Weihnachten

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In Mats Zimmer herrscht pures Chaos - und er mittendrin mit einem Bügelbrett und einem Bügeleisen. "Frohe Weihnachten", sage ich und klopfe gegen die geöffnete Tür. Er war so konzentriert, dass er mich zuvor nicht bemerkt hat. Sein Blick wandert von dem Bügelbrett, auf dem sein Hemd liegt, zu mir. Er mustert mich und lächelt. "Du siehst toll aus"

"Du auch", lächle ich. "Aber ich habe doch mein Hemd noch gar nicht an", grinst er. Am liebsten hätte ich gesagt, dass er genau deshalb toll aussieht, aber das ginge zu weit. "Kann ich dir irgendwie helfen?" Er schüttelt den Kopf. 

Er stellt sich vor den Spiegel, knüpft das Hemd zu und ich folge ihm. "So, das wärs. Ich werde nie wieder mit den anderen darum spielen, wer die Hemden bügelt, die ein Jahr lang im Schrank rumliegen. Nächstes Mal, werde ich einfach jemanden bestimmen", brummt er. "Ja, ein bisschen Diktatur hat noch niemandem geschadet", lache ich sarkastisch und er fällt mit ein. 

Wir betrachten uns vor dem Spiegel, als er plötzlich den Arm um mich legt. Ich lasse es zu, rücke näher zu ihm und lege meinen Kopf an seine Brust. Mit seiner anderen Hand streicht er mir über den Arm und kurz fühlt es sich so an, als hätten wir die Pause-Taste gedrückt und alles angehalten. 

"Was ist das mit uns?", frage ich, als ich wieder einen klaren Gedanken fassen kann. Er hört auf zu streicheln, lässt mich aber nicht los. Er beobachtet mich im Spiegel. "Ich weiß es nicht", sagt er ehrlich. "Wenn das hier zu Ende ist, dann sollten wir mal reden." Ich nicke. Wir bleiben noch für wenige Sekunden so stehen, bis lautes Gelächter von unten zu uns dröhnt. 

Mir fällt dabei auf, wie sehr sich der Umgang zwischen uns verändert hat. Mat ist so ruhig und weniger impulsiv, weniger eifersüchtig und manchmal sogar ein wenig in sich gekehrt. Ich bin weniger stur, höre ihm mehr zu und muss mir nicht immer sofort zu allem eine Meinung bilden. Werden wir erwachsen oder stumpfen wir einfach nur ab? Oder ist das im Grunde das selbe?

Schweigend gehen wir nebeneinander die Treppe runter und ich höre, wie Parker etwas flüstert wie "Das Königspaar". 

Der Kamin ist an, in der einen Ecke wird Bier Pong gespielt, in der anderen ein Kartenspiel, manche sitzen zusammen und diskutieren über irgendwas. Es gibt Bier, Kirschschnaps-Shots und Glühwein - zum Glück stehen überall Teller mit Snacks und Plätzchen herum. Ich kann mich an dieser Kulisse nicht satt sehen, denn sie ist besser, als ich es mir je erhofft hätte. 

"Julie, du musst mir dringend helfen, ich gehe hier unter", ruft Lenny mir aus der Bier Pong Ecke zu. Ich komme natürlich, um ihn zu retten.  Er hat noch 5 Becher offen, während Milo nur noch einen treffen muss.  "Also gut...", sage ich und begebe mich in Position. "Nur kein Druck", provoziert Milo, doch ich ignoriere ihn. - Treffer! und... Treffer! Er trinkt zwei Shots und stellt die Becher beiseite.

Wir bekommen die Bälle zurück. "Und schon sind es nur noch drei", lächle ich. "Willst du werfen?" Lenny nickt. Er trifft einen Becher und ein Wurf geht daneben. 

"Nur kein Druck", wiederhole ich seine Worte, als Milo dran ist. Er kneift die Augen zu, wirft... daneben; auch der zweite Ball trifft nicht. "Komm schon", ruft Lenny und lässt den Ball in seiner Hand kreisen. Ich signalisiere ihm, dass er zuerst werfen soll - und er trifft. Lachend fallen wir uns in die Arme und "Last Christmas" spielt im Hintergrund. 

"Wenigstens kann ich alleine Bier Pong spielen", grummelt Milo und trinkt seine zwei Shots. "Offensichtlich kannst du das nicht", sage ich im Vorbeigehen ohne ihn noch einmal anzusehen. Er will gerade etwas erwidern, lässt es dann aber doch sein. Er ist auf jeden Fall der Grinch - und das an jedem Tag im Jahr. 

Ich setze mich wieder auf den Sessel, auf dem ich zuvor schon saß, und sehe, dass Mat die Bier Pong Runde vom Kamin aus beobachtet hat. "Was?", frage ich, während ich in ein Plätzchen beiße. "Du lässt dir von Milo heute nichts gefallen, oder?", lacht er und kommt auf mich zu. "Er ist so zickig", schimpfe ich und klopfe mir die Krümel von meinem Kleid. 

Dann setzt er sich vor mich auf den Couchtisch, so nah, dass unsere Knie sich fast berühren. Mir wird warm dabei, denn ich spüre seit kurzer Zeit wieder diese Anziehung zwischen uns - und Alkohol verstärkt so eine Anziehung. "Wie geht's dir?", fragt er. Diese Frage überrascht mich. "Gut", antworte ich und weiß nicht einmal, ob das gelogen ist oder nicht. "Es tut mir Leid, dass du Weihnachten nicht mit deiner Familie feiern kannst", seufzt er. 

Er hat Familie gesagt, damit meint er auch Etienne und das überrascht mich erneut. Mir kommt der Brief wieder in den Sinn. Eigentlich wollte ich ihm nicht davon erzählen und auch gar nicht weiter darüber nachdenken. 

"Mat, ich muss dir etwas erzählen", beginne ich. "Können wir kurz in die Küche gehen?"

Etienne - My Brother and BurdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt