18| Der Zickenkrieg nimmt seinen Lauf

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TW: Selbstverletzung erwähnt!

„Ich hab dir nicht gesagt, du darfst rein kommen!" Jerred stand mit verschränkten Armen neben der offenen Zimmertür. Er hätte mich definitiv nicht freiwillig rein gebeten. Meinen Bruder ignorierend ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen.

Es war, als wäre eine Bombe eingeschlagen, als wäre ein Hurricane durch das Zimmer gepest. Nur dass Jerred Bombe und Hurricane zugleich war. Die alte aber gepflegte Eichenholzkommode schaute mich schief von unten an, die wenigen Dekoartikel, die ursprünglich auf der Ablage geglänzt hatten, lagen nun quer über den staubigen Boden verstreut und die Vorhänge vor dem großzügigen Fenster waren so ruckartig zugezogen worden, dass Jerreds Krallen Spuren hinterlassen hatten.

„Ich glaube deine Impulskontrollprobleme kommen wieder zum Vorschein." Ich konnte nicht anders, als das Feuer mit Gas zu füttern.

„Raus! Geh! Lass mich alleine!" Die Furie war mit drei stampfenden Schritten bei mir und zog mich von der umgeworfenen Kommode weg zurück zur Zimmertür.

„Ey, lass mich los!" Ich wand mich in Jerrys steinhartem Griff und stemmte meine Hacken in den Boden. Rutschend versuchte ich auf dem alten Holzboden Halt zu finden.

Es waren Momente wie diese, in denen ich mal wieder merkte, wie viel stärker der Werwolf war. Mein Gezappel schien ihn wenig zu interessieren. Er tat nicht einmal so, als wäre mein Versuch mich zu wehren auch nur irgendein winzig kleines Hindernis für ihn.

„Jerry!" Ich schauderte. Momente wie dieser schlugen mir mit der Realität skrupellos ins Gesicht. So grummelig ich manchmal sein konnte, und so sehr meine Brüder bei meinen Eskapaden mitspielten, die Realität sah ganz anders aus.

„Jerry, lass mich los, verdammt!" Ich stemmte meine Füße gegen den Türrahmen. Meine Fassade begann zu bröckeln. Was war ich ohne meine treu eingespielte Maske? Wer war ich schon, wenn ich mir die Wahrheit eingestand?

„Hör auf, nenn mich nicht so!" Der Mittlere fauchte und kickte meine Beine vom Türrahmen weg. Das Gleichgewicht verlierend drehte ich mich und knallte auf den Boden. Ein Wimmern unterdrückend zog ich die Luft ein. Mein Steißbein pochte.

Das wilde Blitzen in den Augen des Mittleren ließ nach. Stumm blickte er auf mich herab. Dann packte er mich wieder am Arm und zog mich mit einem Ruck auf die Beine.

Arsch. Sonst meckerte er, wenn man ihn nicht bei seinem Spitznamen nannte, und jetzt war es plötzlich umgekehrt. „Aber du mich, oder wie?", fauchte ich zurück. Was er konnte, konnte ich schon lange! Dafür brauchte ich keinen inneren Wolf.

„Wann war bitte das Letzte Mal, dass irgendwer deinen eigentlichen Namen gehört hat, hm? Du reagierst auf den doch nicht mal mehr!" Jerred schubste mich rückwärts durch den Türrahmen in den Flur. „Wegen dir hock' ich während dem Lagerfeuer hier rum, und ich soll mich bei dir entschuldigen?! Fahr zur Hölle, Mickey!" Meinen Namen spuckte er mir förmlich entgegen. Als wäre er Gift auf seiner Zunge und würde ihn jede Sekunde von innen heraus verbrennen.

Blitzend grüne Augen starrten mir entgegen und ein Blinzeln später stand ein großer, brauner Wolf vor mir; Nackenhaare aufgestellt, den Schwanz angehoben und die Schnauze kräuselnd.

Ich schluckte. Mit Vollmond-Jerred war heute wohl nicht zu spaßen. Wenn man den Köter so im Alltag beobachtete, konnte man nicht denken, dass sein Hirn maximal zwei Gehirnzellen jonglierte. Jetzt war ich mir nicht sicher, ob das nicht doch eher Messer waren.

„Was hab ich denn hier verpasst?" Mein Blick schnellte zum Nebenzimmer. Toby stand grinsend im Türrahmen, die Hände am oberen Balken, und tauschte einen Blick mit dem angepissten Wolf uns gegenüber.

Das Geheimnis des SeelenfängersWo Geschichten leben. Entdecke jetzt