Alle unter einer Decke 2

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Meine Frage sollte unbeantwortet bleiben und so standen wir beide schweigend nebeneinander, schauten in die Sterne und rauchten unsere Zigaretten auf. 

Gerade als ich meine ausmachen wollte, trat Mat zu uns heraus. Mein erster Impuls war es, mich auf eine Ansage gefasst zu machen, denn lange Zeit stieg die pure Wut in ihm hoch, wenn sich Lenny mir nur auf wenige Meter näherte. Doch das einzige, was er sagte, war dass sie soweit sind und wir reinkommen sollen. Sein Blick war gleichgültig. 

Wieso habe ich mir auch eingebildet, ihn würde es überhaupt noch interessieren? Zumal es sowieso kindisch war, darauf eifersüchtig zu sein... Und doch hatte ich mich sehr daran gewöhnt. 

"Also", beginnt Vince und klatscht in die Hände. "Parker hat die Technik zum Laufen gebracht. Wir hören alles, wir sehen, dass der schwarze Van immer noch vor dem Restaurant parkt und wenn er losfährt, sehen wir hoffentlich, wohin er fährt." Es folgt ein einstimmiges Nicken von allen Seiten. 

"Setzt euch", richtet Mat sich an Lenny und mich und zeigt auf zwei freie Stühle. "Ich habe mich vorhin zwar schon bei Julie bedankt, aber ich will es nochmal offiziell machen. Ich danke euch für das, was ihr heute getan habt. Egal, was wir herausfinden werden, es wird uns weiter bringen", er schaut Lenny direkt an, "Danke." Auf so etwas war Lenny nicht gefasst, rutscht auf dem Stuhl herum und verzieht stumm seinen Mund. 

Alle Augen richten sich nun auf ihn. "Was hat Lenny dir gesagt?", fragt Emre gespannt. 

Lenny atmet tief ein und wieder aus. "Er wollte mich warnen", beginnt er. "Es bricht ein Krieg aus, sagt er. Und das die Feinde seines Feines seine Freunde wären. Hitch hat ihn kontaktiert und ihn dazu ermutigt, sich ihm anzuschließen. Mehr Macht, mehr Geld, mehr Gebiet und Beteiligung an allen von Hitch Geschäften..."

"An allen?", hakt Parker nach. Lenny nickt. "An allen. Ich habe ihn gefragt, ob er weiß, was dieser Typ macht und er hat bloß gegrinst. Es war, als würde ich mit einer fremden Person sprechen...", doch ehe Lenny emotionaler werden kann, unterbricht er sich selbst mit einem Räuspern. "Jedenfalls wollte er mich warnen, weil Hitch einen Plan hat. Ich solle mich besser den Siegern anschließen und er tue das hier nur, weil wir Blutsverwandt sind und er dadurch einen letzten Rest Respekt für mich hat." Mein Magen zieht sich zusammen. 

"Was hat er bloß vor?", frage ich mehr mich selbst als die anderen. "Das ist noch nicht das schlimmste, Julie", seufzt er an mich gewandt. Fragend schaue ich ihn an. "Ich hab Etiennes Namen auf Leroys Handy aufblinken sehen. Die beiden stecken unter einer Decke." 

Nach dieser Information hatte ich genug gehört. Ich entschuldigte mich und lief hoch in das Schlafzimmer, um eine ruhige Minute für mich zu haben. Ich wusste weder, was ich denken, noch wie ich mich fühlen sollte. All das habe ich nie gewollt. Immer wieder spiele ich die letzten Jahre durch und frage mich, ob ich irgendwas hätte ändern können, ob ich einen Fehler gemacht habe und wenn ich doch nur aufmerksamer meinem Bruder gegenüber gewesen wäre, ob wir dann heute ganz woanders stehen würden. 

Ich versinke geradezu in Angst, Schuldgefühlen und Trauer, als...

"Hey", holt mich Vince Stimmte aus meinen Gedanken. "Hey", flüstere ich, irritiert, dass er derjenige ist, der nach mir sieht. Wir haben in letzter Zeit gar nicht mehr miteinander gesprochen. "Ist alles okay bei dir?", fragt er. Ich nicke und drehe mich wieder weg. Er kommt zu mir, setzt sich neben mich aufs Bett und wir beide starren die Wand an. 

"Wir stecken alle in dieser beschissenen Situation, in der wir eigentlich nicht sein wollen", beginnt er, als ob er meine Gedanken lesen könnte. "Aber wir sind nunmal hier.", stellt er fest. "Und das einzige, was wir tun können, ist kämpfen. Kämpfen, damit es wieder besser wird." Eine Träne läuft mir über die Wange und ich nicke verhalten. 

"Und was, wenn wir kämpfen und es nicht besser wird?" Er atmet tief ein und wieder aus. "Wir sind nicht so, Julie", wendet er ein. "Wir sind nicht aus diese Art Holz geschnitzt. Wir alle in diesem Haus haben eins gemeinsam: Wir kämpfen bis zum bitteren Ende. Wir können gar nicht anders, das mussten wir von kleinauf, das sind unsere ersten Erinnerungen und begleitet uns unser Leben lang. So ist es einfach. Und genau deshalb kämpfen wir weiter." 

Er hat recht - verdammt recht. Und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. "Wofür soll ich kämpfen? Dafür, dass mein Bruder ein Monster zu sein scheint? Dass Lennys Bruder genau so ein Monster ist?", ich werde lauter ohne es zu merken. 

"Das weißt du nicht. Es scheint gerade so, ja, aber dann kämpfe dafür, dass du die Möglichkeit hast, mit ihm offen und ehrlich zu sprechen und wieso er das alles getan hat." Ich schüttle energisch den Kopf. "Ich weiß doch schon, wieso er das alles tut oder nicht tut..." 

"Das sind alles Gerüchte und oberflächliche Erklärungen. Du bist doch sonst so stur und willst immer alles wissen..." Nun beginnt er zu grinsen. 

Ich wische mir über mein Gesicht, atme tief ein und wieder aus... Dieser Idiot hat recht. 

Etienne - My Brother and BurdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt