Lennys Treffen 2

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Als ich wieder auf einem Bein stehe, mich stützend an dem Mann festhalte, kommt mir der Geruch seines Aftershaves entgegen. Es ist so intensiv und unangenehm, dass ich ein niesen unterdrücke. 

"Da drüben ist ein Restaurant, was scheinbar noch geöffnet hat. Können Sie mich dahin bringen? Von dort kann ich sicher jemanden anrufen, der mich abholt und meinen Knöchel kühlen." Der Mann sieht mir durch seine Sonnenbrille genau in die Augen, das kann ich spüren. Ich bleibe standhaft und versuche mich so exakt wie möglich in meine Situation zu versetzen. 

Er schüttelt den Kopf. "Das geht nicht. In dem Restaurant ist heute geschlossene Gesellschaft." Dann sieht er sich nach anderen Möglichkeiten um. "Aber warum sollte das nicht gehen? Ich will da ja niemanden stören, mich nur kurz hinsetzen.", lächle ich zuversichtlich und versuche mich in die Richtung des Restaurants zu positionieren. "Nein.", sagt er bestimmend. "Das geht nicht." 

Fuck! Wenn ich es nicht schaffe, ihn davon zu überzeugen, dann haben wir ein riesiges Problem und Lenny ist vollkommen auf sich gestellt. Panik kommt schießt ihn mir hoch, doch sie darf nicht die Überhand gewinnen. "Sie müssen ja nicht mit reinkommen, ich will sie gar nicht weiter aufhalten. Es tut mir Leid, dass ich sie störe. Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Hier ist doch alles geschlossen, bis auf dieses Restaurant und ich bin viel zu weit weg von zu Hause.", erkläre ich und meine Stimme zittert leicht. 

Der Mann scheint zu überlegen. Ob er Mitleid mit mir bekommt oder keine Lust darauf hat, sich das Gelaber einer panischen Frau anzuhören, weiß ich nicht, ist mir aber auch egal. 

"Also schön...", seufzt er genervt und wir laufen in Richtung Restaurant. 

Er klopft dreimal gegen die Tür, einmal kurz zwei mal lang. Es öffnet uns ein dünner, großer Kellner mit riesigen schwarzen Augen und langen schwarzen Haaren. "Wir müssten einmal rein.", sagt der Mann und der Kellner mustert uns irritiert. Dann öffnet er die Tür. 

Vorne ist weit und breit kein Gast zu sehen, also befinden Lenny und Leroy sich in einem der separaten Räume. Ich sehe mich so unauffällig um, wie ich kann, während der Mann dem Kellner die Situation erklärt. Der Kellner mustert mich dabei und nickt dann. "Madame, wenn Sie telefonieren möchten, nehmen sie bitte das Telefon hier", und zeigt auf ein Wandtelefon direkt neben der Essensausgabe. 

"Vielen lieben Dank", sage ich. Er stellt mir einen Stuhl daneben und ich hinke zum Telefon. Der Mann aus dem Auto steht vor der Eingangstür und beobachtet jede meiner Bewegung. Es macht mich nervös, dass er mich keine Sekunde aus den Augen lässt. 

Ich wähle die Nummer von dem Prepaidhandy, welches Mat heute morgen besorgt hatte und dessen Nummer ich binnen 20 Minuten auswendig lernen musste - so ganz ohne Druck. Er nimmt sofort ab. 

"Julie, ist alles gut?", fragt er mit gedämpfter Stimme. "Hey Mom, mir ist so etwas doofes passiert...", beginne ich. "Gut. Kannst du Leroy und Lenny sehen?" "Ja Mom, halb so schlimm. Ich bin beim Joggen umgeknickt und muss abgeholt werden." "Halb so schlimm, im Vorzimmer wird sicherlich auch viel geredet...Hast du die Möglichkeit, dort das Mikro irgendwo anzubringen?" Mat redet so ruhig und gelassen, dass seine Stimmung direkt auf mich abfärbt, auch wenn das vermutlich nur gespielt ist. "Ich bin mir unsicher. Ein netter Mann hat mir geholfen und ich sitze jetzt in einem Restaurant, welches eigentlich schon geschlossen zu haben scheint. Zumindest ist hier niemand außer der Kellner", scherze ich. "Kannst du mich schnell abholen oder soll ich mir ein Taxi nehmen?" Während des Telefonats schweift mein Blick weiter durch den Raum, ich versuche irgendetwas auffälliges zu entdecken oder eine Möglichkeit, an der ich das Mikro anbringen kann. 

Der Kellner ist nach hinten verschwunden. Ich muss nur noch den Mr. Glatzkopf loswerden. "Entschuldigung, welche Hausnummer ist das hier?", frage ich. "Sie muss einfach nur den Namen des Restaurants eingeben", antwortet er genervt. Ich verziehe das Gesicht und halte das Telefon zu. "Das bekommt meine Mutter nicht hin, vermutlich landet sie dann in einem Restaurant in der Nachbarstadt", versuche ich zu scherzen. Und es klappt, er öffnet die Tür, um auf die Hausnummer zu schauen, die direkt darüber steht. 

Diese zwei Sekunden müssen ausreichen, um das Mikro zu verstecken und mein Kopf arbeitet auf Hochtouren. Zwei Meter entfernt führt eine Treppe nach oben und am Treppenabsatz steht eine Pflanze, eine ziemlich verstaubte Pflanze. Es scheint sie niemand so wirklich zu beachten. Ich stehe auf, renne zu der Pflanze und befestige das Mikro auf der Innenseite des Topfes. Dann lehne ich mich etwa mittig von Stuhl und Pflanze gegen die Wand und strecke mein Bein aus. 

Der Mann, überrascht wie ich so schnell dahin gelangt bin, schaut mich schief an. "Was soll das?", fragt er und seine Stimme klingt bedrohlich. "Durch das sitzen pocht es in meinem Knöchel, ich glaube, ich muss ein bisschen stehen. Wie lautet also die Hausnummer?", frage ich, als wenn nichts wäre. "56", antwortet er bloß. Ich flüstere ein danke. 

"Mom? Es ist die Nummer 56. Ich warte draußen auf dich, dann können wir uns nicht verpassen. Danke dir, es ist alles gut." Dann lege ich auf und humple in Richtung Tür. 

"Das wars schon?", fragt Mr. Glatzkopf. "Wie bitte?", frage ich irritiert und mein Herz pocht. "Dachte, der Knöchel soll gekühlt werden." Ich bin so erleichtert, dass er nur das meint, dass mir ein Lächeln über die Lippen rutscht. "Ach, ich stelle mich nun raus und warte, da ist es ja kalt genug. Wir werden vermutlich direkt ins Krankenhaus fahren, das passt schon. Vielen Dank für die Hilfe.", sage ich. Der Mann öffnet mir die Tür und ich humple raus. 

Die Minuten, bis ich *abgeholt* werde, kommen mir vor wie Stunden, doch dann taucht ein unscheinbarer Wagen auf, hält direkt vor mir an. Das Fenster geht runter und eine Frau, die vom Alter wirklich meine Mutter sein könnte, schaut mich an. "Hey Julie. Mat schickt mir und ich bringe dich jetzt hier weg.", erklärt sie. 

Etienne - My Brother and BurdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt