Alles nach Plan (Mat POV)

842 39 4
                                    

Den ganzen Tag sind wir unterwegs, fahren von einer Besprechung in die nächste, in eines unserer versteckten Lager und zu ein paar anderen Stationen. Ich habe Julie angerufen und ihr gesagt, wir würden erst heute Abend zurückkehren. Sie war so nervös und ich kann mir nur allzu gut vorstellen, wie sehr sie sich im Inneren windet, weil sie die Füße still halten soll. Ich hingegen bin einfach nur froh, dass sie auf mich gehört hat und genau da geblieben ist, wo sie sein sollte. Sie hat sofort nach Etienne gefragt, doch ich habe keine Antwort darauf gegeben. Es ist besser, wenn sie nichts weiß, sonst würde das wieder einen Keil zwischen uns treiben...

"Ich glaube, wir sind fertig für heute", stellt Milo fest. "Gehen wir noch etwas essen?", ich nicke und schreibe den anderen, sie sollen uns nach fahren. Milo und ich haben ein gutes Verständnis dafür, wann wir über Arbeit reden und wann nicht. Da wir heute den ganzen Tag mit ernsten Themen beschäftigt waren, kommt es mir gelegen, von seiner Silvesternacht zu hören.

"Und was ging bei dir und Julie?", fragt er mit einem resignierten Ton, weil er die Antwort schon kennt. "Wir hatten einfach einen schönen Abend." Er schüttelt fassungslos den Kopf. "Sie hat mir erzählt, dass du sie vor Lukas schützen wolltest", wechsle ich das Thema. "Lukas fuckt mich mit seiner Art manchmal einfach ab", erklärt er. "Außerdem willst du ja anscheinend irgendwas von ihr, was auch immer das sein mag" Schön zu wissen, dass er seine Sturheit kurz vergessen und für mich einstehen kann, wenn ich nicht da bin.

Wir fahren zu dem Diner, in dem Julie mal gearbeitet hat. Die anderen fahren uns nach und so fühlt es sich kurz an, wie vor ein paar Monaten, als wir jede Woche einmal hier gegessen haben. Wir setzen uns an den Tisch, an dem wir immer saßen und als mein Blick durch den Raum schweift, treffen meine Augen die von Bruno. Diesen Kerl hatte ich ehrlicherweise vergessen. Genervt sehe ich weg. 

Eine Kellnerin läuft an uns vorbei und wird daraufhin von Bruno angesprochen. Es dauert wenige Sekunden, da steht sie vor uns. Sie ist ungefähr so alt wie Julie, vielleicht kennen sie sich sogar. Ich bekomme Flashbacks, wie sie das erste Mal hier vor mir stand und es mir Spaß bereitet hat, sie zu verunsichern. Das kommt mir vor, wie in einem anderen Zeitalter. Ich fand sie auch da schon wunderschön und wollte wissen, wie sie so drauf ist. Auch wenn sie etwas eingeschüchtert gewirkt hat, konnte ich spüren, wie sie mich innerlich auf das übelste beleidigt. Das hat es noch amüsanter gemacht. Damals wusste ich noch nicht, dass diese Typen wegen ihr bzw. wegen ihres Bruders in unserer Stadt herumirrten. Auch als der Typ sie am Nacken gepackt hatte, dachte ich, sie würden einfach Unruhe stiften wollen. 

"Was kann ich euch bringen?", fragt die Kellnerin und reißt mich aus meinen Gedanken. Wir geben unsere Bestellung auf und wenige Minuten später stehen unsere Getränke auf dem Tisch. "Was für ein Tag", seufzt Parker und lehnt sich zurück. "Was glaubt ihr, wann Hitch sich wieder melden wird?" 

"Ich lasse ihm morgen meine Aufteilung zukommen und ich denke, er wird uns dann eine gute Woche warten lassen", antworte ich. "Ist Lenny eigentlich eingeweiht?", fragt Vince. Ich verneine diese Frage. "Ich will nicht, dass Julie irgendwas mitbekommt. Er könnte es ihr verraten und dann scheitert mein Plan" 

Satt und müde steigen wir in die Autos und fahren zurück nach Hause. Natürlich wurde das Haus den ganzen Tag überwacht und man berichtete mir, dass alles ruhig war und Julie sich noch im Haus befinden würde. Ehrlicherweise hatte ich damit gerechnet, dass sie uns direkt an der Tür abfängt, aber das war nicht der Fall. Bevor ich zu ihr gehe, stelle ich mich unter die warme Dusche. Der Schmock von Silvester und vom heutigen Tag fällt von mir ab, wie eine Last. Ich werde immer müder und freue mich schon, bald zu schlafen. Ich freue mich aber auch, Julie gleich hoffentlich in meinen Arm nehmen zu können. Dieses Gefühl, mit jemandem kuscheln zu wollen, ist komplett neu für mich und ich komme mir vor, wie ein kleiner Schuljunge. 

Vorsichtig klopfe ich in Jogginghose und Pullover bei ihr an. Ein leises "herein", ist zu hören. Sie sitzt auf ihrem Bett und tippt in ihr Handy. "Hey", sage ich mit müder Stimme. Sie mustert mich kurz. "Hey", sagt sie vorsichtig. 

Ich erzähle ihr ganz kurz, dass ich heute mit Hitch gesprochen habe und wir vermutlich nächste Woche sehen werden, wie es weiter geht. Ich weiß, dass sie viel mehr wissen möchte, am liebsten jedes einzelne Wort, ja vermutlich sogar, wie oft Hitch auf den Boden gespuckt hat, aber das wird sie von mir nicht bekommen. 

Sie stellt keine Fragen dazu, was mich überrascht. Ich habe mich mental schon darauf vorbereitet, gegen jede ihrer Fragen anzugehen und ihr einen weiteren Vortrag zu halten, dass das so alles nicht funktioniert. Ich bin ein bisschen müde davon, mich immer zu wiederholen, also umso besser, dass ich es nach so einem Tag nicht tun muss. 

Ich setze mich an das Kopfende ihres Bettes und signalisiere ihr, dass sie sich einkuscheln soll. Sie legt ihren Kopf auf meine Brust, ihre Finger streicheln über meinen Oberkörper und ich streiche ihr durchs Haar. Sie hat keine Ahnung, wie viel Kraft mir das gibt, wie gut das tut... 

Und diesmal bin ich derjenige, der bei ihr einschlafen wird. 

Etienne - My Brother and BurdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt