15. Wie Gartenarbeit Angst abmildern kann

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Das quietschende Gartentor kündigte uns am nächsten Samstag an und so öffnete Ilan schon die Tür, als wir gerade erst über den Weg gingen. Black lief wieder auf ihn zu und fiel ihm um den Hals. Als sie ihn losließ, redete sie auch schon auf ihn ein. Wir standen erneut im kleinen Flur des Hauses und die Tür war hinter uns ins Schloss gefallen. Doch glücklicherweise trat Ilan sofort in den Wohnraum und ließ uns herein. Vermutlich hatte Black ihm von meiner Angst erzählt. Das war zwar peinlich, aber auch praktisch. Er hielt mir die Hand hin und ich ergriff sie zögernd. Man kann ihnen nicht trauen. Er schüttelte sie und seine raue Hornhaut rieb gegen meine. Sein Blick blieb an meinen offenen roten Locken hängen und mir lief ein warmer Schauer über den Rücken.
„Danke, dass ich noch einmal herkommen darf", sagte ich heiser und lächelte unsicher seine Brust an, die in einem nassen schiefgeknöpften Hemd steckte. Ich runzelte die Stirn und bemerkte erst jetzt, dass ich immer noch seine Hand hielt. Ich ließ sie so schnell los, als hätte sie Feuer gefangen. Er hielt mich bestimmt für eine Spinnerin. Meine Hand fühlte sich ohne seine seltsam kalt an.
'Männer sind grobe Schweine.'
Ich sah jetzt doch auf und begegnete seinem stechenden Blick aus klaren, grauen Augen. Sie zogen mich unwiderstehlich an und ich konnte mich nicht von ihnen lösen. Er lächelte mich an und dabei bildeten sich Lachfältchen in seinen Augenwinkel.
„Könnt ihr bitte damit aufhören?", fragte Black. Ich löste meinen Blick sofort und nahm den Korb mit meiner Wechselkleidung in die andere Hand.
„Was ist eigentlich mit deinen Klamotten los?", fragte Black ihren Bruder und zeigte anklagend auf sein nasses Oberteil. Ich folgte ihrem Fingerzeig nur zu gern, denn unter dem nassen Stoff zeichneten sich definierte Bauchmuskeln ab und sein schiefgeknöpftes Hemd ermöglichte diesen Einblick besonders gut. Schnell sah ich zur Seite, als ich das Gefühl bekam, dass Black mich dabei ertappte.
'Manche sehen gut aus und sind freundlich, aber sie zeigen früher oder später ihr wahres Gesicht!'
„Oh.", er wurde tatsächlich rot. „Ich war eben im Garten und ein Eimer, also ... Und dann. Jedenfalls ... und da habe ich euch gehört und habe nur schnell das Hemd übergeworfen und ..." Er begann das Hemd umzuknöpfen und ich musste schon wieder auf seine beeindruckenden Muskeln starren.
Black hakte sich kopfschüttelnd bei mir unter und zog mich durch die Wohnküche, in der ein alter Holztisch von unterschiedlichen, bunten Stühlen umringt stand und über denen teilweise verschiedene Kleidungsstücke hingen, die Ilan in diesem Moment einzusammeln begann, zu einer Tür, die offensichtlich in ihr Zimmer führte. Ich atmete tief ein, als sich die Tür hinter uns schloss. Dieser schreckliche Traum machte mich fahrig und nervös. Ilan hatte mich schon beim letzten Mal nervös gemacht, aber jetzt hier bei ihm zu sein und nicht die Sicherheit des UBHs um mich herum zu haben, war eine andere Sache.
„Du musst aufhören, ihn so anzustarren" ,sagte Black mit gerunzelter Stirn und ich hatte das Gefühl mittlerweile einen feuerroten Kopf zu haben.
„Entschuldige", stammelte ich. „Ich ... also ... er ist ein Mann ... und ... keine Ahnung ... ich ..." Ich atmete tief durch.
„Also die Betreuerinnen haben so schreckliche Geschichten über Männer erzählt und ich habe letzte Nacht davon geträumt und bin furchtbar nervös", endete ich dann etwas steif, aber immerhin in einem kompletten Satz.
Black sah mich prüfend an. „Du musst dir keine Sorgen machen. Ilan würde Niemandem etwas tun. Du bist hier sicher. Er ist ein Guter", sagte sie beruhigend.
„Wo ist denn das Badezimmer?", fragte ich, um sie abzulenken.
Sie zeigte es mir. Im kleinen Bad flocht ich mir die Haare zu zwei dicken Zöpfen, die ich um meinen Kopf feststeckte. Meine Finger zitterten, weshalb es länger als sonst dauerte. Weil Black so sehnsüchtig zusah, bot ich an ihr zu zeigen, wie das geht. Das lief darauf hinaus, dass ich ihre Haare flocht. Zumindest versuchte ich es, aber es funktionierte nicht besonders gut, weil ich noch nie jemand Anderem die Haare geflochten hatte. Aber auch Black schaffte es nicht. Sie kicherte so viel, dass sie sich letztendlich einfach einen Pferdeschwanz band. Der Vorteil war, dass meine Nervosität jetzt kleiner war. Als wir aus dem Bad kamen, saß Ilan auf dem Sofa zwischen vielen bunten Kissen. Ich vermutete, dass die Kissen auf Black zurückzuführen waren. Er sah auf und lächelte uns an. Ich spürte ein flatterndes Gefühl in der Magengrube, als ich seinen Blick auf mir spürte und sah weg.
„Sollen wir zusammen einen Platz für die Tomaten suchen? Ich habe sie noch nicht eingepflanzt."
Ich fühlte mich nicht angesprochen, bis Black mich auffordernd ansah.„Ich glaube kaum, dass er mich damit meint. Aber ich komme mit raus und sehe euch zu."
Black setzte sich draußen im hinteren Garten, den man durch eine Hintertür aus der Küche erreichte, auf eine kleine grüne Bank, die einen frischen Anstrich nötig hatte. Ich ging neben Ilan und versuchte mich unauffällig seinem Schritt anzupassen und gleichzeitig hinter ihm zu bleiben, um nicht die ganze Zeit seinem Blick ausgesetzt zu sein.
„Ich hatte noch nicht so viel Zeit den Garten so herzurichten, wie ich es gern hätte." Seine Stimme war rau und tief und vibrierte in mir. „Ich plane Gemüsebeete und einige Blumen. Der Vorbesitzer hat den Garten komplett verwildern lassen."
Das war noch untertrieben. An einigen Stellen war es unmöglich die, noch so gerade erkennbaren, Wege zu begehen. Überall wuchsen Brennnesseln, rankten verwilderte Brombeeren und undefinierbares Unkraut. Ich konnte aber einen Apfel- und einen Birnbaum erkennen. Beide waren zwar nicht erreichbar durch den Pflanzenwust, aber sahen gesund aus.
„Viel Arbeit.", bemerkte ich leise.
„Allerdings." Er sah sich um, ich folgte seinem Blick. Der beste Platz für die Tomaten wäre die Hauswand, da sie dort geschützt stehen würden. Das Dach würde sie vor Regen schützen und die Wärme der Hauswand würde ihnen gefallen. Außerdem waren die Beete dort schon teilweise freigelegt.
„Dort", sagte er, während ich sagte:
„Die Hauswand."
Er ging zielstrebig auf einen abbruchreifen Gartenschuppen zu und ich folgte ihm. Der Schuppen war sinnvoll aufgeteilt und ich sah alle nötigen Gerätschaften für den Garten. Alle ähnlich viel genutzt, wie die im UBH, aber nicht ganz so alt. Er griff zu Handschuhen, einem Eimer, einer Hacke und einigen anderen Dingen. Ich griff zu einem anderen Paar Handschuhen und er sah mich fragend an.
„Ich helfe, wenn ... wenn ich ...", stotterte ich. Plötzlich ängstlich, dass ich etwas falsch gemacht hatte. „Wenn ich ... darf."
Er runzelte die Stirn. „Wenn du willst", er sah an mir hinunter und blieb an meinen nackten Beinen hängen. Die Füße steckten in abgetragenen Stiefeln. Ich folgte seinem Blick, doch mein Kleid war, wie alle meine Kleider, grob und durchaus zur Gartenarbeit zu nutzen. Sie holen sich mit Gewalt, was sie wollen. Ich war allein mit ihm hier in dem Schuppen!Ängstlich sah ich in sein Gesicht. Panik ließ mich starr werden. Er hob eine Augenbraue.
„Du wirst dir die Beine an den Brennnesseln verbrennen", sagte er. „Ich ziehe sie vorher raus", bestimmte er. Ich lächelte unsicher mit rasendem Herzen über seine Freundlichkeit. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich mir die Beine verbrannte. Wir setzten jedes Jahr literweise Brennnesseljauche an. Ida behauptete Brennnesselverbrennungen wären gesund.
Black verdrehte die Augen, als sie sah, dass ich mich ebenfalls zur Gartenarbeit ausgerüstet hatte. „So hatte ich mir das nicht vorgestellt", rief sie mir zu. Ich sah entschuldigend zu ihr hinüber, doch sie schüttelte nachsichtig den Kopf und ging hinein.
„Sie macht sich nichts aus Gartenarbeit.", sagte Ilan neben mir und ich konnte mich noch so eben zurückhalten nicht einen Sprung rückwärts zu machen. Er war lautlos neben mir aufgetaucht und ich hatte ihn nicht bemerkt. Mein Herz klopfte noch einige Minuten nervös, doch die Gartenarbeit beruhigte meine flatternden Nerven. Ohne große Worte machten wir uns an die Arbeit und hatten innerhalb einer Stunde nicht nur das eine Beet freigeräumt und die Tomaten eingesetzt, sondern auch die anderen beiden Beete an der Hauswand von Unkraut befreit. Ilan sammelte die Brennnesseln in einem großen Eimer. Er war begeistert, als ich vorgeschlagen hatte, eine Jauche anzusetzen. Er hatte diese bei der Arbeit zwar als Dünger und Schutzmittel genutzt, aber nie selbst angesetzt, weil das die Arbeiter machten, die für die groben Arbeiten eingeteilt waren. Black saß mittlerweile wieder auf der Bank und hatte sich eine Näharbeit geholt. Wenn ich es richtig sah, hatte sie eines ihrer Kleider auf dem Schoß und stickte ein schlichtes Muster um den Ausschnitt. Langsam wurde ich etwas lockerer und vermutete nicht hinter jeder seiner Bewegungen einen Angriff oder eine Ablehnung mir gegenüber. Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und bemerkte mit Schrecken, dass ich keinen Sonnenhut trug. Mein Gesicht würde vor Sommersprossen kaum noch zu sehen sein. Ich verzog das Gesicht.
„Du hast nicht zufällig einen Sonnenhut?", fragte ich unsicher. Ilan blickte auf und musterte meine blasse, gesprenkelte Haut. Ich versank unter seinem Blick fast im Boden. Und zwar wortwörtlich ... Ich wünschte mir tatsächlich, die Erde würde sich auftun und mich verschlucken. Spätestens jetzt würde er meine unattraktiven Sommersprossen bemerken. Warum hatte ich ihn auch darauf aufmerksam machen müssen? Doch er lächelte und verschwand im Gartenschuppen. Er kam mit einem ähnlichen Ungetüm zurück, wie ich es auch im UBH trug und ich nickte zufrieden und stülpte es mir auf den Kopf. Der Hut war etwas morsch und roch muffig, doch besser als nichts.
„Danke."
Wir fachsimpelten innerhalb kürzester Zeit darüber, was er hier anbauen könnte und wofür es noch nicht zu spät war. Er ärgerte sich, dass er so plötzlich wegen seines Berufs als Gärtner hatte umziehen müssen. Denn Black und er hatten vorher einen schönen Garten gehabt, den er schon bepflanzt und für das Jahr durchgeplant hatte. Doch, wenn das System bestimmte, dass man umziehen musste, tat man dies auch. Die gewohnte körperliche Arbeit half mir, mich etwas zu entspannen. Ich war etwas neidisch, dass er einen ganzen frischen Garten hatte, den er nun planen konnte. Allerdings fragte ich mich, wie viel Spaß er überhaupt daran hatte, schließlich arbeitete er jeden Tag wegen seines Berufs in Gärten. Ich versprach ihm einige der übriggebliebenen Pflanzen aus dem UBH mitzubringen. Außerdem würde ich ihm Ableger aus unserem Kräutergarten mitbringen. Er hatte natürlich auch ein paar aus seinem alten Garten mitgebracht, doch war der Platz im Umzugswagen sehr begrenzt gewesen. Seine mitgebrachten Kräuter setzten wir in eines der anderen Beete an der Hauswand. Irgendwann rief Black, dass das Essen fertig sei .Ich hatte überhaupt nicht bemerkt, dass sie hinein gegangen war und auch nicht, dass es schon Zeit zum Essen war. Ich richtete mich auf und streckte meinen schmerzenden Rücken. Ilan richtete sich auch auf. Er hatte in meiner Nähe gearbeitet.
„Du hast da ...", er deutete in mein Gesicht und plötzlich war das Flattern in meinem Magen wieder da. Ich wischte mir schnell mit dem behandschuhten Handrücken über die Wange und hoffte, was auch immer erwischt zu haben. Er schüttelte den Kopf, trat einen Schritt auf mich zu, zog seine Handschuhe aus und steckte sie in seine Hosentasche. Ich konnte ihn nur aus großen Augen anstarren, während sich seine Hand meinem Gesicht näherte. Ich hörte auf zu atmen. Sanft berührte sein Finger meine Wange und wischte dort entlang. Ich spürte, wie Wärme in meine Wangen stieg. „Und da ...", sagte er und zeigte auf meine Stirn und schon wischte er auch dort entlang, dabei rutschte der Sonnenhut von meinem Kopf, doch ich reagierte gar nicht darauf. Er versuchte, den Hut in meinem Rücken aufzufangen und beugte sich näher zu mir. Doch er erwischte ihn nicht und war plötzlich noch viel näher bei mir. Seine Arme berührten mich nicht, waren aber an meinen Seiten und nur wenige Handspannen trennten uns von einer Umarmung.
Ich spürte die Wärme seines Körpers und konnte seinen Atem auf meiner Haut spüren, so nah war er mir. Er roch erdig und frisch und sein warmer Atem erinnerte mich daran selbst zu atmen. Ich stieß die Luft explosionsartig aus und sog gierig frische Luft ein. Er stand noch immer nah vor mir und ich hatte mein Gesicht leicht zu ihm erhoben, die Augen halb geschlossen. Hoffentlich roch ich nicht nach dem muffigen Sonnenhut. Ich sah seinen Blick immer noch auf meinem Gesicht.
Sah er auf meine Sommersprossen? Wie viele die Sonne wohl auf meine Haut gebrannt hatte? Fand Ilan die Sommersprossen schön, wie Black? Oder ...Meine Gedanken stoppten, als ich sah, dass Ilan sich näher auf mich zubewegte und war unsicher, was ich tun sollte.
„Kommt ihr endlich? Das Essen steht schon auf dem Tisch." Blacks gereizte Stimme schallte zu uns herüber.Ilan zuckte erschrocken vor mir zurück und auch ich machte einen Schritt rückwärts, wobei ich auf den Sonnenhut trat und diesen endgültig zerstörte.„Oh, entschuldige", sagte ich zerstreut, hob den Hut auf, der aber nicht mehr zu retten war. Er fiel bereits auseinander. Als ich zu Ilan, aufsah hatte er sich schon umgedreht und ging in die Küche. Mit hämmerndem Herzen und roten Wangen stand ich allein im Garten. Ich atmete bewusst drei mal tief durch, legte die Hutreste auf einen der Eimer, die voll Unkraut neben den Beeten standen und folgte Ilan in die Küche.
Ich lag auf einer Matratze auf dem Boden in Blacks Zimmer, lauschte auf ihren regelmäßigen Atem und konnte nicht einschlafen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis. Das Abendessen war zunächst etwas steif gewesen, da ich nicht gewusst hatte, wie ich mich verhalten sollte. Black hatte eine Gemüsesauce gekocht, zu der es Kartoffeln gab. Die Sauce war gut gewürzt und es hatte gut geschmeckt. Als Nachtisch hatte es einen Obstsalat gegeben. Ich hatte erst während des Essens bemerkt, wie hungrig ich gewesen war. Schließlich hatte ich nur gefrühstückt und wir hatten danach die Zeit im Garten vergessen. Ich war gehemmt und unsicher, wie ich die Situation mit Ilan einschätzen sollte. Doch er benahm sich ganz normal, soweit ich das beurteilen konnte. Also tat ich das auch. Black hatte ein paar Geschichten aus dem UBH erzählt und ich hatte meist zugehört oder ein zustimmendes Geräusch gemacht. Das hatte ihr genügt. Ilan stellte interessierte Fragen. Die beiden hatten eine angenehme Art miteinander zu sprechen. Ilan hatte mich nicht direkt angesprochen und ich fragte mich, ob das etwas mit diesem seltsamen Moment im Garten zu tun hatte. Die Schreckgeschichten der Betreuerinnen hatten sich, bisher, nicht bewahrheitet. Ich hoffte, dass das auch nicht mehr passierte. Doch seit ich hier auf der Matratze lag und Black schlief, wanderten meine Gedanken unwillkürlich immer wieder zu Ilan und, dass wir allein mit ihm hier im Haus waren. Morgen würden wir vor dem Abendessen wieder zurück sein. Sonst würde es Ärger und vor allem eine Besuchssperre geben. Bisher war mir Besuchssperren herzlich egal gewesen, doch jetzt war es anders. Für Black war es wichtig, ihren Bruder zu besuchen und ich musste zugeben, dass auch ich gern wieder herkommen würde. Ich drehte mich auf meiner Matratze um und versuchte meine Gedanken auszublenden, um einzuschlafen.

Die Einsamkeit der NamenlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt