Kapitel 42

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Als ich später aufwache, liege ich ihm Wohnzimmer noch immer auf der Couch. Alex sitzt neben mir und sieht nachdenklich auf den Fernseher, der angeschaltet ist. Langsam richte ich mich auf. „Hey, du bist ja wach." sagt Alex. Leicht nicke ich. Ich bin noch immer total verschlafen. „Warum warst du vorhin in der Schule? Dir ist es doch gar nicht gut gegangen und außerdem bist du erst gestern im Krankenhaus gewesen. Normalerweise hätte ich dich nicht nach Hause gehen lassen dürfen, aber da du meine Schwester bist und ich weiß, dass genug Leute hier sind, um sich um dich zu kümmern, konnte ich dich wieder gehen lassen. Tiana, aber das heißt doch nicht, dass du gleich wieder in die Schule gehen kannst." hält Alexander mir einen Vortrag.

„Ich wollte nur nicht ... Ich weiß nicht, was ich wollte." meine ich schließlich zu dieser Sache. Eigentlich weiß ich ganz genau, was ich nicht wollte. Ich wollte nicht, dass ich Alex wieder Ärger bereite. Ich wollte nicht, dass er sich Sorgen macht, aber ich habe genau das Gegenteil erreicht. Meine Schuldgefühle wachsen stetig an. Warum kann ich nicht einmal vernünftig sein und keine Probleme machen? Immer muss etwas mit mir sein. Alex hat doch fast kein eigenes Leben mehr. Ständig muss er sich um mich kümmern, sich mit mir herumschlagen. „Du bleibst diese Woche noch zu Hause, ok?" richtet sich mein Bruder wieder an mich. Bevor ich aufstehe, nicke ich noch einmal.

In meinen Zimmer angekommen kann ich die Tränen nicht mehr länger unterdrücken. Ich bin das Problem, das keiner haben will. In der Schule machen mich alle fertig und sagen, dass ich verschwinden soll. Vielleicht haben sie recht und ich sollte verschwinden. Dann hätte zumindest Alex wieder ein normales, besseres Leben und auch die anderen, die hier wohnen, wären besser dran ohne mich.

Ohne lange zu überlegen, laufe ich in mein Bad und nehme wieder die Rasierklinge zur Hand. Es muss für Außenstehende schwer sein, nachvollziehen zu können, warum man sich selbst verletzt. Aber genau in solchen Momenten, wie diesen, hilft es einen. Man lenkt sich zumindest für einen kurzen Zeitraum von den inneren Schmerz ab.

Immer und immer wieder ziehe ich die Klinge über meinen Arm. Insgesamt acht Mal. Es blutet. Mein Waschbecken ist schon ganz rot von dem Blut, meinem Blut. Schnell spüle ich erst meinen Arm, danach das Waschbecken mit Wasser ab. Die Schnitte hören langsam auf zu bluten, zum Glück.

Völlig fertig lasse ich mich auf mein Bett fallen und schalte Netflix ein. Etwas Ablenkung tut jetzt bestimmt gut. Nach einer halben Stunde höre ich ein leises Klopfen an der Tür, die kurz danach auch schon auf geht. „Tia, essen ist fertig. Kommst du?!" sagt Levin. Danach dreht er sich auch schon um und verschwindet wieder. Ich mag nicht hinuntergehen, nicht vor allen sitzen. Ich beschließe einfach in meinen Zimmer zu bleiben, auch wenn ich ganz genau weiß, dass gleich wieder jemand kommen wird, der mich auffordert mitzukommen.

Genau wie ich es erahnt habe, passiert es auch. Keine fünf Minuten später wird meine Tür erneut aufgemacht und wieder kommt Levi hinein. „Hast du mich vorhin nicht verstanden?!" meint er belustigt. Kann mich der nicht einfach in Ruhe lassen?! Ich ziehe mir die Decke über den Kopf in der Hoffnung, dass er einfach wieder geht, aber da liege ich falsch. „Hey, was ist denn los?" vorsichtig setzt sich Levi an den Bettrand und nimmt die Decke wieder ein Stück nach unten, sodass man mein Gesicht sehen kann. „Nichts." sage ich einfach. „Na dann, hast du ja sicher auch kein Problem damit runter zu gehen." Ich nicke. Ich will nicht, dass sich noch jemand Sorgen um mich macht. Verwirrt blickt er mich an. Anscheinend hat er mit mehr Widerstand gerechnet. Zusammen laufen wir hinunter und setzen uns an den Tisch, wo bereits auch die anderen sind.

Während dem Essen melde ich mich kein einziges Mal zu Wort. Was soll ich denn auch schon erzählen? Es gibt nichts und das was es gibt, werde ich bestimmt nicht erzählen. „Du schaust noch immer nicht so fit aus." meint plötzlich Ben. Er redet über mich. „Wie geht es dir denn?" fragt er nun direkt an mich gewandt. „Gut." antworte ich. „Schaut aber nicht so aus." sagt nun auch Ari. Man gehen mir die auf die Nerven. Wenn sie eh alles besser wissen, warum fragen sie dann auch überhaupt. Zum Glück sind schon alle mit essen fertig, sodass ich wieder in mein Zimmer verschwinden kann.

Das einzig Positive, was am gestrigen Schultag zwischen Viktoria, den anderen und mir passiert ist, ist, dass ich jetzt die gesamte Woche zu Hause bleiben kann. Ich muss mir keine blöden Sprüche von Mitschülern anhören. Aber ich bin mir irgendwie auch sicher, dass mich das doppelte dann nächste Woche erwartet. Sie werden mich fertig machen. Wenn ich so darüber nachdenke, bekomme ich jetzt schon Angst. Ich will dort einfach nicht mehr hin. Anfangs dachte ich noch, dass sich das alles nach spätestens einer Woche wieder gelegt hat, aber es wird immer schlimmer. Mit diesen Gedanken schlafe ich auch schließlich ein. Allerdings ist dieser Schlaf alles andere als erholsam.

Twisted Life   (Big Brother Story)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt