16. Warum Sticken keine Gartenarbeit ersetzt

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Ich wachte davon auf, dass Black mir mit einem Ruck die Decke wegzog.
„Aufstehen! Es gibt Frühstück", rief sie fröhlich.
Ich versuchte, ihr die Decke wieder zu entziehen, doch sie gab nicht nach.
Wie konnte sie direkt nach dem Aufstehen so fröhlich sein? Und vor allem so laut? Offensichtlich war ich abends doch irgendwann eingeschlafen, aber ich spürte die unruhige Nacht in sich ankündigenden Kopfschmerzen.
Black hatte das Zimmer wieder verlassen und ich zog mich schnell um, damit mich Ilan nicht in meinen Schlafsachen sah. Danach tappte ich ins Bad.
Als ich wieder herauskam, saßen die Geschwister schon am Tisch und frühstückten. Ich setzte mich dazu und versuchte mich zu orientieren. Black erzählte etwas, ich hörte nur mit einem Ohr zu und Ilan machte ab und zu zustimmende Geräusche. Irgendwann hörte das gleichbleibende Geplapper auf und ich sah auf. Black hatte mir anscheinend eine Frage gestellt. Schnell ließ ich im Kopf ihre letzten Worte noch einmal Revue passieren und nickte dann.
„Wenn du willst.", sagte ich etwas heiser und räusperte mich. Black lächelte mich strahlend an. Ich hatte ein etwas schlechtes Gewissen, weil ich den vorherigen Tag eigentlich eher mit Ilan, als mit ihr verbracht hatte. Also würde ich den heutigen Tag ihr widmen. Ich war nicht ganz sicher, zu was ich zugesagt hatte. Es war irgendwas, was wir gemeinsam machen konnten. Als Black nach dem Frühstück aufstand und einen Korb holte, in dem sich ordentlich Näh- und Stickutensilien tummelten, schwante mir Böses. Sie öffnete die Hintertür und sah hinaus.
„Bei dem schönen Wetter können wir auf der Bank im Schatten sticken. Hol schon einmal das Kleid, das du verschönern willst."
Mit möglichst neutralem Gesichtsausdruck ging ich in ihr Zimmer und verfluchte mich, dass ich zu etwas zusagte, was ich nicht richtig mitbekommen hatte. Unglaublicherweise hatte sie sogar mein begonnenes Kleid mitgenommen, an dem ich bei unserem letzten Nähversuch das graue Rankenmuster gestickt hatte. Draußen saßen wir auf der Bank im Halbschatten und hatten beide ein Kleid auf unserem Schoß .Ich stickte und stickte, während Black vor sich hin plauderte. Sie war zufrieden, wenn ich ab und zu ein zustimmendes Geräusch von mir gab. Black saß nah bei mir und ihr Oberschenkel drückte sich an meinen.
Mein Blick wanderte immer wieder zu Ilan, der den Weg zu dem verwilderten, ehemaligen, Komposthaufen freikämpfte. Wie gerne ich ihm helfen würde! Das Ergebnis meiner Stickerei war in Ordnung, doch es dauerte unendlich lang. Die Zeit ging nicht um und ich musste mich so sehr konzentrieren, dass meine leichten Kopfschmerzen langsam aber sicher immer stärker wurden. Als ich zum wiederholten Mal meine kühle Hand an die Stirn legte und meinen krummen Rücken versuchte in eine entspanntere Position zu bringen, seufzte Black. Nachdem ich meinen letzten krummen Stich gesetzt hatte, sah ich auf. Ich sah kurz zu Ilan hinüber und dann zu ihr. Sie blickte mich prüfend an.
„Du würdest viel lieber Ilan im Garten helfen, oder?", sagte sie anklagend mit jammernder Stimme. Ich war kurz verunsichert, doch dann sah ich sie nachsichtig lächeln.
„Ja", sagte ich, etwas kleinlaut. „Entschuldige. Nähen liegt mir überhaupt nicht. Ich wollte es wirklich für dich versuchen, aber ich bin ein hoffnungsloser Fall."
„Das ist nur Übungssache", widersprach sie und nahm mir mein Kleid aus der Hand. Sie besah es seufzend. „Geh schon.", forderte sie mich auf und nickte in Richtung des Gartens. Sie hatte schon ihr Kleid zur Seite gelegt und machte sich, mit dem Nahttrenner in der Hand, über meine Knoten her. Unsicher blieb ich neben ihr sitzen.
„Aber ..."
„Das ist schon in Ordnung. Du kannst ja das Beet hier vom Unkraut befreien, dann können wir uns dabei unterhalten", schlug Black vor. Ein Lächeln teilte meine Lippen und ich umarmte sie überschwänglich und lief dann schnell zum Gartenschuppen, selbst von meinem Gefühlsausbruch überrascht. Ohne Sonnenhut kam ich zu Ilan, der in diesem Moment mit einer Säge große Äste zersägte, die dort aus unerfindlichen Gründen lagerten. Die Muskeln seines gesamten Oberkörpers waren durch sein schweißnasses Oberteil zu sehen. Sein Hemd hing über dem Griff eines in den Boden gerammten Spatens.
Mein Mund stand offen, während ich einen Moment bewundernd sein kraftvolles vor und zurück mit der Säge beobachtete.
In diesem Moment krachte der Ast auseinander und er trat zurück. Ich schloss schnell meinen Mund und machte mich mit einem Räuspern bemerkbar. Er drehte sich zu mir um und lächelte.
„Hat sie dich freigegeben?", fragte er und ich konnte nur nicken. Ohne weiter darüber zu reden, räumte ich die kleineren Äste und die abgeschnittenen Teile, die ich tragen konnte, neben den Schuppen. Dort hatte er einen überdachten Teil freigeräumt und begonnen Holz für den Ofen zu stapeln. Die kleineren Äste sammelte ich auf einem Haufen als Zündholz. Die großen Stücke stapelte ich, so ordentlich es möglich war. Bis zum Winter würde das Holz vermutlich genug durchgetrocknet sein, um gutes Brennholz abzugeben. Ein großes, schweres Stück Holz, das vermutlich von einem ehemaligen Baumstamm kam oder ein wirklich beeindruckender Ast gewesen war, verweigerte sich meinen Bemühungen es fortzubewegen. Ungefähr die Hälfte des Weges hatte ich es geschafft, in dem ich den Stamm, der etwa kniehoch und gleichmäßig gewachsen war, auf einer Seite hochhievte, ihn ein Stück vorschob und fallen ließ. Das Gleiche machte ich dann mit der anderen Seite.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn. Die Sonne war heute zwar größtenteils bedeckt, aber es war immer noch warm und ich spürte den Schweiß zwischen meinen Brüsten und über meinen Rücken laufen. Vielleicht machte es Sinn, dass ich mir die Axt holte und den Stamm zerkleinerte. Dann konnte ich es Stück für Stück herübertragen. Aber eigentlich wollte ich das Stück als Hackklotz nutzen. Es wäre perfekt dafür! Ich war schon so weit gekommen. Den Rest würde ich auch noch schaffen. In dem Moment, in dem ich mich herunterbeugte und die eine Seite hochhievte, trat Ilan zu mir.
„Wir tragen den Klotz zusammen", brummte er.
Hoffentlich hatte er mich noch nicht zu lange bei meinen Bemühungen beobachtet. Vermutlich hatte ich nicht allzu ... hübsch dabei ausgesehen.
Er griff nach der Seite, die ich vom Boden gehievt hatte und hob sie an. Ihn schien es gar nicht anzustrengen. Ich griff um, um den Stamm von unten greifen zu können und spürte das Gewicht an meinen Schultern zerren. Es war nicht weit! Ich würde das schaffen! Wir drehten uns, sodass wir beide seitwärts gingen, und bewegten uns in Richtung Schuppen. Als wir die Hälfte des Weges geschafft hatten, keuchte ich. Ich spürte, dass mir der Stamm immer weiter entglitt und beschleunigte meine Schritte. Um an dem Balken, der den Überhang des Daches stützte vorbeizukommen, drehte sich Ilan rückwärts. Wir waren fast an der richtigen Stelle, als mir der Klotz endgültig entglitt und schmerzhaft auf meinen Fuß fiel. Ich quietschte undamenhaft und stolperte vorwärts, um mein Gewicht auf den unverletzten Fuß zu verlagern. Dabei kam mir der Klotz in die Quere und ich stürzte darüber. Direkt auf Ilan zu. Dieser hatte, als ich losließ den Klotz ebenfalls loslassen müssen und streckte seine Arme geistesgegenwärtig mir entgegen. So kam es, dass ich in seinen Armen landete, anstatt auf dem Boden. Mein überraschendes Gewicht ließ allerdings selbst Ilan taumeln und er stolperte rückwärts und landete auf dem Boden. Mich weiterhin in den Armen. Von dem Sturz hatte ich nichts abbekommen, da er diesen mit seinem Körper abgefedert hatte.
„Alles in Ordnung?", keuchte ich, meinen Kopf an seiner Schulter. Ich stützte mich mit den Händen auf seiner Brust ab, um mich aufzusetzen, doch seine Arme hielten mich umfangen. So kam ich nur so weit, um ihm ins Gesicht zu sehen .Er grinste breit.
„Huch", machte er und es rumpelte unter meinen Händen. Etwas zeitverzögert realisierte ich, dass er lachte und konnte nicht anders, als erleichtert mitzulachen.
„Ist bei dir alles in Ordnung?", fragte er dann. Seine Hände fuhren über meinen Rücken. Unser beider schweißnasse Kleidung klebten an uns und seltsamerweise machte es mir nichts aus.Weder, dass er schwitzig war, noch dass ich es war.
Ich nickte.
„Dein Fuß?", hakte er nach. Probehalber bewegte ich den Fuß hin und her.
„Alles in Ordnung. Der Stiefel hat das meiste abgehalten." Zögerlich ließ er mich los und rappelte sich, mir helfend, hoch.
„Versuch mal, ihn zu belasten", verlangte er.
Gehorsam verlagerte ich das Gewicht auf den Fuß und verzog leicht das Gesicht. Er beobachtete mich genau, doch ich lächelte beruhigend. „Ich merke es kaum. Es fühlt sich eben an, wie es sich anfühlt, wenn einem ein Klotz auf den Fuß fällt."
Er runzelte die Stirn, ging in die Hocke und hievte den Klotz hoch.
„Ich dachte, der würde einen guten Hackklotz abgeben", sagte ich.
Ilan nickte und trug den Klotz ein paar Schritte weit an eine geeignete Stelle. Dort ließ er ihn sanft runter und ich konnte von hinten die angespannten Muskeln in seinen breiten Schultern und seinem Rücken begutachten. Als er aufstand, hatte ich außerdem einen guten Blick auf sein Hinterteil und spürte Hitze in mir aufsteigen. Jetzt erst wurde mir bewusst, dass ich eben mit einem Mann am Boden gelegen hatte. Und nicht nur das. Ich hatte auf diesem Mann gelegen und dieser Mann war Ilan.
Die Hitze stieg in mein Gesicht auf und mir wurde heiß. Jetzt begann auch mein Herz wild und aufgeregt zu klopfen. Ich war ihm so nah gewesen. Meine Hände hatten auf seiner Brust gelegen.I ch schluckte hart und bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck, als Ilan sich zurück zu mir drehte.

Abends in meinem eigenen Bett in meinem kleinen Zimmer im UBH schwirrte mein Kopf immer noch von den vielen ungewohnten Eindrücken. Von den seltsamen Gefühlen, die Ilan in mir ausgelöst hatte. Von den abendlichen Gesprächen mit Black. Von allem, was ich erlebt hatte.I ch lächelte immer noch darüber, wie sich Ilan verabschiedet hatte. Als wir gehen mussten, hatte er noch in einem Beet gestanden und uns deshalb seinen Abschied zugerufen. Er hatte gesagt bis nächstes Wochenende und mich angelächelt. Black war noch zu ihm gelaufen und er hatte sie mit einem seiner muskulösen Arme an seine Seite gezogen und ihr einen Kuss auf die Haare gegeben. Mein Herz hatte seltsame Sprünge gemacht und ich hatte schnell meinen Korb aufgehoben und mich, mit einem kleinen Winken, umgedreht. Ilan hatte gesagt, dass er in der Woche nichts im Garten schaffte und, dass er sich schon auf meine Hilfe am nächsten Wochenende freute. Er würde dann einige Pflanzen von der Arbeit mitbringen, damit er sie mit mir in die Erde bringen könnte. Er wollte nach der Arbeit die Regentonnen befreien, damit wir das Regenwasser zum Gießen nutzen könnten und er wolle damit schon die Jauche ansetzen. Ich warnte ihn noch vor dem Gestank, doch den kannte er schon. Überraschend schnell schlief ich, mit den schönen Erinnerungen im Kopf, ein und wachte erfrischt am nächsten Morgen wieder auf. Die folgende Woche verging gleichzeitig schnell und unglaublich zäh und langsam. Wo es sein musste, half ich bei den Gründungsfestvorbereitungen. Ich las viel, auch das gefundene Computer- Buch. Sonst arbeitete ich im Garten und verbrachte meine Nachmittage mit Black. An den Vormittagen versuchte ich, meine Gedanken von meiner drohenden Ausweisung abzulenken und an den Nachmittagen erledigte das Black für mich.

Die Einsamkeit der NamenlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt