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„Was?"

Verwundert sah ich mich um, als ich ein Kichern hören konnte.

„Nichts. Ich finde es nur amüsant, da du jetzt wieder lernst langsam und bewusst zu essen und kleine Bissen zu dir zu nehmen. Weißt du noch, wie schnell eine Packung Lachgummi sonst weg war?"

Naja. Es blieb mir gar nichts anderes übrig.

...

Mir ging es dann ein paar Jahre gut, bis ich mit 39 bemerkte, dass etwas nicht rund läuft.

Es stach und brannte in der linken Hüfte und im Oberschenkel und ich brauchte mehr als einen Anlauf um morgens aus dem Bett zu kommen. Nach ein paar Schritten war es dann nicht mehr so schlimm. Ich bin niemand, der wegen jedem kleinen Wehwehchen zum Arzt rennt, aber jemand, der aufmerksam dreihundert Seiten im Internet durchrecherchiert. Der Bewegungsapparat ist ein fantastisches Mysterium und so undurchschaubar.

Hat man sich etwas gebrochen, ist die Sachlage klar. Wenn man aber nicht auftreten kann, ohne sich verletzt zu haben, steht man schnell vor einem Rätsel.

Es wurde aber immer schlimmer und zum Schluss humpelte ich nur noch. Krankenstand stand nicht zur Debatte – meine Kollegin war doch wegen einem geschwollenen Lymphknoten. Ich biss durch und bin herumgerannt mit einer Art halben Radlerhose, die mein linkes Bein ein wenig stützen sollte. Hat nix gebracht sah aber irgendwie witzig aus über meiner weißen Arbeitshose.

Anfang November ging ich zum Arzt. Tabletten, Salbe ... dann sehen wir weiter.

Mit Tabletten bin ich wegen meiner Gastritis vorsichtig und die ohnehin niedrig dosierte Salbe sollte bei einer Hautdicke von bis zu 6 Zentimeter genau was ausrichten?

Drei Wochen später ein Besuch beim Orthopäden. Durch die Blume, aber ziemlich plump wurde mir erklärt, dass mit Bewegung und Reduktion des Körpergewichts die Probleme im Nu verschwinden würden. Toll, wenn man noch getreten wird, wenn man ohnehin am Boden liegt!

Dazu verschrieb er mir noch eine Therapie.

Okay. Mein Hausarzt meinte also mein Fuß muss ruhiggestellt werden, der Facharzt war der Meinung, Bewegung wäre gut. Aber der Fuß schmerzte ohnehin so sehr, dass viel Bewegung unmöglich war.

Schon bald stellte sich heraus, dass diese Behandlungen nichts bringen. Ich war neun Mal dort, denn ich hatte ja schließlich genug Zeit, oder?

Die Praxis bestand aus acht oder neun, mittels Vorhänge verschließbaren Kabinen – wahrscheinlich verschiedene Therapien. Ich lernte nur drei davon kennen.

In Minutenabständen piepste es irgendwo und eine heillos überforderte Angestellte hetzte von einer Kabine zur nächsten.

Im Endeffekt bestanden meine Therapien zum einen aus einer gewaltigen Massagebank, deren Rolle im Rücken zehn Minuten lang auf und abrollte. Das nächste war dann, dass die Dame mit dem Ultraschallgerät zehn Minuten lang von rechts nach links auf meinem unteren Rücken herumrollte ... oder war es von links nach rechts?

Und dann gab es da noch Stromtherapie. Ihr kennt doch bestimmt die Klebepads von MediaShop&Co, die man sich auf die Haut klebt und die Impulse an die Muskeln senden? Also Sport machen, ohne sich zu bewegen. Zehn Minuten konnten verdammt lange sein und im Prinzip kitzelte es nur ein bisschen.

Ohnehin schon verzweifelt, da niemand wusste was mit mir los war, kamen immer wieder Sticheleien. Nach Meinung anderer musste ich ja aufgrund der Situation, die sich wieder ergeben hatte (nach der Sommersaison war Winterpause und ich stand vier Monate ohne Arbeit da) psychisch instabil sein und daraus hatten sich dann anscheinend körperlichen Beschwerden entwickelt, für die es ja keinen Grund gab. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich in einem Monat das arbeite, wo andere zwei Monate Zeit haben ...

Natürlich hätte ich mir eine neue Herausforderung suchen können, aber ich konnte mir zu dieser Zeit nicht einmal schmerzfrei die Socken anziehen!
Man könnte auch behaupten, dass ich wenigstens so viel Anstand habe und in den Krankenstand gehe, wenn ich nicht arbeite.

Ich wurde geröntgt. Überraschung! Ich hatte mir nichts gebrochen. Was bitte sollte man auf einem Röntgenbild erkennen? Auf das geforderte MRT musste ich einen Monat warten.

Physiotherapie lautete die nächste Anordnung. Dass sich jemand um meinen verspannten und schmerzenden Rücken kümmerte, war zugleich schmerzhaft als auch angenehm.

Das Ergebnis des MRT lag schließlich vor: Bandscheibenvorfall L4/L5. Passte aber nicht zu meinen Schmerzen, da die anscheinend in die falsche Stellen ausstrahlten.

Es fühlte sich an, als wären keine elastischen Bänder in meinem Bein, sondern ein gespanntes Seil, das sich mit jeder Bewegung noch mehr straffte und sich ins Fleisch hineinfraß. Seit vier Monaten hatte sich nichts verändert. Die Schmerzen waren noch genauso reißend wie am Anfang.

Und was mache ich, wenn es mir schlecht geht? Genau ... essen.

Das wars. Ich dachte mir nur noch eines: Ihr könnt mich alle gernhaben.

Verzweifelt und frustriert wurde das Internet wieder zu Rate gezogen. Ich lernte über Muskelverspannungen und verklebte Faszien. Ich wusste bisher nicht, dass ein Schmerz in der Ferse ein Problem mit der Wirbelsäule anzeigen konnte und auch andersherum. Ich hatte keine Ahnung von Triggerpunkten und deren Auswirkungen. Es gab mehrere Lösungen für ein Problem, denn es war ja nicht ein lokaler Schmerzpunkt, sondern meistens stahlen die Schmerzen aus.

Ich kaufte mir eine Faszienrolle und alles, was dazugehörte, griff nach jedem Strohhalm, machte Dehnungsübungen, die mir den Schweiß auf die Stirn trieben und ging jeden Tag 10000 Schritte. Blasen schmerzten die Füße und ich will nichts schönreden – es war anfangs die Hölle.

Bewegungsmangel führt dazu, dass die Faszien verkleben, die Muskeln steif werden und das Ausmaß kann sich wahrscheinlich jeder ausmalen.

Immer Ärger mit dem SchweinehundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt