Kapitel 48

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Von leichten Bewegungen werde ich wach. Anscheinend bin ich einfach so im Behandlungszimmer eingeschlafen. Leicht mache ich meine Augen auf und merke, dass mich mein Bruder gerade aus dem Krankenhaus in Richtung Auto trägt. Leise grummle ich irgendetwas Unverständliches vor mich hin. Verschlafen kann ich erkennen, dass Alexander davon leicht lachen muss. Ich vergrabe mein Gesicht in seiner Brust. Ich will für immer in seinen beschützenden Armen liegen. Er bedeutet mir so viel. Anfangs wusste ich noch nicht einmal, dass ich einen Bruder habe und jetzt, nach wenigen Monaten, will ich mir ein Leben ohne ihn nicht mehr vorstellen.

Vorsichtig öffnet er die Autotür und lässt mich am Beifahrersitz nieder. Im Halbschlaf kann ich erkennen, dass er mich anschnallt, bevor er ums Auto geht und sich selbst auf den Fahrersitz niederlässt. Die Fahrt ist ziemlich beruhigend. Die ruhige Musik aus dem Radio veranlasst mich dazu wieder einzuschlafen.

Am nächsten Morgen wache ich nicht wie gewöhnlich in meinen eigenen Bett auf, sondern in dem von Alex. Wie komme ich denn hier her? Verwirrt blicke ich umher, kann aber auf den ersten Blick keinen erkennen. Als sich meine Augen an die morgendliche Sonne gewöhnt haben, fällt mir auf, dass Ben an Alex' Schreibtisch sitzt. Warum sehe ich ihn erst jetzt? Ich bin so verwirrt. Plötzlich fällt mir der gestrige Tag wieder ein. Sie wissen alles. Ich brauche nichts mehr leugnen oder verstecken. Es hat keinen Zweck mehr. Langsam richte ich mich auf. Schon jetzt befinden sich tausend Gedanken in meinem Kopf. „Du bist ja wach." stellt Benjamin fest, als er von seinen Unterlagen aufschaut. Wahrscheinlich sind das irgendwelche Unterlagen vom Krankenhaus.

Alex und Ben nehmen öfters mal etwas Arbeit mit nach Hause, um nicht die ganze Zeit in der Klinik verbringen zu müssen. Würde ich genau so machen. Hier ist es doch viel bequemer zu arbeiten, als dort. Zudem kann man einfach in Schlapperklamotten herumlaufen und muss nicht diese Krankenhauskleidung anziehen. „Warum bist du hier? Und wo ist Alex?" frage ich mit brüchiger Stimme. Man kann deutlich hören, dass ich gestern geweint habe. „Alex ist einkaufen und da dachte ich mir, es wäre vielleicht eine gute Idee bei dir zu bleiben. Außerdem ist es hier gemütlicher als am Esszimmertisch die Patientenakten zu bearbeiten." meint er. Also hatte ich recht, dass er Arbeit mit nach Hause genommen hat.

„Ich brauche aber keinen Aufpasser." murmle ich leise. Ben scheint es aber trotzdem gehört zu haben, allerdings sagt er nichts dazu. Wahrscheinlich lässt mich jetzt keiner mehr aus den Augen, weil sie Angst haben, ich könnte mich wieder selbst verletzen. Meiner Meinung nach, ist das wirklich übertrieben. Mir geht es gut.

Langsam stehe ich auf und gehe in mein Badezimmer, um mich fertig zu machen. „Wohin willst du?" fragt Ben, als ich gerade aus der Tür verschwinden will. Ich glaube, meine Reaktion auf diese Frage kann sich jeder denken. Automatisch verdrehe ich die Augen. „Willst du mich jetzt ernsthaft auf Schritt und Tritt verfolgen?! Ich tue mir schon nichts an." meine ich bisschen gereizt. „Tia, rede nicht so. Wir machen uns alle doch bloß sorgen. Ich glaube dir ist bewusst, dass es später noch ein Gespräch geben wird?" fragt er und zieht die Augenbrauen nach oben. Ich nicke nur und verschwinde.

Daran hätte er mich jetzt nicht erinnern müssen, denn ich habe absolut keine Lust darauf. Wahrscheinlich stellen sie mir wieder tausend Fragen, die ich nicht beantworten will. Sie werden mich so lange damit ausquetschen, bis ich nachgebe und ihnen alles erzähle. Auf der einen Seite kann ich ja Alex und die anderen verstehen. Sie machen sich Sorgen, wollen nur das beste für mich und so weiter. Aber ich habe Angst davor, es ihnen zu sagen. Was ist wenn es in der Schule nur noch schlimmer dadurch wird? Das halte ich nicht aus. Mit der momentane Situation habe ich schon so meine Probleme und schaffe es gerade so überhaupt noch in die Schule zu gehen, aber wenn Viktoria wirklich noch angriffslustiger wird, weiß ich nicht, was ich machen soll.

Frisch geduscht gehe ich nach unten in die Küche. Ich habe großen Hunger und wahnsinnig Lust auf Pancakes. Ich denke, ich mache einfach welche. Unten angekommen, schaue ich nach, ob alle Zutaten zu Hause sind. Zum Glück kann ich alles finden, was ich für Pancakes benötige.

Gerade als ich die letzten aus der Pfanne auf einen Teller lege, kommt Ben in die Küche geschlendert. „Was hast du denn Schönes gezaubert?" fragt er neugierig. „Pancakes. Du kannst dir gerne auch welche nehmen. Ich habe eh viel zu viele gemacht." Ben lässt sich das nicht zweimal sagen und schnappt sich ein paar auf einen Teller. Zusammen lassen wir uns am Tisch nieder und frühstücken gemeinsam.

„Die anderen sind nicht da?" frage ich, um die Stille zu brechen. „Nein, sie haben mitten in der Nacht einen Einsatz reinbekommen. Ich weiß nicht, wann sie wieder kommen werden, aber ich denke relativ bald, da sie schon ziemlich lange weg sind." Arian und Levin arbeiten ziemlich viel. Entweder sie benötigen das Geld, was ich eher nicht glaube oder ihnen gefällt ihre Arbeit sehr gut. So etwas finde ich bewundernswert. Später mal, will ich auch einen Beruf ausüben, der mir so viel Spaß bereitet, dass es sich nicht wirklich wie Arbeit anfühlt. Momentan kann ich mir noch gar nicht vorstellen, was ich später mal machen will.

„Warum wolltest du eigentlich Arzt werden?" frage ich aus dem Nichts. „Wie kommst du denn jetzt da drauf?" sagt Benjamin belustigt. „Keine Ahnung, aber dir scheint ja dein Beruf viel Spaß zu machen. Ich denke, Ari und Levi sind auch sehr gerne Polizisten, da sie echt viel arbeiten." antworte ich. „Also, ich wusste lange Zeit nicht was ich machen will, welchen Beruf ich ausüben will. Viele meiner damaligen Mitschüler war schon sehr früh bewusst, was sie arbeiten wollen, ich hingegen nicht. Mein Schulabschluss kam immer näher und ich musste mich entscheiden. Das einzige was ich wusste war, dass ich nicht gleich arbeiten gehen wollte, sondern erst einmal studieren wollte. Ich habe sehr lange überlegt, welches Studium zu mir passen würde und irgendwann kam ich dann auf Medizin. Mir fielen die naturwissenschaftlichen Fächer in der Schule immer schon etwas leichter, als jetzt zum Beispiel sprachliche Fächer. Außerdem hatte ich großes Glück damals, denn meine Eltern haben mich unterstützt. Ohne deren Unterstützung hätte ich es nie geschafft Arzt zu werden. Ich bin Ihnen sehr dankbar." Eigentlich dachte ich, dass Ben schon immer wusste, was er mal arbeiten will. Sein Leben sieht so gut strukturiert und einfach perfekt aus.

„Warum bist du eigentlich nie bei deinen Eltern?" frage ich danach. „Meine Eltern sind leider bereits verstorben. Es ist schon einige Jahre her." meint er. Ich nicke nur verständlich. Ich selbst weiß nur zu gut, wie es sich anfühlt, wenn man jemanden verliert, der einem mehr als nur wichtig ist. Ben und ich unterhalten uns noch ein wenig, bevor ich es mir auf der Couch vor dem Fernseher gemütlich mache.

Twisted Life   (Big Brother Story)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt