorsichtig an als ich ihn in einem der Gewächshäuser entdeckte. Sofort fuhr er panisch herum und wich bis an die rußige Wand zurück. „Ich tu dir nichts.", sagte ich leise und hob die Hände. „Bitte hör mir nur zu.", bat ich sanft und trat einen Schritt auf ihn zu. Da von ihm keine Antwort kam sprach ich einfach weiter.

„Ich habe mir das nicht ausgesucht und ich habe dir gesagt, dass ich Geheimnisse habe, die ich nicht mit dir teilen kann.", erklärte ich. „Dass du Satan höchstpersönlich bist?", fragte er mit zitternder Stimme. „Nein, Favio. Ich bin keine biblische Gestalt. Ich verstehe es doch selber nicht. Aber es ändert mich nicht. Ich bin gleich geblieben. Mit oder ohne die Dinger.", erwiderte ich und schob mich noch einen weiteren Schritt vor. „Wie soll ich dir vertrauen? Wer weiß was für eine kranke Fähigkeit du besitzt.", warf er mir vor. Ich schüttelte leicht den Kopf und erwiderte: „Nein, ich bin menschlich. Alles an mir ist menschlich. Bis auf die Flügel." Doch Favio sah nicht sehr überzeug aus. Vorsichtig trat ich noch etwas näher, doch das brachte ihn nur dazu nach der kleinen Sichel zu tasten, welches wir für die Ernte benutzten. „Du bist Schuld, dass ich hier bin. Dass ich verstoßen wurde.", warf er mir vor. „Das ist nicht wahr. Ich war noch nicht so als wir uns kennenlernten und wir haben uns nicht wieder gesehen nach dem ich so wurde.", erwiderte ich und fühlte wie sich Verzweiflung in mir aufbaute. Er war mir wichtig. Verdammt wichtig und diesen angewiderten Blick... seinen Blick auf mir zu fühlen.

„Vio, bitte. Sieh mich nicht so an. Ich bin doch immer noch ich. Du... du liebst mich.", versuchte ich ihm ins Gedächtnis zurufen. Doch der Griff um die Sichel wurde nur fester.

Langsam sank ich auf die Knie. Mit gehobenen Händen. In meinen Augen bildeten sich die ersten Tränen. Er war wirklich die erste Person, die mir so viel bedeutete. Egal ob es an unserem Erlebten lag. Aber alleine die Vorstellung, dass er mich verlassen könnte riss mein Herz in zwei.

„Vio.", hauchte ich und ließ den Tränen freien Lauf.

„Ich habe mir das nicht ausgesucht. Ich weiß nicht wie es passiert ist. Ich weiß nur, dass... dass ich dich nicht verlieren will. Schneid sie meinetwegen ab. Aber sieh mich nicht so an.", flehte ich und senkte meinen Brustkorb auf meine Oberschenkel.

Mit einem leisen Windstoß erschienen über mir die schwarzen Schwingen. Langsam legte ich sie auf dem sandigen, rußigen Boden ab und wartete auf das was Favio tun würde.

Leise Schritte näherten sich mir. Seicht strich eine Hand über den Oberarm meines Flügels. Wenig später sah ich seine Füße im Augenwinkel.

Kurz erschauderte ich als die Klinge hinten in meine Kragen fuhr und den Stoff von meinem Rücken schnitt. Kurz danach legte sich das kalte Metall an meine rechte Flügelwurzel. Ich senkte meinen Oberkörper noch etwas weiter und legte meine Hände auf den Boden. „Ich liebe dich.", hörte ich mich leise winseln. Wann war ich so erbärmlich geworden? Zitternd griff ich in den Sand und erwartete den brennenden Schmerz in meiner Haut. Doch Favio zog die Klinge zurück und ließ sie fallen.

Dann sank er vor mir auf die Knie und richtete meinen Oberkörper auf. Da war keine Abscheu mehr in seinen Augen, kein Ekel. Sanft strich er über meine Wange. „So bist du gar nicht mehr so beängstigend.", hauchte er und presste seine Lippen auf meine. Erschrocken zog ich die Luft durch die Nase und riss die Augen auf. Doch er hatte seine geschlossen. Was war das hier?

Eric

Cirah hatte den Werwölfe einen Gang zu geteilt und kam dann zu Atayo und mir zurück. „Was schaust du so?", knurrte sie. Ich zuckte nur mit den Schultern und erwiderte: „Ich denke nicht, dass damit alle einverstanden sind." Cirah verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf bevor sie sagte: „Das ist mir ziemlich egal. Es geht hier um unsere Sicherheit. Außerdem, wenn ich sie dort draußen gelassen hätte, hätten sie den Jagtbestand zerstört." Da hatte sie zwar recht aber dennoch lebten Vampire und Werwölfe eher selten unter einem Dach. Es war kein Hass und Vampire konnte auch nicht wahrnehmen ob jemand ein Werwolf war oder nicht. Nur ihre Körpertemperatur verriet sie. Dennoch waren wir zwei verschiedene Kreaturen.

„Woher nimmst du überhaupt den Platz?", fragte ich. Sie sah kurz zu Atayo und dann wieder zu mir. „Als du fort warst haben wir beschlossen die Kinderräume aufzulösen. Sie haben so zusagen Pflege Familien bekommen.", erklärte sie und fügte nach einer Pause hinzu: „Der kleine Halbvampir wollte unbedingt zu dir. Ich hoffe, dass ist kein Problem." Sofort schüttelte ich den Kopf und fühlte wie sich in meiner Brust ein warmes Gefühl ausbreitete. Er hatte Vertrauen zu mir geschlossen und das gefiel mir sehr. Denn auch wenn ich wusste, dass dort draußen irgendwo seine Mutter war und von dieser Sache nicht betroffen war und er irgendwann zu ihr zurück konnte, war er für mich genauso wie Nicoleen ein Kind ohne Eltern. Da fühlte ich mich einfach verantwortlich. Zumal er das selbe Schicksal durchlebte wie mein Sohn.

Hinter Cirah tauchte einer der Männer auf.
„Cirah, richtig?". Fragte er als er bei uns ankam. Die dunkelhaarige nickte leicht und drehte sich ihm zu. „Vielen Dank, dass ihr uns aufnehmt. Ich denke, mein Rudel hätte sich sonst noch weiter verkleinert.", sagte er und verbeugte sich leicht. „Kein Problem. Wir haben davon keine Nachteile.", erwiderte Cirah. „Verkleinert wegen der Jäger?", warf Atayo ein. Der Mann sah auf und schüttelte den Kopf und antwortete: „Nein, nicht nur. Sie sind zwar auch ein großes Problem. Aber seit mein Rudel so klein ist werden wir seltener entdeckt. Es ist mehr Krankheit und Verletzungen. Wir haben keine Ahnung warum ihre Waffen so schrecklich sind." „Ich sehe mir das gerne an.", erwiderte ich und hielt ihm meine Hand hin. „Dr. Eric Shi.", stellte ich mich vor. Sofort stieg Interesse in seine Augen. „Vanja Minin. Sie sollen ziemlich erfolgreich gewesen sein.", stellte er fest und nahm meine Hand entgegen. „Mein Ruf eilt mir wohl nicht nur unter Vampiren voraus.", stellte ich lachend fest. „Dein Vater war ja auch ein großer Mann.", ergänzte Atayo und reichte jetzt ebenfalls Vanja die Hand. „Atayo Yoru.", stellte er sich vor und offensichtlich sagte auch dieser Name dem Werwolf etwas. Doch damit wollte ich mich nicht länger beschäftigen. Offensichtlich saß in meinem Zimmer ein siebenjähriger der seit zwei Tagen auf sich selber gestellt war. „Ich werde dann zu Ezra gehen.", informierte ich die Anwesenden und wendete mich zum Gehen. Mit zügigen Schritten durch schritt ich den Gang bis zu meinem Raum und öffnete dort leise die Tür. Das Licht war gedimmt. Dennoch erkannte ich das zweite Bett an der bisher noch freien Wand. Dort saß der Schwarzhaarige und presste seine Nase schon fast in das Buch auf seinem Schoß.

„Wie wäre es mit Licht.", schlug ich vor und drehte die Lampe auf. Sofort schoss sein Kopf in die Höhe. „Eric.", quietschte er und sprang auf. Wenig später schlangen sich zwei Kinderarme um meine Taille. „Wow Kleiner. Was ist denn mit dir los?", lachte ich und legte meine Hand auf seinen Rücken. „Du warst einfach weg.", murmelte er und sah zu mir auf. „Was war das?", fragte er und deute auf mein Gesicht. „Bist du wie ich?", harkte er nach. Doch ich schüttelte den Kopf. „Das ist Tarnung. Ich musste unter die Menschen gehen.", erwiderte ich und legte meine freie Hand auf meine Wange. Die Verätzungen hatten angefangen sich zu verhärten und ich konnte grade zu fühlen, wie sie jede Stunde meine Haut mehr zusammen zogen. Narbengewebe eben. „Aber es wird weg gehen.", beruhigte ich ihn und löste mich sanft. Ezra nickte langsam und huschte dann zurück auf sein Bett. Sofort hatte er das Buch wieder vor das Gesicht.

„Ich habe was für dich.", sagte ich nachdem ich ihn eine Weile beobachtete hatte. Sofort tauchten seine Augen über dem Buchrand auf. Also griff ich in die Tasche meiner Jacke und zog ein Hartetui hervor. Verwirrt legte er den Kopf schief und legte das Buch wieder weg. Dann kam er auf mich zu. Lächelnd reichte ich ihm den Gegenstand. Die kleinen Finger hatten etwas Mühe das Etui zu öffnen doch dann kam die kleine Brille zum Vorschein. Sie gehörte Azrael. Allerdings würde er sie grade nicht brauchen und deswegen hatte Lydia sie mir mitgegeben. Vielleicht würde sie Ezra ja etwas helfen. Es würde nicht die perfekte Stärke sein aber wer weiß.

„Woher wusstest du, dass ich eine brauche?", fragte er leise und hob das silberne Gestell aus dem Etui. „Es ist ziemlich offensichtlich, wenn du ließt und manchmal zuckt deine Nase so als würdest du eine Brille hoch schieben wollen.", erklärte ich und legte das leere Etui neben mich. Sanft nahm ich ihm die Brille aus der Hand und setzte sie ihm auf. „Sie gehörte meinem Sohn.", hörte ich mich leise sagen. Es war fremd. Aber zumindest hatte ich jetzt Bilder vor Augen, wenn ich von ihm sprach. Das wichtigste war aber, dass ich wusste wie er hieß.

„Ich werde drauf achten.", sagte Ezra leise und erneut zuckte seine Nase. Diesmal schob er so wirklich die Brille etwas höher.  

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt