60. Komm mit mir

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Lydia

Mit Tränen in den Augen fuhr ich auf den Hof des Anwesens und stellte den Wagen ab. Sie hatten meinen Sohn und wer wusste was sie ihm auch ohne mein Ungehorsam antaten. Welche Versuche sie an ihm machten. An meinem kleinen Jungen.

Zitternd stieg ich aus dem Auto und schloss es ab. Erst da sah ich das fremde Auto. Spionierten sie mich aus? Schnell wischte ich mir die Tränen aus den Augen und musterte das Nummernschild. Woher kam dieser Wagen? Ängstlich machte ich einen großen Bogen um das Gefährt und eilte zur Haustür. Mit bebenden Händen schloss ich auf und betrat den Hausflur. Alles dunkel und so wie ich es hinterlassen hatte.

Leise ließ ich die Tür zufallen und legte meine Sachen ab. Ohne das Licht anzuschalten ging ich in die Küche und stellte das Wasser an. Erst dann schaltete ich das kleine Licht über dem Herd an und suchte mir eine Tasse und einen Teebeutel. Vielleicht würde mich das beruhigen.

Niemand war hier. Sicher waren es nur Wanderer die ihren Wagen irgendwo abstellen wollten.

Seufzend goss ich das Wasser in die Tasse und tauchte den Teebeutel ein. Dann stellte ich das Licht wieder aus und ging durch den Flur ins Wohnzimmer. Dort ging ich erst zu der Stehlampe neben dem Bücherregal und schaltete diese an um mir dann eins der Bücher zunehmen, vielleicht würde mich das von der Neugier über Erics Arbeit ablenken. Damit drehte ich mich zu dem Sofa herum und schrie auf. Die Tasse rutschte mir aus der Hand und zersprang auf dem Boden.

„Vorsicht.", sagte er und sprang auf. Ungläubig beobachtete ich wie er vorsichtig die Scherben um meine Füße aufsammelte. Diese legte er auf den Couchtisch bevor er sah ob ich mich verbrüht hatte. „Tut mir leid. Ich wollte nicht...", setzte er an als er sich wieder aufrichtete aber ich unterbrach ihn. „Was tust du hier? Bist du verrückt?", rief ich und schlug ihm mit dem Buch auf die Brust. „Verrückt nach dir vielleicht.", sagte er schmunzelnd und nahm mir das Buch ab. „Eric! Das ist kein Scherz.", rief ich und musterte ihn immer noch ungläubig. Was war mit ihm passiert? „Ich weiß, ich bin auch nicht gekommen, weil es grade auf meinem Weg lag... denn ich war seit sieben Jahren nicht unterwegs.", erwiderte er schulterzuckend. „Was wenn sie dich hier finden?", fragte ich verzweifelt. „Werden sie nicht.", erwiderte er und legte sanft eine Hand an meine Wange.

„Dann sag mir was du willst damit du schnell wieder...", setzte ich an. „Willst du mich gleich wieder los werden?", unterbrach er mich und sah sich um. „Hast du Besuch?", fügte er hinzu. „Nein, aber ich kann es nicht ertragen, wenn sie dich auch noch in ihre Finger bekommen.", erwiderte ich verzweifelt und fühlte wie erneut Tränen über meine Wangen liefen. Der sorgenlose Ausdruck auf seinem Gesicht verschwand und er fragte: „Auch?" „Sie haben Azrael.", wimmerte ich und legte meine Hände auf seine Brust. „Azrael.", wiederholte er und legte seine Arme um meinen Körper. „Er... er hat...", sagte er leise und stockend. „Er hat überlebt.", schluchzte ich und klammerte mich an ihn. „Deswegen Azrael?", fragte er und lehnte seinen Kopf an meinen. Ich nickte leicht und vergrub mein Gesicht an seiner Halsbeuge. Azrael der Todesengel. Eine andere Art sich über den Tod lustig zu machen. Er hatte meinen Sohn nicht bekommen aber vielleicht kam er doch noch an sein Ziel.

„Es tut mir leid.", hauchte Eric betroffen und zog mich noch etwas fester an sich. „Nein, ich habe verstanden warum du gehen musstest.", erwiderte ich und hob den Kopf um ihn anzusehen. „Ich habe ihn in Gefahr gebracht.", gestand ich und ließ den Tränen freien Lauf. Eric jedoch strich sie sanft fort und küsste meine Stirn. „Mach dir keine Vorwürfe. Du hast sicher dein Bestes getan.", sagte er leise und strich tröstend durch mein Haar.

Eine Weile stand ich nur da und weinte. Versuchte nicht mehr stark zu sein. Ließ alles los und klammerte mich nur noch an ihn. Seinen Geruch, seine Gegenwart. Ließ ihn meinen Schmerz tragen. Erst als ich keine einzige Träne mehr weinen konnte löste ich mich von ihm und sah zu ihm auf. „Willst du ihn sehen?", fragte ich mit rauer Stimme. Sofort nickte er. Mit einem kleinen Lächeln drehte ich mich herum und zog eines der Fotoalben hervor. Eric setzte sich auf das Sofa und setzte mich schrägt auf seinen Schoß. So dass er mich in den Arm nehmen konnte ich ihn und das Fotoalbum jedoch noch sah.

Zitternd schlug ich die erste Seite auf. Es war mein Lieblingsalbum. Noelia hatte es angeordnet.

„Oh Gott.", hörte ich Eric hauchen. Seine Finger legten sich auf die glänzende Folie und strich über das lächelnde Kindergesicht. Es zeigte Azrael als er das erste Mal krabbelte. „Er war sehr flink.", sagte ich lächelnd und musste leicht lachen. „Manchmal war es schwer ihn wieder eingefangen zu bekommen.", fügte ich hinzu und sah zu Eric auf. Doch sein Blick haftete nur auf den Bildern. Die Seite knackte leise als er weiter blätterte. „Da hat er seinen ersten Zahn verloren. Er war darüber nicht wirklich erfreut.", sagte ich und ließ meinen Blick über das unzufrieden Gesicht gleiten.

„Ich habe euch alleine gelassen.", sagte Eric leise und blätterte weiter. „Du dachtest ich sei hier sicherer und du hattest jeden Grund zur Annahme, dass Azrael sterben würde.", wiedersprach ich und sah zu ihm auf. Mein Blick lag auf der verschonten Seite seines Gesichts. Wie konnte er verletzt sein? „Dennoch, ich hätte zurück kommen müssen. Zumindest für die Zeit für die ich es noch konnte.", erwiderte er und strich erneut über die Bilder. Azrael mit seiner ersten Brille. Zu der Zeit wollte er auf keinen Fall die Haare geschnitten bekommen, weswegen Noelia sie ihm jeden Morgen zum Teil auf dem Kopf zusammen binden musste. Diese schwarzen, glänzenden Haare. Wie ein See in der Nacht.

„Es ist okay, ich war doch nicht alleine und Azrael war ein glückliches Kind.", sagte ich und sah wie er bitter die Lippen zusammen kniff. Wobei die Narbe auf seiner Oberlippe sich leicht verzog. „Er hat nie gefragt, richtig? Nach mir?", fragte er leise. Ich schüttelte leicht den Kopf und legte eine Hand an seine unverletzte Wange. „Aber er hätte es sicher irgendwann. Eric, auch wenn er dich nicht als Vater gebraucht hat... Er brauchte dich als Wissenschaftler. Er hat jedes deiner Bücher gelesen. Deine Notizen zu Shinjis Büchern. Wir haben ihm nie gesagt, dass der Dr. Eric Shi, den er so verehrte ein Vampir ist. Wir dachte es sei sicherer. Aber er hat deine Arbeit geliebt. Es hat mich manchmal an Sanji erinnert. Wie er in der Fensterbank in deinem Zimmer saß und ein Buch nach dem anderen verschlang.", erzählte ich und küsste sanft seinen Mundwinkel.

„Komm mit mir. Ich ertrage es nicht dich hier zu lassen. Ohne ihn, ohne Schutz. Lydia, gib mir noch eine Chance.", bat er leise und sah mit Tränen in den Augen zu mir. „Ich habe dich diese Last tragen lassen.", fügte er mit gebrochener Stimme hinzu. „Nein, Eric, hör auf. Gib dir nicht die Schuld. Ich hätte doch genauso untertauchen können. Habe ich aber nicht. Weil ich dachte das Azrael in dieser Welt sicherer sei als du.", erwiderte ich. Eric schluckte schwer und wiederholte: „Komm mit mir." Ich schüttelte langsam den Kopf und sagte: „Sie haben Azrael und sie werden ihn töten, wenn ich verschwinde, wenn ich nicht mehr für sie arbeite." Langsam schloss Eric die Augen und mehr von den glitzernden Tropfen rollten über seine Wangen. „Es tut mir so leid.", sagte er mit brechender Stimme und schloss das Fotoalbum. Vorsichtig legte ich es weg und schlang beide Arme um seinen Nacken. Ich fühlte wie sein Brustkorb anfing zu vibrieren und seine Finger sich in meine Bluse krallten. Sie hielten nicht mehr sie selbe Stärke wie zu Anfang. Geradezu schwach erschien er mir in meinen Armen. „Ich habe dir das angetan.", wimmerte er und vergrub sein Gesicht tiefer an meinem Hals. „Nein, Eric, Hör auf. Azrael ist das Beste, dass mir nach dir passiert ist. Ich würde nichts rückgängig machen wollen.", erwiderte ich und strich durch sein schwarzes Haar. Eben so schwarz wie das unseres Sohnes. Zitternd schlang er die Arme fester um mich und schluchzte: „Ich hätte euch mitnehmen müssen. Egal wie verdächtig du dann bist. Ich hätte dich und ihn beschützen müssen. Ich war kein Vater, kein Mann." „Eric.", hauchte ich und entfernte mich wieder etwas, wischte die Tränen fort. Wobei er zischend den Kopf zurück zog. „Ist das frisch?", fragte ich entsetzt als ich neben den Tränen auch Wundflüssigkeit fühlte. „Ist es.", sagte er mit dünner Stimme und zwinkerte die Tränen fort. Atmete tief durch bis er sich beruhigte. „Eric, ich denke niemand konnte in dieser Zeit ein Vater sein.", sagte ich leise und stand auf um das große Licht anzuschalten. Im Hellen sah es noch schlimmer aus. „Shota war ein Vater.", sagte er leise. „War er es vorher?", fragte ich rhetorisch und zog seinen Kopf sanft hoch. „Shota ist Shinji.", erwiderte er und ließ mich die gereizte Haut untersuchen. „Shinji? Shinji Yoru?", fragte ich verwirrt und Eric nickte. „Das erklärt sein Können.", murmelte ich während ich vorsichtig seinen Kopf weiter hob um auch seinen Hals und seine Brust zu sehen. 

Vamp Zone 《4》Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt