Alle unter einer Decke

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In dem Auto ist es anfangs merkwürdig still. "Du fragst dich sicher, wer ich bin...", lächelt die Frau. "Mein Name ist Anna. Ich bin... wohl so etwas wie Mats Ziehmutter." Und schon wieder beginnt mein Herz zu rasen. "Sowas wie?", hake ich nach. "Er hat dir sicher erzählt, wie es damals für ihn und seine Geschwister war", beginnt sie. "Ich kannte sie aus der Nachbarschaft, konnte sie leider damals nicht aufnehmen, weil ich selbst nicht in guter Verfassung war, aber ich hab dennoch immer ein Auge auf sie gehabt." 

Ich versuche Anna, die *sowas wie Ziehmama* von Mat, nicht anzustarren, doch ich habe tausende von Fragen an sie. 

"Wie war er so, als er klein war?", fange ich mit der harmlosesten Frage an. Sie schmunzelt. "Genau so dickköpfig und intelligent wie heute", beginnt sie. "In ihm steckte immer viel Wut, weil seine Familie so war, wie sie eben war. Doch diese Wut treibt ihn an, weiterzumachen. Damals dachte ich, das wäre etwas gutes, aber heutzutage bin ich mir da nicht immer so sicher...", nachdenklich schaut sie auf die Straße. 

"Was ist das hier, was er macht, Ihrer Meinung nach?", frage ich vorsichtig. Eine Frage, die ich mir selbst schon oft gestellt habe. Ich glaube, es gibt kaum einen widersprüchlicheren Menschen als Mat. "Ach herrje, du kannst mich ruhig duzen, sonst fühle ich mich so alt", lacht sie. "Das habe ich mich schon oft gefragt...Für viele Kinder gibt es kaum eine andere Möglichkeit, als das zu tun, was sie vorgelebt bekommen haben. Ich glaube, Mat versucht das beste daraus zu machen, auch wenn er es eigentlich hasst. Er tut es aus einem bestimmten Zweck..." Doch weiter möchte sie darauf nicht eingehen. 

Vermutlich weiß sie nicht, dass ich von seiner Schwester weiß. Ich denke, dass Mat sofort seine Koffer packen würde, sobald er seine Schwester gefunden hat. 

"Wo fahren wir eigentlich hin?", frage ich nach einer Weile. "Zu Matthys Haus."

Dort angekommen sehen wir, wie Emre gerade das Haus betritt. Wir steigen aus und ein komisches Gefühl überkommt mich. Wenn ich überlege, wie ich drauf war, als ich das letzte mal hier war. Es kommt mir vor, als wäre das Jahre her. Ich war so fest der Meinung, dass Mat an allem Schuld ist und wie fremd er mir plötzlich war..."Kommst du?", fragt Anna und ich schüttle die Gedanken ab.

Mat öffnet uns die Tür mit einem Lächeln, umarmt Anna und bedankt sich bei ihr. "Ich will gar nicht wissen, wie es jetzt weiter geht", winkt sie ab und schaut zurück zu ihrem Auto. "Ich brauche noch jemanden, der mir hilft, das Essen für euren Weihnachtsabend aus dem Kofferraum zu holen und dann bin ich auch schon wieder weg." Mat nickt und beide schauen sich in die Augen, als könnten sie so auf einer geheimen Sprache kommunizieren. "Emre?", ruft er dann. Dieser ist bereits auf dem Weg, läuft an ihm vorbei und sagt "Ich mach' das schon..."

Dann stehen nur wir zwei im Türeingang. "Du warst großartig", sagt er und schmunzelt. "Danke, Matthy", erwidere ich mit breitem Grinsen. "Das wirst du nie wieder sagen" Mit hochgezogenen Augenbrauen verschränkt er die Arme, was es umso witziger macht. 

Emre, voll bepackt mit Dosen und Töpfen, betritt das Haus und wir hinter ihm Her. Mir kommt der bekannte Geruch entgegen. Ich schaue mich um und diesmal muss ich an das Wochenende denken, welches wir hier verbracht haben. Mein Blick trifft auf Mat, der mich beobachtet hat und schelmisch grinst. Eine leichte Röte muss sich auf meinen Wangen abzeichnen, also schüttle ich den Kopf und drehe mich weg.

"Was ist das alles?", frage ich bei dem Anblick der vielen Dosen. "Essen für Weihnachten. Anna kocht jedes Jahr, ich kann sie nicht davon abhalten", er zuckt mit den Schultern. Bestimmt hat er sich total dagegen gewehrt, jedes Weihnachten so tolles Essen zu bekommen. 

In den nächsten zwei Stunden trudeln immer wieder Leute ein, die irgendwelche technischen Geräte mitbringen und ich komme mir vor wie beim FBI. "Funktioniert es?", frage ich mit einem von Annas selbst gebackenen Plätzchen in der Hand. "Wir sind noch nicht so weit", flüstert Parker konzentriert. "Und hör auf uns alle Plätzchen wegzuessen." 

Als es ein weiteres Mal an der Tür klopft, laufe ich los und sehe Lenny und Milo. "Lenny, ist alles in Ordnung?" In den vergangenen zwei Stunden musste ich mich selbst immer wieder davon abhalten, mir schlimme Szenarien auszumalen, was wäre wenn Lenny auffliegt. "Alles gut soweit", seine Stimme klingt heiser. "Ich lass euch zwei mal alleine", brummt Milo. 

Lenny signalisiert mir, mit ihm rauszukommen. Ich drehe mich um und da alle beschäftigt sind mit irgendwelcher Technik, folge ich ihm. 

"Mh?", murmelt er und hält mir die Zigarettenschachtel hin. Ich nicke. "Lief bei dir auch alles gut?", fragt er und pustet den Rauch aus. Ich nicke, ziehe an der Zigarette und puste den Rauch in Richtung Sternenhimmel. "Ich hab so gut geschauspielert, ich könnte Fußballer sein", scherze ich, was ein Lächeln auf Lennys Lippen zaubert. 

"Weiß nicht, ob du es mir schon sagen darfst, aber: Was hat dein Bruder gesagt?" Er zieht die Lippen ein, verlegt sein Gewicht immer von einem Bein zum anderen. Er ist so nervös, das kann nichts Gutes heißen...  

Etienne - My Brother and BurdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt