Seit der Sache bei Steph sind ein paar Tage vergangen. Ein paar seltsame Tage, denn sie waren so unspektakulär, so normal. Wir haben die letzten Schultage vor den Weihnachtsferien hinter uns gebracht, für die letzten Klausuren gelernt und kaum ein Wort über die Ereignisse verloren.
Alles schien normal, wäre da nur nicht dieses dumpfe Gefühl in meinem Magen. Dieses Gefühl lässt mich nicht vergessen, was geschehen ist und was uns noch bevor steht. Auch wenn Mat sich nicht gemeldet hat, war er immer in meinen Gedanken.
"Guten Morgen.", begrüße ich Maman, als sie an diesem Samstagmorgen in die Küche kommt. Verschlafen wischt sie sich eine Strähne aus dem Gesicht und küsst mich auf die Wange. "Kannst du mir einen Kaffee machen?", fragt sie und ich hebe die Kanne an, um ihr zu signalisieren, dass ich bereits welchen für uns gekocht habe. "Du bist ein Schatz.", lächelt sie.
Sie gießt sich etwas in die letzte saubere Tasse und nimmt einen Schluck. Es sieht so aus, als würde der Kaffee ihr unmittelbar die Lebensgeister zurückgeben und ihre Augen werden wacher. Sie lehnt sich gegen die Küchenzeile und betrachtet mich.
"Was ist?", frage ich. "Wir müssen uns unterhalten.", sagt sie ernst. Sofort überkommt mich die Angst, dass Etienne etwas damit zu tun hat. Hoffentlich war er nicht hier und hat mit ihr gesprochen.
"Okay.", sage ich langsam und folge ihr ins Wohnzimmer. Sie setzt sich an den Esstisch und zeigt auf den Stuhl gegenüber. "Maman, jetzt machst du mir Angst." Sie atmet tief ein und legt ihre Hände nervös um ihre Tasse. "Ich habe lange nachgedacht. Wie du weißt, geht es mir manchmal nicht so gut und ich denke, ich sollte für eine Weile nach Frankreich zu unserer Familie."
"Das ist doch eine gute Idee... denke ich..." Die Idee ist überraschend, aber eigentlich gut. Maman braucht jemanden, der permanent für sie da ist und dem sie vertrauen kann. Ich kann das nicht.
"Ich werde in zwei Tagen fliegen.", sagt sie leise. "Was?", frage ich irritiert. "Und was ist mit mir? In Vier Tagen ist Weihnachten." Deshalb war ihr der Gesprächsanfang so unangenehm, sie will mich hier alleine lassen. "Du kannst natürlich mitkommen, wenn du willst. Ich war mir nur nicht sicher, ob du möchtest."
"Natürlich will ich über Weihnachten mit nach Frankreich, aber woher nehmen wir das Geld?" Der Gedanke, ein paar Tage von hier zu verschwinden und keine Angst haben zu müssen, dass Etienne hinter der nächsten Ecke lauert, gefällt mir. "Nicht nur über Weihnachten. Wenn du mitkommst, dann musst du mit mir dort bleiben."
Ich verstehe gar nichts mehr. "Was redest du da?", frage ich verwirrt. "Ich werde länger dort bleiben. Und wenn du mitkommst, kannst du dort zur Schule gehen. Vielleicht für ein Halbjahr? Mein Cousin wird uns die Flüge bezahlen. Er sagte aber, er wird nur zahlen, wenn wir lange bleiben."
"Also habe ich die Wahl: Entweder ich bin hier komplett alleine oder komme direkt für ein halbes Jahr mit nach Frankreich? Wie stellst du dir das vor?" Das ist lächerlich, ich sollte meiner eigenen Mutter nicht erklären müssen, wieso das nicht geht.
"Bitte denk darüber nach. Ich muss ihm morgen Abend Bescheid geben, dann wird alles gebucht." Dann steht sie auf und geht zurück ins Schlafzimmer. Vermutlich nimmt sie die nächsten Schlaftablette und wird bis heute Abend nicht mehr aus dem Zimmer kommen.
Ich lehne mich seufzend zurück gegen die Stuhllehne und starre meine Tasse an. Ich weiß, dass es für sie besser ist, nach Frankreich zu gehen. Sie ist nicht mehr die selbe und wenn sie mitbekommen würde, dass Etienne ganz in der Nähe ist und was er alles getan hat, würde ihr das den Rest geben. Die Situation spitzt sich immer weiter zu und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, ich hätte mir nicht schon Gedanken darüber gemacht, ob es in dieser Wohnung überhaupt sicher ist.
Dann heißt es wohl: Frohe Weihnachten von mir selbst an mich selbst. Ich kann nicht gehen, auch wenn ein Teil von mir so sehr möchte. Es wäre feige, sich dem, was noch geschehen wird, nicht zu stellen und ich bin einfach zu tief drin...
Als ich die Tassen abwasche, vibriert mein Handy. Mat möchte, dass ich später in die Festung komme.
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Etienne - My Brother and Burden
Fanfiction1. Teil: Matthew - My Guardian And Guilt Gerade fing alles an besser zu werden. Sie hat sich an ein Leben ohne ihn gewöhnt, sie hat sich mit Matthew versöhnt und die lang ersehnten Ferien stehen an. Doch dann steht er da: Etienne, ihr Bruder, der s...