03| Ich mag anscheinend Ringe

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Mit verschränkten Armen stand ich in dem leeren Klassenraum und las mir das Geschriebene an der Tafel durch. Seufzend ließ ich meinen Blick durch den kahlen Raum wandern. Grell weiße Wände umgaben mich und blendeten schon fast so sehr, dass der Blick aus den Fenstern auf die ebenfalls farblose Blumenwiese schon fast schmerzte.

Kopfschüttelnd drehte ich mich zurück zur Tafel und setzte mit der weißen Kreide den letzten Punkt meines Aufsatzes, woraufhin dieser automatisch wieder verschwand. „Ach scheiße, ey!" Genervt warf ich das Kreidestück durch ein Portal, welches für mich hier wie eine Art Mülleimer für meine unendlichen Ressourcen fungierte.

„Also nochmal..." Ein neues Kreidestück erschien in meiner Hand und ich setzte gerade dazu an, mein Wissen erneut zu testen, als mich eine schrille Stimme aus meiner Traumwelt riss.

„Nein, ich will nicht!" Jerreds Gequengel drang aus dem Wohnzimmer an meine Ohren. Murrend drehte ich mich auf den Bauch und vergrub mein Gesicht in meinem wunderschönen Kissen.

„Komm schon, weck jetzt bitte Mickey, sonst kommen wir noch zu spät."
Meine Tür ging auf und das leise Quietschen von Jerrys Hausschuhen, während er von Matt in mein dunkles Zimmer geschoben wurde, ertönte.

„Aber-"

„Mach jetzt!" Mit starrem Blick richtete ich mich auf und funkelte meine Brüder an. Beide schluckten unwohl und Matt räusperte sich. „Jerry wollte dich wecken." Dann verschwand er mit einem Puff aus dem Türrahmen.

„Gar nicht wahr! Mickey, Matt wollte mich dazu drängen, deinen wundersamen Schlaf zu stören, aber-"

„Raus", murrte ich mit ruhiger Stimme in aggressiver Font und krallte mich in meine Decke.

„Wir fahren in einer Stunde!" Jerry duckte sich vor dem nicht-existierenden Kissen, das auf ihn zuflog und rannte in die Küche. Brauchte ich überhaupt zu erwähnen, dass er die Tür dabei sperrangelweit offen ließ?

„JERRED WILLOWETT!"

„Mickey, warum musst du morgens immer so lowkey scary sein?" Schmollend leckte Jerry den Deckel von seinem Vanillejoghurt ab, um auch ja kein einziges Geschmacksmolekül zu verschwenden.

Skeptisch versuchte ich eine Augenbraue hochzuziehen, was mir noch nie gelungen war, und betrachtete die Sauklaue meines Bruders, die mir kopfüber entgegen lächelte. Dieses Mal hatte er sich sogar so viel Mühe gemacht und ein verkorkstes Herz daneben gemalt.

„Jerred?" Müde starrte ich den Morgenmenschen vor mir an.

„Hör auf mich zu Jerred-en!" Jerred begann zu zappeln, und gab mir einen leichten Tritt unterm Tisch.

Genervt verdrehte ich die Augen. „Du bist morgens immer so anstrengend." Hungrig biss ich in mein mit Tomate und Frischkäse belegtes Brötchen und kaute genüsslich. Lecker!

„Sagt der Richtige. Los, beeilt euch, ich hab keinen Bock zu spät zur Vorlesung zu kommen." Verschmitzt grinste Toby und kippte sich seinen Kaffee ein.

Angewidert schauderte ich. Diese braune Höllenbrühe war nicht mal in den Top hundert meiner Lieblingsgetränke zu finden, und konnte grünen Tee in den Top drei eh nie erreichen. Kaffee blieb bei mir für immer unterm Siegertreppchen vergraben!

Gähnend streckte ich mich und ging um den Küchentresen, der gleichzeitig auch als Esstheke diente, und machte mir eine Wasserflasche für die Uni. „Wer fährt heu-„

„Ich fahr den Fiesta!" Mit seinem ohrenbetäubenden Gekreische sprang Jerry auf und stolperte über seine Tasche, schaffte es jedoch irgendwie trotzdem bis zum Schlüsselbrett, und schnappte sich- mit seinen Füßen in den Trägern seines Rucksacks verknotet- den schwarzen Autoschlüssel, bevor er Gesicht voran gegen die Wand klatschte.

Das Geheimnis des SeelenfängersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt