Mit immer noch feuchter Kleidung schlich ich mich am nächsten Morgen ins Bad und duschte heiß.Als ich wieder herauskam, sank ich an der Wand zu Boden.Ein unkontrolliertes Zittern schüttelte meinen Körper.Ich döste dort eingewickelt in mein Handtuch ein, bis ein Mädchen – Locke? – an mir rüttelte und mich damit weckte.„Sie ist ganz heiß! Sie hat bestimmt Fieber. Hol mal eine Betreuerin."Ich hob den Kopf nicht, doch ich ließ es willenlos geschehen, als ich in trockene Kleidung und in mein Bett gesteckt wurde.Ab und zu kam ein Mädchen, meist Locke, und brachte mir Suppe oder Tee und die restliche Zeit über schlief ich und träumte in wilden Fieberträumen von Ilan, Black und davon, dass sie mich nie wieder sehen wollten.Dass er mich heiratete.Dass Black mir vorwarf, ihren Bruder mehr zu wollen, als sie.Ilan, der mir lachend erzählte, dass er schon viel schönere und attraktivere Frauen, als mich gehabt hätte und dass ich erbärmlich sei.Am Abend wachte ich aus den Fieberträumen auf und ich fragte mich, was Black wohl gedacht hatte, als ich nicht mehr bei ihr gewesen war.Und was Ilan erzählt hatte.Ich hoffte und fürchtete gleichzeitig, dass sie zu mir kommen würde.Doch sie kam nicht.Am nächsten Tag fühlte ich mich erschöpft, aber besser. Ich glaubte, dass das Fieber abgeklungen war.Ein Mädchen hatte mir Frühstück gebracht und ich hatte aus meinem Schrank das Buch über Computer hervorgekramt.Noch war es eine vage Idee, doch langsam kristallisierte sich eine Entscheidung heraus.Auch an diesem Tag kam Black nicht zu mir.Ich schleppte mich zum Abendessen, in der Hoffnung sie dort zu treffen, doch sie war nicht dort.Erst im Speisesaal war, realisierte ich, dass heute das Gründungsfest war. Kaum ein Mädchen war dort. Sie waren bei dem großen Fest auf dem Marktplatz.Ich bekam trotzdem etwas zu essen und Henrietta rief mich zu sich.Ich erzählte ihr eine wirre Geschichte davon, dass ich am Samstag krank aufgewacht sei und im Fieber zum UBH gelaufen war, um Black und ihrem Bruder – ich vermied seinen Namen bewusst – nicht zur Last zu fallen.Henrietta nickte dazu beifällig, wenn auch nicht ganz überzeugt. Sie war ein großer Befürworter davon, niemandem zur Last zu fallen. Sie fragte glücklicherweise nicht weiter nach.Am nächsten Morgen – ich hatte lieber ausgeschlafen, als zu frühstücken – platzte jemand in mein Zimmer und ich schob mein Buch erschrocken unter die Decke.Black stand mit blitzenden Augen vor mir.„Und? Hast du mir was zu sagen?", fragte sie herausfordernd.Obwohl ich ein klärendes Gespräch mit ihr erhofft und gefürchtet hatte, wusste ich nun nicht, was ich sagen sollte.„Was hat denn ... dein Bruder gesagt?", fragte ich vorsichtig.„Er hat irgendetwas Wirres erzählt. Von wegen, du wärest rausgelaufen und er wüsste nicht, was passiert wäre. Er hätte dich irgendwie erschreckt oder so eine Scheiße", ereiferte sie sich und ich verzog das Gesicht bei ihrer derben Wortwahl.„Ja ..." Meine Gedanken rasten. Ich wusste nicht, was ich ihr sagen sollte. Ich hatte so oft darüber nachgedacht.Ich war aber zu keinem Ergebnis gekommen und entschied mich spontan.Ich entschied mich für die Wahrheit.„Ich ..." Ich nestelte an meiner Decke herum und holte tief Luft.„Was?!", ihr Tonfall war aggressiv und ich runzelte die Stirn.„Ich habe seine Absichten missverstanden und, als er mich abgewiesen hat, bin ich weggelaufen", sagte ich in einem Atemzug.„Er hat dich abgewiesen?", fragte sie.Zuerst war sie verwirrt, doch dann sah ich das Verstehen in ihren Augen und ihr Blick wurde etwas sanfter. Ich hielt den Blick auf meine Decke gesenkt.Ich spürte die Bewegung der Matratze, als sie sich neben mich auf das kleine Bett quetschte und den Arm um meine Schulter legte.Sie griff nach meiner Hand und streichelte sie beruhigend.Unbewusst versteifte ich mich und musste mich dann selbst erinnern, dass sie nur Gutes für mich wollte. Ich entspannte mich etwas.„Das tut mir leid", sagte sie und sah dabei an die Wand. „Weißt du, das hätte sowieso nie geklappt."Ich blickte von der Seite zu ihr, doch ihr Gesicht blieb neutral.„Ilan steht auf bildschöne selbstbewusste Frauen. Du kannst dir ja denken, dass sie auf ihn fliegen und er sie sich aussuchen kann ... Er geht mit ziemlich vielen Frauen aus."Es fühlte sich an, als hätte sie mich angeschossen.Oder zumindest so, wie ich es mir vorstellte, wie man sich fühlte, wenn man angeschossen wurde.Ein heftiger scharfer und alles erschütternder Schmerz, der dann langsam abflaute zu einem dumpfen, schmerzhaften Pochen in meiner Brust.Ich bemühte mich, meine Gefühle nicht zu zeigen.Ich schloss die Augen.„Er hätte dich nur verletzt." Das hatte er schon. „Und außerdem habe ich dir ja schon gesagt, dass er dich eher wie eine ... Schwester oder Freundin sieht."Als ich die Augen öffnete, sah ich ein leichtes Lächeln um Blacks Mundwinkel spielen, doch es war nur für einen winzigen Moment gewesen. Ihre Hand strich weiter beruhigend über meinen Arm und meine Gedanken flogen unwillkürlich zu der viel größeren Hand, die meinen Arm gestreichelt hatte.„Du hättest doch zu mir kommen können. Dann hätte ich dir geholfen. Du hättest nicht allein gehen müssen."Ich hatte einen Kloß im Hals und nickte nur.Sie drückte noch einmal meinen Arm und stand auf.„Ich muss zum Unterricht. Ich komme später noch einmal vorbei."Und so ließ sie mich mit meinem gebrochenen Herz zurück.Mein Kopf begann wieder zu hämmern und ich verkroch mich unter der grauen Bettdecke.Am Abend war Black noch einmal vorbeigekommen und hatte mir zwei Brote mit Käse mitgebracht. Ich war nicht hungrig, doch ich zwang mich trotzdem zu essen.Black erzählte irgendwelche belanglosen Dinge über den Tag und ging schnell wieder.Ohne, dass ich es weiter bemerkt hatte, war mein 20. Geburtstag verstrichen. Die Angst fraß sich immer tiefer in mich hinein.Am nächsten Morgen war ich zu einem Entschluss gekommen.Ich würde mich nicht weiter selbst bemitleiden.Ich konnte nichts dafür tun, dass Ilan mich so sah. Aber ich würde nicht ausgewiesen werden!Zumindest würde ich alles dafür geben, das zu verhindern!Ich hatte mein Buch über Computer nun so oft gelesen, dass ich glaubte, es möglicherweise zu schaffen den Computer in der Bibliothek zu reparieren. Ich würde ihn auseinanderbauen und dann sehen, was ich tun konnte.Es war mir egal, dass das unter Strafe stand. Schließlich konnten sie mir nicht mehr antun, als mich ausweisen. Das hoffte ich zumindest.Ich hoffte, auf dem Computer Informationen zu finden, die ich nutzen konnte, um meine Ausweisung zu verhindern. Jedenfalls war das die letzte Möglichkeit, die mir einfiel.Nach dem Frühstück ging ich zur Bücherei und klemmte den Stuhl unter die Türklinke.Es war mir egal, wenn jemand bemerken würde, dass ich mich eingesperrt hatte. Hauptsache niemand bemerkte, was genau ich dort tat.Ohne Hoffnung testete ich zunächst, ob der Computer startete.Dann befolgte ich die Anweisungen aus dem Buch, um den Computer zurückzusetzen, ohne die Daten zu verlieren.Da ich kein passendes Werkzeug hatte, musste ich schon beim Öffnen des Computergehäuses improvisieren.Ab diesem Moment verging die Zeit, wie im Flug.Irgendwann musste ich das Licht anschalten, da es draußen dunkel wurde. Nebenbei bemerkte ich meinen knurrenden Magen, doch das war nebensächlich.Als alle ersten Schritte nichts brachten, baute ich den Computer komplett auseinander.Ich merkte mir genau, wo was gewesen war und versuchte gleichzeitig herauszufinden, welches Teil was tat.Es war wie in einem der Logikrätsel oder den herausfordernden Matheaufgaben aus dem Unterricht, die ich immer so gern gelöst hatte. Je schwieriger, desto besser.Als die Teile vor mir lagen und ich sie erst einmal reinigte, arbeitete mein Gehirn wie von selbst. Es war, als würde sich alles logisch erschließen.Ich baute den Computer neu zusammen. Zwar konnte ich nicht jedes Teil an die gleiche Stelle verbauen, aber am Ende stand ein komplettes Gerät vor mir. Ich hielt die Luft an, als ich testete, ob es auch funktionierte.In meinem Kopf war es logisch gewesen, aber vielleicht war es das nicht in der Realität.Der Computer startete. Nun musste ich in dem Hintergrundprogramm arbeiten und probierte dort einiges aus.Irgendwann in den frühen Morgenstunden stieß ich einen triumphierenden Schrei aus, als die Benutzeroberfläche auftauchte und die Bücher angezeigt wurden.Ich atmete tief durch und streckte mich. Dabei merkte ich erst, wie verspannt und müde ich war.Ich fuhr den Computer, mit einem leichten Gefühl der Sorge wieder herunter und ging ins Bett, wo ich in einen tiefen Schlaf fiel.Zum Frühstück war ich wieder wach. Ich war zwar müde, aber voll Euphorie über das, was ich geschafft hatte.Als Black neben mir ihren Haferbrei löffelte, ging mir auf, dass ich niemandem erzählen konnte, was mir gelungen war.Ich musste es geheimhalten, wenn ich nicht sofort ausgewiesen werden wollte.Das dämpfte meine Euphorie.Sie erhielt einen weiteren Dämpfer, als ich nach einem Tag der Recherche auf dem Computer keine hilfreiche Information gefunden hatte, die mir bei meiner Ausweisung helfen würde.Auch die nächsten Tage brachten keine Besserung. Doch immerhin lief der Computer und niemand schien bemerkt zu haben, dass ich ihn repariert hatte.Am Wochenende machte sich Black, ohne mich, auf den Weg zu ihrem Bruder und ich versuchte, darüber nicht weiter nachzudenken. Auch nicht darüber, dass sie mich überhaupt nicht gefragt hatte, ob ich mit ihr kommen wollte.Ich hätte ohnehin abgelehnt, doch es wäre nett gewesen, gefragt zu werden.Das Wochenende nutzte ich, um alle Suchergebnisse, die mit dem System und der Bestimmung zu tun hatten, durchzuarbeiten.Obwohl es schwerfiel, machte ich Pausen, in denen ich in den Garten ging. Denn ich merkte, dass die Zeit in der stickigen Bibliothek vor dem flimmernden Bildschirm mir immer wieder Kopfschmerzen einbrachte.Voller Angst dachte ich an den Amtsbesuch.Nur noch zwei Tage zur Recherche.Ich schrie an diesem Tag zweimal den Computer an, als ich in einem vielversprechenden Buch wieder nur oberflächliche Informationen fand.Nur noch ein Tag.Nachdem ich den Computer weitere zwei Male angeschrien hatte, woraufhin einmal die aufgescheuchte Locke herbeigerannt kam und ich sie damit beruhigte, dass ich ein aufregendes Buch gelesen hätte, und meine Kopfschmerzen zu einem stetigen Hämmern angewachsen waren, musste ich mich sehr beherrschen den Computer nicht zu treten.Ich zwang mich dazu, eine Stunde im Garten zu verbringen und etwas zu essen.Dann ging ich zurück in die Bibliothek und recherchierte die komplette Nacht.Am Morgen waren meine Kopfschmerzen so dröhnend, dass ich kaum noch denken konnte. Außerdem war ich der Panik nahe.Ich hatte nichts gefunden.Gar nichts.Ich würde heute ausgewiesen werden!Als ich zum Frühstück kam, waren die anderen Mädchen schon auf dem Weg zum Amt.Henrietta funkelte mich wütend an.„Was tust du noch hier?! Mach dich sofort auf den Weg. Du darfst nicht auch noch zu spät kommen!"Sie scheuchte mich aus dem Raum und ich ging schnellen Schrittes zum Amt.Je näher ich dem großen weißen Gebäude kam, desto stärker wurden meine Gefühle.Es brodelte in mir. Mein Magen fühlte sich an, als würde er ein Eigenleben führen und sich verselbstständigen.Ich scannte meinen Code ein und betrat, kurz vor der Frau mit dem Klemmbrett, den Warteraum.Damit hatte ich meinen Rekord im Knapp- Ankommen aufgestellt.Ich setzte mich auf einen leeren Stuhl und nickte mit schmerzendem Kopf in die Runde.Black saß mir gegenüber und lächelte mich an. Ich brachte kein Lächeln zustande.„Ich bitte um eure Aufmerksamkeit.", sagte die Frau mit ihrer nervtötend hellen Stimme.Es war ohnehin totenstill.Ich hörte das Blut in meinen Adern rauschen und war nicht wirklich in der Lage zu verstehen, was die Frau sagte. Ich nahm nur die Buchstaben wahr.„B... F..."D-281, Black, wurde nicht genannt. Mein Blick flog zu ihr, sie lächelte tapfer.Die Klemmbrett- Frau sah auf herunter und stockte.Dann räusperte sie sich und las weiter:„I... L..."Und auch ich war nicht aufgerufen worden.Ohne es bewusst entschieden zu haben, sprang ich auf.Ich hörte mich schreien, ohne zu wissen, was ich schrie. Ich sah Black mit riesigen grauen Augen zu mir starren. Die ängstlichen Blicke der Namenlosen.Und ich schrie und schimpfte.Über die Ungerechtigkeit des Systems.Darüber, wie lange ich schon darauf wartete aufgerufen zu werden. Ich stellte in Frage, ob das System überhaupt wusste, was es tat.Am Rande nahm ich wahr, wie die Frau in einer Tasche ihres schwarzen Kostüms herumkramte und aus dem Raum blickte.Ich hörte Schritte und sah vom Ende des Flurs vier Männer in Uniform auf mich zukommen.„Das System hat keine Ahnung, was es tut!", schrie ich. „Es kann doch nicht richtig sein, dass sie auf ein Programm angewiesen sind! Ein Computerprogramm! Ihr wisst doch alle nicht, was es tut."Ich richtete meine Wut jetzt direkt auf die Frau, die mich verschreckt ansah. Im Hintergrund sah ich die Männer näherkommen.„Wenn ihr schon gewusst habt, dass ich wieder nicht aufgerufen werde, wieso bin ich dann hier? Ihr hättet mich sofort rauswerfen können!"Black hatte die Hand vor den Mund geschlagen.Sie sah mir bei meinem Ausraster zu, ohne einen Finger zu rühren.Anklagend zeigte ich auf die Frau und sah ihr direkt in die Augen. Sie zuckte zusammen, als hätte ich sie angeschossen.„Das Programm ist kaputt! Wie die ganzen Computer. Ihr wisst doch alle nicht, wie sie funktionieren. Niemand repariert sie! Und wisst ihr was?" Ich sah sie wütend an. In meinem Magen brodelte es.„Ich weiß es! Ich habe den Computer im UBH repariert. Ich habe ihn auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt!", ich schrie hysterisch und alle Namenlosen hatten den Blick gesenkt und sich in ihren Stühlen an die Wände gedrückt. Außer Black, die mich immer noch anstarrte.Die uniformierten Männer waren bei mir angekommen und packten grob meine Arme, doch ich wehrte mich.„Geht und überprüft es! Ich habe ihn repariert! Ich weiß, wie es geht! Und der beschissene Computer läuft besser, als er es je getan hat! Ich wette der Computer hier ist kaputt und ihr habt keine Ahnung, was ihr tun sollt und deswegen wurde ich nie aufgerufen!"Ich hatte mich in Rage geredet und hatte überhaupt nicht gewusst, dass es das war, was ich dachte. Jetzt, wo ich es aussprach, kam es mir nicht unwahrscheinlich vor. Mein ganzer Körper kochte und ich versuchte mich aus dem Griff der Männer zu winden.Einer der Männer hielt mir den Mund zu und ich biss ihm fest in die Finger, während ich an meinen Armen, die im Klammergriff gehalten wurden, zerrte.Ich hatte einen salzigen, bitteren Geschmack im Mund, während ich weiter schrie. Dann spürte ich etwas wie einen Blitz durch meinen Körper fahren.Wahnsinnige Schmerzen jagten durch mich hindurch. Mein Körper zuckte unkontrollierbar, dann fühlte ich ein Stich am Hals und alles wurde schwarz.
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Die Einsamkeit der Namenlosen
FantasíaBei der Geburt eines Kindes gibt die Mutter diesem einen Namen. Im System hat die Mutter keinen Einfluss auf den Namen, doch sie weissagt damit das zukünftige Leben des Kindes. Kinder, deren Mütter bei der Geburt sterben, bleiben namenlos und wachse...