50. Falsche Lektüre

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Eric

Leise drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Betondecke. Ich war schon eine Weile wach. Allerdings wollte ich Chrissy nicht wecken. Weswegen ich versuchte so leise und ruhig wie möglich zu bleiben. Was schwierig war mit so vielen Gedanken. Rangas Vorwürfe schwirrten in meinem Kopf umher. Genauso wie sein Verhalten Shota gegenüber. Er hätte für Sanji getötet und ich?

Chrissy seufzte leise und drehte sich zu mir herum um ihren Kopf auf meiner nackten Brust zu platzieren. Ich hatte Lydia aufgegeben und betrog sie. Hatte ich ihr nicht versprochen, dass es nie eine andere geben würde?

Wieder tauchten die Bilder meiner letzten Vision vor meinem inneren Auge auf. Lydia, auf Knien vor einem mächtigen Schreibtisch. Die Bluse aufgerissen, ihr Hals blutig genau wie ihr Gesicht. Sie lebte, ansonsten würde ich keine Visionen von ihr haben. Aber ich konnte mir nicht sicher sein wie weit sie stimmten oder ob ich sie damit erst in diese Situation brachte, wenn ich zu ihr ging.

Chrissy schlang einen Arm um meine Taille und küsste sanft meine Brust. „Gut geschlafen?", fragte sie leise bevor sie zu mir auf sah. „Ich kann das grade nicht.", erwiderte ich und richtete mich auf. „Was kannst du nicht?", fragte sie verwirrt. Ich fischte mein Hemd vom Boden und zog es mir über die Schultern. Streifte mir die Hose über die Beine und stand auf. „Heile Welt spielen, Chrissy. Ich kann das grade einfach nicht. Tut mir leid.", erwiderte ich und fing an mein Hemd zuzuknöpfen. „Ich habe dich nur gefragt wie du geschlafen hast.", sagte sie und verschränkte die Arme vor der nackten Brust. „Ich weiß und ich sage dir, dass ich das grade nicht kann. Vergib mir.", bat ich und beugte mich zu ihr herunter um ihr einen Kuss zu geben. Jedoch wich sie zurück und fragte: „Wo willst du jetzt hin?" „Ich habe hier Verpflichtungen.", erwiderte ich und richtete mich wieder auf. „Aha.", gab sie von sich und legte sich wieder hin. Mit dem Rücken zu mir. Seufzend drehte ich mich zur Tür und verließ den Raum.

Es war gelogen. Ich hatte keine Verpflichtungen aber ich wusste, dass sie dermaßen sauer wäre, wenn ich ihr gesagt hätte, dass ich grade einfach eine andere Gesellschaft brauchte. Dennoch betrat ich mit bedrücktem Gefühl die Halle.

Yama und Chaz saßen mit Ran an einem der Tische. Überall sah man noch die Folgen der vergangenen Nacht. Genau wie den Bluterguss unter Rangas Auge.

„Ran, könne wir reden?", bat ich und legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Eric...", setzte er an. „Bitte.", sagte ich eindringlich und drückte leicht zu. Mein Bruder gab nach und kam mit mir zu einem anderen Tisch. Sobald wir saßen nahm ich sein Gesicht in die Hände und strich über den dunklen Fleck. „Du heilst nicht.", stellte fest ich als ich keine Farbänderungen erkannte. Ranga schob meine Hände beiseite und erwiderte: „Wie du dir denken kannst trinke ich Levs Blut nicht mehr." „Wie ich mir denken kann?", fragte ich verwirrt. „Du hast es nicht gesehen?", fragte er mit rauer Stimme. Ich verneinte. Verwirrt legte er den Kopf schief und fragte: „Was hast du dann gestern da gemacht?" „Ich war bei Risa.", erwiderte ich und musterte sein Gesicht. „Was ist zwischen dir und Sanji passiert? Dass er dich so schlägt?", fragte ich vorsichtig. „Er hatte jeden Grund dazu.", murrte Ran. Bitter sah er auf die Tischplatte und griff an seinen Hals. „Er ist wieder menschlich und unser Band...", setzte er an und die erste Träne lief über seine Wange. „Ich habe nicht mehr darüber nachgedacht.", murmelte er und wischte die Tropfen wütend fort. „Ich habe seinen Ex geküsst.", sagte er freudlos lachend. „Wegen des Bandes?", fragte ich verwirrt. „Nein, natürlich nicht. Aber ich denke, ich hätte es nicht getan, wenn es dort gewesen wäre. Eric, warum zum Teufel bin ich so verdammt animalisch? Es war nichts Ernstes eher ein Scherz aber ich würde Sanji das doch nie antun und ich würde niemanden bedrohen.", sagte er. „Ich weiß.", erwiderte ich einfühlsam. Vorsichtig nahm ich seine Hand und versuchte ihn zu beruhigen, fuhr immer wieder mit dem Daumen sanft über seinen Handrücken. „Das ist leider was dieser Rang mit sich bringt. Du weißt wie impulsiv Moe und Atayo sind.", sagte ich und beobachtete wie erneut Tränen über seine Wangen liefen. „Aber das bin ich nicht.", wimmerte er und griff fest in meine Hand. „Du kannst lernen da gegen zu wirken.", sagte ich und erwiderte den Druck. „Aber, Ranga, bitte vergiss nicht, dass wir hier alle in extrem Situationen handeln. Es ist normal anders zu handeln als man es würde.", fügte ich hinzu. Ranga schnaubte und erwiderte: „Das sagst du doch nur um dein Gevögel mit Chrissy zurechtfertigen." Ich schmunzelte und nickte leicht. „Vielleicht. Aber du hast recht. Es ist Lydia gegenüber nicht fair.", sagte ich und strich wieder über seine Haut. „Du...", setzte er stockend an und weitete die Augen ein wenig. „Gibst mir recht?", fragte er überfordert und setzte sich etwas aufrechter hin. „Ran, jetzt tu nicht so als hätte ich noch nie einen Fehler zugegeben.", erwiderte ich und schüttelte leicht den Kopf. „Ich werde das in Ordnung bringen, genauso wie du das mit Sanji in Ordnung...", setzte ich an, unterbrach mich jedoch selber als ich eine Bewegung neben mir wahrnahm. Auch Ranga sah jetzt zu der kleinen Gestalt, die ein Buch neben mir auf den Tisch gelegt hatte. „Ezra.", hörte ich mich selber verwirrt sagen. „Ich denke, dass ist nicht die richtige Lektüre.", stellte Ranga fest und legte die Hand auf den Einband. „Ich habe schlimmeres gelesen.", erwiderte Ezra und setzte sich neben mich. „Kann ich dir helfen?", fragte ich verwirrt und musterte ihn. Wie alt war er gleich? Er konnte doch nicht älter als zehn sein. „Du bist Eric Shi, oder?", fragte er. „Das fällt dir ja früh auf.", erwiderte Ranga und nahm ihm das Buch ab. Doch ich sah ihn nur aufmerksam an. Hatte ihn das Blut so erwachsen werden lassen? Vorher hatte er sich meiner Meinung nach noch wie ein Kind verhalten. Jetzt jedoch... Ezra zuckte kurz mit der Nase als müsse er eine Brille zurecht rücken, die er nicht auf hatte, dann sagte er: „Woher wusstest du, dass ich ein Halbvampir bin? Kannst du es beweisen?", fragte er und legte den Kopf schief.

„Halbvampir?", entkam es Ranga überrascht. Doch ich brachte ihn schnell zum Schweigen. Es musste ja nicht jeder wissen. „In deinen Aufzeichnungen steht, dass Halbvampire nicht möglich sind. Was lässt dich anders denken?", fragte Ezra weiter. „Moment eines nach dem anderen. Meine Aufzeichnungen?", erwiderte ich verwirrt. „Sie waren das letzte, dass ich gelesen habe. Als... als ich noch zu Hause war.", erklärte er. „Sie haben sie sicher veröffentlich.", hörte ich Ranga sagen. „Was nicht erklärt, dass er sie lesen konnte.", erwiderte ich. „Wurden sie dir vorgelesen?", fragte ich verwirrt. Ezra schüttelte den Kopf und erwiderte: „Meine Mütter hatten nicht viel Zeit zu Hause." „Mütter? Wird ja immer abenteuerlicher.", murmelte Ranga und stützte sich auf dem Buch auf. „Vampirkinder lernen offensichtlich schneller als menschliche.", fügte er hinzu und zuckte mit den Schultern. Ich nickte überlegend und sagte dann: „Deine Eltern müssen dir Blut gegeben haben, sonst hättest du... deswegen hast du den Herzfehler erst jetzt wieder bekommen. Weil du kein Blut mehr zu dir genommen hast." Ezra schüttelte den Kopf. „Ich habe zuvor nie Blut getrunken.", beteuerte er. „Dann bleibst du ein Rätsel.", erwiderte ich. Enttäuschte ließ er seufzend seinen Rücken durchhängen und murmelte: „Ich dachte wirklich, dass du trotz Vampirismus ein großartiger Mann bist." „Trotz was?", fragte Ranga. Bevor Ezra irgendetwas taktloses sagen konnte sagte ich: „So bezeichnen die Jäger unsere „Genmutation"." „Genmutation?", rief Ranga ungläubig. „Entschuldigung aber ich war in keinem Stadium meiner Entwicklung ein Mensch. In keiner.", knurrte er. „Ranga, beruhig dich. Das ist nur der Alpha.", machte ich ihn aufmerksam und sah dann wieder zu Ezra. „Tut mir leid, wenn ich dich enttäusche, Ezra. Ich konnte nur leider nicht sehr lange an diesem Thema forschen. Ich hatte so ungefähr sieben Jahre und dann ist das hier passiert. Aber wir können es zusammen rausfinden. Du kannst dabei sein, wenn ich daran weiter forsche.", bat ich ihm an. „Oder ich werde wie du und finde es vor dir heraus.", sagte er mit einem kleinen Lächeln. Ein so unglaublich niedliches Lächeln. Die spitzen Eckzähne, teilweise noch Milchzähne. Nur waren es eben menschliche. Ich musste ebenfalls etwas schmunzeln. „Oder das.", erwiderte ich und hob eine Hand und strich leicht über seinen Kopf.

Doch anstatt weg zu zucken wie anfangs rutschte er noch etwas näher und lehnte sich an meinen Brustkorb. Mein Blick ging zu Ranga, der skeptisch auf den Jungen sah. „Meinte Sanji nicht mal, dass er Angst vor Alpha hat?", fragte er leise und sah zu mir auf. Ich nickte nur leicht und legte meinen Arm auf Ezras Rücken. 

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt