24. Ein Gespräch, das mir einen Anstoß gibt

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Unangenehmerweise gab es aber auch da nicht allzu viel zu erzählen. Außer, dass Ilan mich abgewiesen und damit sehr deutlich gezeigt, dass er mich nicht wollte. Ich hasste meine Unsicherheit. Ich hasste es vor mich hinzuleiden und nicht zu wissen, was wirklich passiert war.„Es gab da Jemanden", begann ich also langsam und vermied es, seinen Namen auszusprechen, aus Angst vor diesem dumpfen kalten Schmerz, der zwar normalerweise im Hintergrund stand, aber jederzeit wieder aufflammen konnte. Belle beugte sich verschwörerisch näher zu mir.
„Ich weiß gar nicht so genau, ob er je Interesse an mir hatte, aber ich ..." Meine Stimme klang erstickt.
„Aber du mochtest ihn? Wie sah er aus? Erzähl, was passiert ist! Ich bin wirklich gut darin zu analysieren und herauszufinden, was ein Mann denkt." Belles Augen leuchteten.
Also erzählte ich ihr von den Momenten. Als er mir den Hut schenkte. Als ich in die Scherbe trat. Ich berichtete tonlos von dem Fast- Kuss und seiner Abweisung. Der kalte Schmerz strahlte von meinem Bauch in meinen ganzen Körper aus und ich schlang die Arme um meinen Oberkörper. Da spürte ich plötzlich Belles warme, schlanke Hand auf meiner Schulter. Sie hatte den Arm um mich gelegt und mich sanft an sich gezogen. Ich spürte Tränen in mir aufsteigen. Ein Schluchzen drängte sich hoch. Doch, wenn ich diesen Schluchzer herausließ, würde ich alles herauslassen. Ich zwang mich, alles zu unterdrücken und in mir einzuschließen. Jetzt, wo ich die Geschichte noch einmal erzählt hatte, sah ich tatsächlich etwas klarer.
Ich würde diese elende Situation beenden.
Ich würde zu Ilan gehen.
Ich könnte noch heute zu ihm gehen.
Ich würde offen sagen, was ich fühlte und ihn somit zu einer Erklärung, einer Antwort bewegen.
Ich war fast sicher, dass da Gefühle gewesen waren. Funken zwischen uns. Und selbst, wenn ich mir diese Gefühle nur eingebildet hatte, weil ich sie mir so sehr gewünscht hatte, dann würde ich trotzdem eine Erklärung für seine Ablehnung bekommen können. Das würde meinen Schmerz auf die eine oder andere Weise beenden
„Für mich ist das Ganze ziemlich eindeutig", unterbrach Belle meine Gedanken mit Blick auf das Blumenbeet vor uns. „Er ist ja einige Jahre älter als du und, wenn er wirklich so gut aussieht, wie du sagst, dann konnte er sich schon immer die Frauen aussuchen."
Ich spürte das Blut aus meinem Gesicht weichen und starrte ebenfalls auf das Blumenbeet. Die strahlend bunten Farben der Blumen wirkten mit einem Mal weniger strahlend. Dumpfer. Das hatte auch Black gesagt.
„Na ja. Und seien wir mal ehrlich. Warum sollte er dann ausgerechnet dich aussuchen? Die namenlose Freundin seiner kleinen Schwester? Und du musst zugeben, auch wenn deine Haarfarbe besonders ist und deine Sommersprossen möglicherweise charmant und verspielt wirken, bist du keine Schönheit." Ich schluckte schwer. „Ich denke du hast mehr hineingelesen, als wirklich da war. Weil du es dir gewünscht hast. Und als es ihm dann zu viel wurde, hat er einen klaren Schlussstrich gezogen."
Ich spürte ein Zittern in mir aufsteigen, das bis in mein Kinn ausstrahlte. Von da ausgehend wurde selbst mein Gesicht seltsam taub. Ich konnte das Zittern nur mit meinem gesamten Willen und der Übung der letzten Wochen davon abhalten meinen Körper zu überschwemmen ... Es übertönte Belles weitere Worte fast gänzlich. Ich bekam nur Bruchstücke mit: „... Erste Liebe ... Ablenkung ... Männer sind ..."
Abrupt stand ich auf. Belles Wortschwall versiegte und sie sah mich mitfühlend an. „Entschuldige bitte. Aber ich gehe jetzt nach Hause. Ich muss ..." Ich ließ den Satz unbeendet.„Schon in Ordnung. Denk über alles nach und überleg es dir. Ablenkung ist immer gut und Unit wäre eine gute Wahl." Irritiert über den Gedankensprung, sah ich sie kurz an, drehte mich dann aber weg. Als ich noch einmal zurücksah, lächelte Belle. Ich stolperte nach Hause, verkroch mich in meinem Bett, das ich mit geübten Bewegungen in den Flur verfrachtete. Irgendwann, ich wusste nicht wie viel später, kamen die Tränen und ich fiel in einen unruhigen Schlaf. Als ich aufwachte, sah ich blinzelnd auf die Uhr und hatte noch zwei Stunden bis zur Arbeit. Ich beschloss zu baden, vielleicht würde es helfen das kalte Gefühl in mir zu vertreiben. Außerdem konnte ich in der Wanne immer gut nachdenken. Ich ließ Wasser ein, gab einen der traumhaften Badezusätze hinzu – dieser färbte das Wasser veilchenblau und legte mich in die noch einlaufende Wanne. Belle war meine Schwester, sie war einige Jahre älter als ich und hatte mit Sicherheit mehr Erfahrungen mit Männern als ich. Also stimmte vermutlich, was sie sagte. Auch wenn es schmerzte und ich mir so sehr gewünscht hatte, dass Ilan meine Gefühle erwiderte. Wahrscheinlich hatte ich dadurch wirklich mehr hineingedeutet, als da gewesen war. Das warme Badewasser schaffte es nicht die Kälte gänzlich zu vertreiben, doch zumindest wurde es nicht schlimmer, obwohl ich konkret an Ilan dachte. Ich zwang mich, weiter zu denken und eine Lösung zu finden.
Es musste eine Lösung geben! Ich war es leid zu leiden und allein zu sein. Belle hatte von Ablenkung geredet. Früher hatte mir die Gartenarbeit immer geholfen, aber ich hatte keinen Garten. Außerdem forderte die Arbeit den Großteil meiner Zeit und nahm mich so sehr ein, dass ich währenddessen meist abgelenkt genug war. Aber was war mit der übrigen Zeit. Belle wollte Zeit mit mir verbringen, aber sie würde nicht immer da sein. Was konnte ich sonst tun? Einige Minuten später hatte ich einen Entschluss gefasst und sperrte meine verletzten und ungewollten Gefühle für einen Mann, der mich nie gewollt hatte, tief in mir ein.

Die Einsamkeit der NamenlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt