Verstecken spielen

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Ich packe gerade meine Zahnbürste ein, als Mat mir schreibt, dass er vor der Tür steht. 

Wir haben gestern Abend noch kurz telefoniert, er rief mich ziemlich spät an und ich konnte mich nicht länger vor der Konfrontation drücken. Er klang ziemlich lieb und bat mich, heute bei ihm zu übernachten. Es lief gerade alles so gut und ich muss mir vor Augen führen, dass es für ihn gerade kein Problem zwischen uns gibt. Er weiß nicht, was Etienne mir erzählt hat. 

Ehrlich gesagt bin ich immer noch kein Stück weiter mit meinen Gedanken. Am liebsten würde ich ganz weit weg fahren und erst wieder kommen, wenn sich alles geklärt hat. Nur schade, dass das nicht geht, weil ich erstens nicht weiß, wohin, zweitens bald Weihnachten ist und drittens Mat und/oder Etienne mich innerhalb kürzester Zeit aufspüren würde. 

Ich verlasse die Wohnung und als ich die Treppen heruntergehe, sehe ich durch das Fenster im Flur, wie er vor dem Van steht und aufgebracht telefoniert. Er gestikuliert wild herum und kann kaum still stehen. Das sieht nicht gut aus... ob es etwas mit Etienne zu tun hat?

Als ich durch die Haustür komme, legt er auf und mustert mich. Er tut das immer so offensichtlich, weil er weiß wie unangenehm mir das ist. "Hey, Babe.", sagt er und lächelt. Es überrascht mich, dass er plötzlich so gute Laune hat - oder sie zumindest vortäuscht. Das stärkt meine Vermutung, dass es sich eben um Etienne drehte. "Hey.", sage ich und er zieht mich zu sich heran. Wir küssen uns und seine Hände ruhen auf meiner Hüfte. 

"Am liebsten würde ich jetzt wieder mit dir in meine Wohnung fahren.", sagt er, bevor er mich los lässt. "Das wäre schön.", sage ich. Ich denke oft an die Wohnung zurück. Dort schien alles so normal und wir wussten noch nicht, was in der nächsten Zeit auf uns zukommen wird. 

Als ich mich auf dem Beifahrersitz anschnalle, macht mein Handy ein dumpfes Geräusch. Der Akku muss leer sein. "Willst du es laden?", fragt Mat und hält mir das Ladekabel entgegen. Ich nicke und nehme das Kabel dankend entgegen. Ich stecke das Handy an und lege es in die Konsole, dann geht es los. 

"Hast du Hunger?", fragt er als wir abbiegen. "Nicht besonders, aber ich habe die letzten Tage nicht viel gegessen, deshalb..." Ich beende den Satz nicht, sondern zucke bloß mit den Schultern. "Okay...", beginnt Mat. "... dann bestellen wir lieber einfach etwas. Ich hatte überlegt, mit dir essen zu gehen." 

Ich bin überrascht über sein Engagement. Leider fragt sich eine kleine Stimme in meinem Hinterkopf, ob er mir gutes tun will oder mich einfach nur ablenken. 

Mein Handy vibriert, doch ich reagiere nicht. Dann vibriert es wieder. Und wieder. Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, weil ich automatisch alles mit Etienne verknüpfe. Was wenn er mir plötzlich eine Nachricht schreibt oder mich anruft? Ich schaue auf das Handy und sehe in der Vorschau nur eine unbekannte Nummer. Fuck!

Als ich es wieder in die Konsole lege, erhascht Mat einen Blick auf meinen Sperrbildschirm. "Wer schreibt dir?", fragt er. "Ich weiß nicht. Ich schaue später.", druckse ich. Mein Körper spannt sich an, meine Gedanken rasen. Damit wird Mat sich nicht zufrieden geben. Ich sehe schon, wie seine Kiefermusekeln beben. 

Eine Zeitlang ist es still um uns, Mat scheint sich zu überlegen, wie er mit der Situation umgeht. "Julie...", beginnt er und mein Körper spannt sich wieder an. "Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann mach es besser jetzt, bevor ich es herausfinde." 

"Ich verberge nichts.", sage ich und schaue dabei aus dem Fenster. Nicht sehr glaubwürdig, aber mir fällt es schwer, gegen Mat anzugehen. "Dann kann ich also die Nachrichten lesen?", fragt er provokant. Ich nicke und schreie innerlich um Hilfe. 

"Na schön.", sagt er und nimmt mein Handy in die Hand. Er fährt mit einer Hand weiter und schaut auf das Display. Ich wünsche mir gerade einen Polizisten herbei, der das sieht und ihn aus dem Verkehr zieht. 

Die Sekunden, in denen er die Nachricht liest, vergehen so langsam wie nie zuvor. Ich hoffe, dass Etienne nicht so dumm war, mir wirklich zu schreiben. 

Mat legt mein Handy wieder in die Konsole und fährt endlich mit Blick auf die Straße weiter. "Tut mir Leid.", sagt er ohne mich anzusehen. Als ich auf das Display schaue, sehe ich dass mir eine Klassenkameradin geschrieben hat, dass sie eine neue Nummer hat. Gott Hannah, du machst mich fertig! 

Den Rest der Fahrt schweigen wir und als wir in Mats Zimmer kommen, stelle ich meine Sachen vor dem Schreibtisch ab. Er blieb an der Tür stehen und beobachtet mich dabei. 

Er macht eine Handbewegung Richtung Bett und wir legen uns drauf. Er zieht mich in seinen Arm, alles ohne auch nur ein Wort zu reden. 

"Es tut mir wirklich Leid. Ich war mir so sicher, dass Etienne bei euch zu Hause auftaucht und dachte, du hättest es mir vielleicht verschwiegen.", gibt er zu. "Aber was wäre so schlimm daran gewesen, wenn er aufgetaucht wäre?", frage ich. 

"Ich weiß nicht, wozu er fähig ist und ob er dich in Gefahr bringen könnte. Er hat es schließlich schon mal getan." Und er könnte mir Dinge über dich erzählen, die ich nicht erfahren soll...

Etienne - My Brother and BurdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt