Misstrauen (Mat POV)

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Ich atme tief ein und wieder aus. "Also denkst du, er war in der Wohnung?"

"Naja, ich denke schon. Was hätte er sonst in der Nachbarschaft machen sollen? Er war sicher nicht zufällig dort. Hat deine Kleine nichts gesagt?" Mit dieser Frage treibt er meine Wut weiter ins Unermessliche. "Wir haben noch nicht richtig gesprochen.", lüge ich, um meine Demütigung zu vertuschen. "Wie auch immer, ich lege jetzt auf. Über diesen Fehler werden wir die kommenden Tage in meinem Büro sprechen, Asher." Mit diesen Worten lege ich auf. Soll er sich ruhig Gedanken darüber machen, was das für ihn bedeutet.

Ich starre die Wand gegenüber an und spiele mit dem Handy in meiner Hand herum. Etienne war also bei ihr und sie hat mir nichts gesagt. Vielleicht hatte sie Angst, dass ich sauer auf sie wäre oder ihn umbringen würde. Vielleicht hat er aber auch geredet und seine Version von all dem erzählt. Aber würde sie dann noch so in seinem Arm liegen und lächeln?

Ihr Lächeln... es ist heute ganz anders als sonst. Vielleicht spielt sie das alles nur, um nicht aufzufliegen. Vielleicht hat sie einen Plan mit Etienne geschmiedet und horcht mich aus. Das Blut in meinen Adern pocht immer stärker. Wenn sie das alles nur spielt und mich belügt, dann weiß ich nicht, was heute noch passiert.

Ich öffne die Zimmertür und schleiche in den Flur. Ich höre das Wasser im Badezimmer rauschen. Vielleicht hat sie die Tür offen gelassen, dann werde ich sie auf die Probe stellen. Ich schleiche mich heran, auch wenn sie mich unter der Dusche vermutlich nicht hören wird.

Vorsichtig drücke ich die Klinke herunter und tatsächlich öffnet sich die Tür einen Spalt. Ich schaue nach links zur Dusche und erstarre.

Das warme Wasser läuft und bildet einen Schleier, doch dahinter ist niemand. Ich schaue nach rechts und wieder nach links, Das Bad ist leer. Wo ist Julie?!

Ich stelle das Wasser ab und schließe die Tür, dann höre ich in die Stille hinein. Auf dem Flur ist nichts zu hören. Ist sie etwa in den Keller gegangen?

Als ich ein paar Schritte über den Flur gehe, höre ich ein dumpfes Geräusch aus meinem Büro, dann ein fluchen. Das ist sie. Ich öffne ruckartig die Tür, die so doll zur Seite fliegt, dass sie gegen das Regal donnert und die Vase dort drin zu fallen droht.

Julie schaut mich an, als würde sie einen Geist sehen, dann steigt in ihr die Panik hoch und sie erhebt sich von meinem Stuhl. Wie ein aufgeschrecktes Reh weicht sie nach hinten, doch kann sie nirgednwo anders hin.

Ich schaue sie einen Moment lang nur an. Sie hat mich nur ausspioniert, sie ist auf Etiennes Seite. Diese Erkenntnis trifft mich so hart und unvorbereitet, dass ich die Wut, die wie eine Lawine auf mich zu kommt, mit einem Tritt gegen den Beistelltisch ausgleichen muss. Die Glasplatte darauf zerspringt in tausend Teile und Julie schreit kurz auf.

Ich komme ihr langsam und bedrohlich näher, selbst unwissend darüber, was als nächstes passieren wird. Sie klammert sich an die Fensterbank hinter sich.

"Du hintergehst mich schon wieder.", stelle ich fest und als ich es ausspreche, wandelt sich ein Teil der Wut in Trauer um. Wieso war ich so dumm ihr nochmal zu vertrauen? Sie spielt mit mir.

Julie schüttelt den Kopf. "Nein, Mat. Ich versuche mir nur zu erklären, was los ist." Ich lache verachtend auf. "Das ist deine beschissene Ausrede? Du schleichst dich in mein Büro, weil du armes Ding ja nicht weißt, was los ist? Etienne hat dich doch sicher darüber aufgeklärt, was hier los ist." Sie wendet den Blick ab, also ist es wahr.

"Ich weiß nicht, wem ich glauben soll.", wimmert sie. Ich ertage ihre dummen Ausreden nicht. "Du weißt nicht, wem du glauben sollst.", wiederhole ich ihre Worte. "Glaube ich lieber dem Typen, der die ganze Zeit über für mich da war, mir eine zweite Chance gegeben hat und mich liebt oder lieber dem Typen, der mich mit seinen Schulden im Stich gelassen und mich den Hunden zum Fraß vorgeworfen hat?", tue ich so, als wären das ihre Gedanken.

Sie beißt sich schuldbewusst in die Unterlippe. "Du hast mir nicht gesagt, dass du Etienne kanntest. Du hast gesagt, dass ihr nur einmal gegeneinander gekämpft habt." Ich nicke. "Das haben wir ja auch. Hätte ich dir sagen sollen, in was für dreckige Geschäfte dein Bruder verwickelt war? Du hast ihn vermisst und regelrecht heroisiert. Ich wollte dir den Glauben lassen, dass er ein guter Mensch ist."

Tränen laufen ihr über die Wange, doch das macht mich nur noch wütender. "Hör auf jetzt zu heulen, Julie. Steh zu dem, was du mir hier gerade antust. Du hast mich angelogen, gesagt es wäre nicht bei dir gewesen. Fuck, was auch immer er dir erzählt hat, scheint gewirkt zu haben. Ich kann dich gar nicht mehr ansehen." Ich wende meinen Blick von ihr ab, die Hände balle ich zu Fäusten. Meine Fingernägel bohren sich in meine Handinnflächen. Der Schmerz soll meine Wut unterdrücken.

"Stimmt es, dass du die Tasche von Hitch geklaut hast?", fragt sie mit zittriger Stimme. "Hast du sie geklaut und nicht wieder gegeben, sodass Etienne überhaupt erst in diesen Schlamassel geraten ist." Es tut ihr kein bisschen Leid, mich hintergangen zu haben. Sie gibt mir allen Ernstes die Schuld dafür, dass ihr Bruder abgehauen ist. Er hat es geschafft, sie gegen mich aufzuhetzen.

Ich lache auf. "Das ist nicht dein Ernst, oder?", ich mache ein paar Schritte auf sie zu. "Dein Bruder ist ein mieser Wichser. Gib mir nicht die Schuld daran, dass er so ist." Es war so klar, dass dieser schwache, mitleidige Bastard ihr von dieser beschissenen Tasche erzählt.

Etienne - My Brother and BurdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt