Ich bahne mir meinen Weg durch den Schnee, es ist erst 18 Uhr, aber trotzdem so dunkel, als wäre es mitten in der Nacht. Gerade war ich für ein paar Stunden bei Steph. Wir sehen uns aktuell nicht so viel und ich vermisse sie sehr, doch wir beide wissen, dass es gerade nicht anders geht. Ich summe vor mich hin, Kopfhörer habe ich keine drin, das musste ich Mat versprechen. Wenn ich Musik höre, bekomme ich nichts von dem mit, was hinter mir geschieht und das wäre zu gefährlich.
Die Tage zwischen Weihnachten und Silvester finde ich immer komisch. Man stolpert aus dem einen Fest und wartet nur darauf, dass das nächste beginnt. Ich konnte mir die Tage damit vertreiben, dass ich die wichtigsten Dinge in der Wohnung zusammengepackt habe. Dabei bin ich auf so viele Erinnerungen gestoßen, die mich oft sentimental werden ließen. Es gab viele Fotos, die in den letzten Jahren entstanden sind und oft hätte ich mir gewünscht, dass ich nun hinter die Fassade gucken könnte, um zu sehen, was damals eigentlich bei Etienne los war.
Ich drehe den Schlüssel im Schloss um und betrete den Eingangsbereich. Von irgendwo dröhnt Musik, unten im Keller trainiert jemand, in der Küche riecht es verbrannt und warum liegt da ein Deko-Schneemann ohne Nase?
Dieses Durcheinander tut mir so gut. Mir war nicht bewusst, wie alleine ich mich oft in der Wohnung gefühlt habe - und das schon weit über Etiennes Verschwinden hinaus.
Ich streife meine Schuhe ab und gehe die Treppen rauf. Die letzten Tage habe ich bei Mat geschlafen. Er bestand ab Weihnachten darauf, dass ich in der Festung bleibe und hat mich jeden Abend abgeholt, nachdem ich in der Wohnung alles zusammen gepackt habe.
Ich höre das Bohren eines Akkuschraubers. "Wieso bauen wir eigentlich so ein kompliziertes Bett auf, wenn sie sowieso jede Nacht bei dir sein wird?", beschwert Milo sich. "Halt einfach die Klappe und mach weiter", antwortet Mat. Von Team Milie ist wohl nicht mehr viel übrig...
"Hey", sage ich, als ich den Raum, der mein Zimmer werden soll, betrete. "Hey, du bist ja schon zurück", sagt Mat, während er halb auf dem Boden liegt, um den Bettkasten zusammen zu bauen. Ich sehe mich um, die beiden haben in den letzten Tagen kaum etwas anderes gemacht, als die Möbel herzubringen und aufzubauen. Mat hat darauf bestanden, alles neu zu kaufen, anstatt meine Möbel einfach rüberzubringen und insgeheim bin ich froh. Es fühlt sich gut an und dieses Zimmer ist nicht vorbelastet.
"Sieht so aus, als würden wir heute fertig werden", verkündet Mat und steht vom Boden auf. "Wow", sage ich. Der weiße Kleiderschrank steht gegenüber dem Bett, welches gerade aufgebaut wird. An der Seite neben der Tür steht ein Schreibtisch, daneben ein kleines Regal und über dem Bett ist bereits ein Regalbrett angebracht worden. Eine weitere schmale Tür führt zu einem Badezimmer, das nur mir gehört. "Es sieht toll aus, danke.", sage ich, überwältigt von all dem.
Drei Stunden später packe ich meine Sachen aus, ich räume meine Kleidung in den Schrank, hänge alles fein säuberlich auf, während mir die gemütliche Nachttischlampe ein wenig Licht spendet. Die Heizung läuft und es wird - anders als in der Wohnung - wirklich schnell warm und gemütlich. Mat hat mir eine richtig dicke Decke gekauft und ich kann es kaum erwarten, mich später in dieses Bett fallen zu lassen. Auch wenn es komisch sein wird, nicht bei ihm zu schlafen.
Grundsätzlich verwirrt mich die Situation zwischen uns gerade sehr. Wir haben uns zuletzt an Weihnachten geküsst, kuscheln aber die ganze Zeit, er küsst meine Stirn, streichelt mich und sucht ständig meine Nähe - und ich seine. Er bewahrt eine Distanz und das bin ich nicht gewohnt. Wie er schon mehrmals sagte, sollten wir reden, wenn das alles vorbei ist. Ich glaube, er hat Angst, dass das unsere Gefühle beeinflusst - und der Gedanke ist ziemlich erwachsen und schlau. Nichts desto trotz habe ich gestern Abend, kurz vorm Einschlafen, seine Hand deutlich an meinem Po gespürt.
"Es sieht schon richtig gemütlich aus", sagt Mat und reißt mich aus meinen Gedanken. "Das ist es auch, ich fühle mich jetzt schon richtig wohl", lächle ich. Er nickt, während er weitere Schritte in den Raum macht und sich umsieht. "Ich habe gleich noch einen Termin", erzählt er. "Ich werde spät zurück sein, deshalb wollte ich dir schon mal eine gute Nacht wünschen" Ich sehe ihn eindringlich an. Was für einen Termin hat man denn um diese Uhrzeit?
"Es ist ein privater Termin, kein beruflicher", ist wohl der einzige Hinweis, den ich bekomme. "Und das bedeutet?", hake ich trotzdem nach. "Dass ich gleich etwas für mich machen werde, aber mich nicht in Gefahr begebe und du dir keine Sorgen machen musst" Dann nimmt er mich in den Arm.
"Es wird komisch sein, hier ohne dich zu schlafen", gestehe ich. "Ich weiß, aber es ist schön zu wissen, dass du trotzdem nah bei mir bist.", antwortet er. Ein schwacher Trost. "Mh, ja..."
"Erstmal ist es besser so, Julie.", sagt er und verzieht den Mund. "Für uns beide."
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Etienne - My Brother and Burden
Fanfiction1. Teil: Matthew - My Guardian And Guilt Gerade fing alles an besser zu werden. Sie hat sich an ein Leben ohne ihn gewöhnt, sie hat sich mit Matthew versöhnt und die lang ersehnten Ferien stehen an. Doch dann steht er da: Etienne, ihr Bruder, der s...