Einbruch

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Ich aktivierte die Taschenlampe an meinem Handy und verschaffte mir einen Überblick über den Keller. Er war ziemlich leer und keiner dieser Albtraum-Keller mit Spinnweben und undefninierbaren Dingen in jeder Ecke. Trotzdem muss ich mich hier nicht länger aufhalten als nötig.

Ich öffne vorsichtig die Tür und bevor ich die Treppen hinauf steige, horche ich noch einmal in die Stille hinein. Ich bin mir zwar ziemlich sicher, dass niemand hier ist, aber man kann nicht vorsichtig genug sein.

Langsam schleiche ich die Treppen hinauf und lande im Flur. Ich dimme meine Taschenlampe, denn dieser kleine Leuchtkegel könnte Nachbarn oder Spaziergänger aufmerksam machen. Als ich mich so umssehe, muss ich an das Wochenende denken, dass ich mit Mat hier verbracht hatte.

Es war das schönste, was mir in diesem Jahr passiert ist. Ich hatte das Gefühl, wir waren uns hier noch viel näher gekommen. Hier gründete die Basis unserer Beziehung.

Ich gönnte mir einen kurzen und sentimentalen Augenblick, musste mich aber auf meinen Plan konzentrieren. Wo könnte er den Schlüssel aufbewahren? Ich suchte im Wohnzimmer nach Kästchen oder verschlossenen Schubladen, doch da war nichts. Auch in der Küche war alles offen. Also musste ich wohl oben nachsehen.

Bei dem Gedanken daran, was wir dort oben getrieben haben, spürte ich Hitze in mir aufsteigen. Vermutlich war ich gerade rot wie eine Tomate. Da ich den Schlüssel nicht im Badezimmer vermutete, betrat ich sofort das Schlafzimmer.

Unterm Bett, in den Nachttischen und auch in der Kommode befand sich nichts. Als ich den Schrank öffnete und die wenigen Klamotten, die dort drin lagen, beiseite schob, entdeckte ich eine Art Safe. Er war sehr klein und halb in den Schrank eingebaut. "Bingo", flüsterte ich.

Doch jetzt kam ein neues Problem auf mich zu: Ich muss die Kombination erraten. Erst war ich mir sicher, dass es das Geburtsdatum seiner Mutter war, doch damit lag ich falsch. Auch Milos und mein Geburtsdatum waren es nicht. "Denk nach, Julie. Du bist schon viel zu lange hier drin."

Ich tippe wahllos Kombinationen ein, doch keine führte zum gewünschten Erfolg. Das Gründungsdatum seines Lieblings-Fußballvereins? Nein.

Als ich fast aufgeben wollte, musste ich an etwas denken: Mat hat oft von dem Datum gesprochen, an dem er Anführer der Blinders wurde. Vielleicht war es auch die Kombination für den Safe, doch ich komme nicht mehr auf die ersten beiden zahlen.

Sie war weder einstellig, noch eine Schnapszahl... bleiben noch 20 Möglichkeiten übrig. Und die, so beschloss ich, ging ich nach und nach durch.

Bei der 17 hörte ich ein Geräusch, dass sich wie ein dumpfes Klicken anhörte.

Vorsichtig öffne ich den Safe und atme erleichtert aus. Ich lag richtig, hier lag neben einer Menge Papiere und einer Uhr ein Schlüssel drin. Er sieht so aus wie ein Schließfachschlüssel, zumindest habe ich ihn mir so vorgestellt. Ich stecke ihn in meine Hosentasche, schließe den Safe und mache mich schnellstmöglich aus dem Staub.

Um zwei Uhr nachts bin ich immer noch auf dem Rückweg. Es fuhr keine Bahn mehr und da ich aus genannten Gründen nicht mit dem Taxi fahren wollte, musste ich den Rückweg zu Fuß antreten.

Während ich also lief und lief und immer weiter lief, blieb mir genug Zeit, um über alles nachzudenken. Der Streit mit Mat war hefttig, selbst für unsere Verhältnisse.

Hergott, wie oft wir uns gestritten haben und das immer aus den selben Gründen: Blinders-Scheiß, Etienne-Scheiß und unser eigener Stolz. Ein kleiner Teil in mir fragt sich, ob wir das jemals wieder überwinden könnten. Keine Frage, ich liebe Mat immer noch, so etwas vergeht nicht innerhalb weniger Stunden.

Ich vermisse ihn schon jetzt, ständig schaue  ich auf mein Handy, nur damit mir wieder einfällt, dass mir keiner mehr regelmäßig schreiben wird. Doch wenn ich daran denke, wie sehr ich ihn gerade hintergehe, mischt sich Angst dazu. Ich kann nur hoffen, dass er nicht zu schnell auf mein Vorhaben aufmerksam wird.

Und während ich die dunklen Straßen entlang laufe, verdrücke ich die ein oder andere Träne. Ich wünschte, alles wäre anders gelaufen...

Etienne - My Brother and BurdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt