Endlich war das Wochenende da.
Ich hatte meine Sachen am Vortag gepackt und wartete an der Tür auf Black. In meinem Korb tummelten sich Ableger von verschiedenen Kräutern, die es im Moment gut verkraften konnten etwas abzugeben. Verschiedene Sorten Minze, ein Trieb mit einem ordentlichen Stück von der unverwüstlichen Zitronenmelisse und auch einige Triebe Basilikum, die ich vorsichtig mit Wurzel ausgegraben hatte.
Außerdem hatte ich Ida zwei Kürbis- und eine Zucchinipflanze abgeschwatzt. Die wuchsen hier im Garten ohnehin uferlos und die drei Pflanzen waren übriggeblieben.
Black kam mit fliegenden schwarzen Haaren auf mich zu. „Noch mehr Pflanzen?", fragte sie mit hochgezogenen Brauen und ich war nicht sicher, wie ich ihre Reaktion deuten sollte.
„Ja. Das hatte ich Ilan versprochen."
Sie lächelte mich an und ich entspannte mich. Black hakte sich bei mir unter und wir gingen los. Ich sah sie von der Seite an.
„Ich dachte, dass wir dieses Mal etwas zusammen backen könnten", sagte ich und bemerkte, dass ich meine Aussage, wie eine Frage in der Luft hängen ließ.
Black lächelte mich freudig an. Ihr hübsches Gesicht wurde dadurch noch hübscher. Sie ergriff meine Hand und drückte sie.
„Oh ja! Sehr gern. Vielleicht einen Kuchen? Den können wir dann alle zusammen essen. Das wäre schön. Und auch noch ein Brot? Ilan liebt Brot und er könnte es dann in der Woche aufessen."
Ich nickte zustimmend und freute mich, dass sie meinen Vorschlag so gut aufnahm. Am letzten Wochenende hatte ich nicht so viel Zeit mit Black verbracht und wollte es wieder gut machen. Natürlich wollte ich auch wieder mit Ilan im Garten arbeiten, doch wir würden für beides Zeit haben. Black ließ meine Hand nicht los. Schon von Weitem sah ich das kleine Häuschen und beschleunigte meine Schritte unbewusst. In meinem Magen spürte ich ein leichtes Flattern und Ziehen.
„Langsam!", Black zog an meiner Hand und bei der Gelegenheit befreite ich sie, unter dem Vorwand mich zu kratzen, und wechselte dabei meinen Korb in die nun freigewordene Hand. „Ich kann nicht so schnell wie du. Meine Beine sind viel kürzer." Ich sah zu ihr herab und musste grinsen. Wenn wir nebeneinander liefen, war unser Größenunterschied sehr offensichtlich.
Sofort spürte ich eine Art Beschützerinstinkt, den ihre kleine Größe in mir auslöste, so wie bei den anderen kleineren Mädchen im UBH. Bei Ilan würde ich mich nicht wie ein Riese fühlen. Zu ihm musste ich aufsehen und konnte, ausnahmsweise, auch einmal die Kleine sein. Ich zügelte meine Schritte und passte sie Blacks an.
Ilan stand in der Tür, als wir kamen. Er hatte uns anscheinend schon gesehen. Black sprang ihm dieses Mal nicht so überschwänglich in die Arme, sondern ging etwas gemessener auf ihn zu. Er zog sie mit einem Arm an sich und drückte sie kurz brüderlich.
Ich stand etwas unsicher daneben. Als Ilan Black losließ, bekam ich dieselbe Umarmung. Das aufgeregte Flattern in meinem Magen wurde von einem unangenehmen, kalten Gefühl abgelöst.
Obwohl er mich umarmte und ich nicht gewusst hatte, wie ich auf eine Berührung von ihm reagieren würde, war diese brüderliche Umarmung nicht, was ich mir erhofft hatte. Wie von einer kalten Dusche waren meine flatternden, warmen Gefühle abgekühlt worden. Für ihn war ich wohl einfach nur die Freundin seiner kleinen Schwester.
Ilan hatte sich für meine Pflanzen bedankt und wir hatten besprochen sie später gemeinsam einzupflanzen. Doch zuerst würde ich mit Black backen. Wir stellten fest, dass wir beide gern backten, und beratschlagten zuerst, mit Blick in die Vorratskammer, welcher Kuchen und, welches Brot wir backen würden. Dabei stellten wir fest, dass wir so oder so in den Supermarkt gehen müssten. Glücklicherweise war dieser nicht weit von hier. Wir entschieden uns für ein einfaches Hefebrot, beschlossen aber Ruth nächste Woche, etwas von ihrem Sauerteigansatz abzuschwatzen, damit Ilan auch Sauerteigbrote backen könnte. Oder es eher Black oder sogar wir es für ihn tun könnten. Ilan war anscheinend kein großer Bäcker. Daneben einigten wir uns auf einen Obstkuchen und hofften, Erdbeeren zu bekommen und vielleicht auch Rhabarber. Mit einem Korb und etwas Geld bewaffnet, gingen wir in Richtung Supermarkt. Auf dem Weg dorthin bemerkte ich, dass ich vergessen hatte meine Haare zu öffnen. In der Öffentlichkeit tat ich das häufig. Es war wie ein Schutzwall vor den Blicken der Anderen, der Bestimmten. Uns wurde von den Betreuerinnen von klein auf eingetrichtert, dass wir in der Öffentlichkeit alles tun mussten, um nicht aufzufallen und keine Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Wir zogen trotzdem immer Aufmerksamkeit auf uns, wenn wir unterwegs waren. Ob wir es wollten oder nicht. Manchmal fragte ich mich, woran genau die Menschen festmachten, dass wir Unbestimmte waren. Ich vermutete, dass es unsere Kleider waren, die aus groben und ausgemusterten Stoffen bestanden. Unsere hässlichen Barcodes versteckten wir meist unter der Kleidung, wenn es möglich war. Daran konnte es nicht liegen. Jeder Bürger des Systems hatte einen solchen Code, aber alle außer den Namenlosen bekamen im Kindesalter die Möglichkeit diesen durch eine Lösung oder Salbe oder so etwas verschwinden zu lassen. Die Geräte erkannten den Code dann trotzdem, aber er war mit bloßem Auge nicht mehr zu sehen. Black und ich hatten uns eingehakt und gingen zügig in Richtung des Marktes. Der Supermarkt war in einem alten Gebäude, dessen Glastüren früher einmal automatisch aufgingen, doch mittlerweile morgens manuell geöffnet wurden. Die Grundzutaten hatte Ilan zuhause gehabt. Die bekam jeder Bürger des Systems im Austausch für spezielle Marken zugeteilt. Alles was über diese Grundzutaten hinausging, mit denen man ein bodenständiges Leben führen konnte, wie wir im UBH, musste selbst bezahlt werden .Als wir das Gebäude betraten, scannte Black seufzend ihren Code ein.
„Willkommen D-281", sagte das Gebäude.
Ich scannte meinen Code ein. „Willkommen G-769."Die Köpfe aller Anwesenden waren augenblicklich unfreundlich auf uns gerichtet. Unwillkürlich senkte ich den Kopf und verfluchte denjenigen, der die dämliche Idee gehabt hatte, dass öffentliche Gebäude die Betretenden begrüßte.
Da Ilan, im Gegensatz zu uns, Geld verdiente, hatte er uns, ohne weiter nachzufragen, etwas mitgegeben. Ich hielt so selten Geld in der Hand, dass es immer etwas besonderes für mich war. Wir gingen durch den Supermarkt und packten Erdbeeren und Rhabarber ein.
„Willkommen Karola", sagte das Gebäude, als eine rundliche Frau eintrat. An der Kasse legten wir unsere Waren auf das Band, das sich vermutlich früher einmal bewegt hatte und die Kassiererin scannte die Barcodes ein. Ich fragte mich, wie viel wohl Black und ich kosten würden, wenn wir eingescannt würden. Ich grinste bei dem Gedanken. Das hatte ich mich schon öfter gefragt, aber es war eine ungeklärte Frage, die mich zum Grinsen brachte. Die Kassiererin sah uns kritisch an, als sie uns den Preis nannte, den wir zahlten.
„Woher habt ihr das Geld?", wollte sie unfreundlich wissen.
Ich sah, wie sich Blacks Nasenflügel weiteten, doch sie lächelte neutral und sagte nur:„ Wir kaufen für meinen Bruder Ilan ein, der uns das Geld gegeben hat."
Die Kassiererin nickte mit gerunzelter Stirn. „Er soll das nächste Mal selbst kommen, wir wollen solche wie euch nicht hier haben."
Auch die Frau, die sich hinter uns anstellte, hielt viel Abstand von uns. Es war, als würden sie eine Krankheit befürchten.
Seufzend verließen wir den Supermarkt und gingen zügig zurück in den Schutz von Ilans Haus.
Black und ich blanchierten den Rhabarber kurz und machten aus dem Wasser eine Limonade. Währenddessen backten wir den Kuchenboden blind vor und belegten ihn danach mit Erdbeeren und Rhabarber.
Dabei bespritzte ich mein Kleid mit roten und rosa Sprenkeln. Das war unvermeidlich.
Gut, dass ich noch eines dabei hatte.
Der Hefeteig ging schon und als der Kuchen warm aus dem Ofen kam, rief Black Ilan herein.
Wir setzten uns gemeinsam an den Tisch und Ilan schnitt den Kuchen an und verteilte ihn.„Das riecht schonmal gut. Guten Appetit.", lobte er.
Nachdem wir unseren ersten Hunger gestillt hatten, blieben wir mit unserer lauwarmen Rhabarberlimonade zusammen sitzen und Black plauderte über verschiedene Dinge.
„Ich hoffe, wir werden Beide beim nächsten Benennungstag aufgerufen", sagte Black gerade.
Ich schnaubte nur ungläubig und spürte ein flaues Gefühl, das mir mein Gespräch mit Henrietta in Erinnerung rief. Ich setzte schon dazu an, Black von meiner drohenden Ausweisung zu erzählen, als ich den Mund wieder schloss. Es würde ja doch nichts ändern, außer, dass es zwei Personen mehr gab, die über mein Versagen Bescheid wüssten. Zwei Personen mehr, die mich daran erinnern konnten. Zwei Personen mehr, die ich in Gefahr brachte.
Also sagte ich nichts.
„Bestimmt werdet ihr bald aufgerufen", meinte Ilan optimistisch.
„Bei dir wird es ja auch Zeit.", sagte Black zu mir und schlug sich die Hände vor den Mund, als sie das bisher unausgesprochene Tabuthema, anriss.
Ich verzog das Gesicht. „Das ist wohl wahr", meinte ich trocken. „Ich warte wirklich schon lang genug."
Black lächelte mir erleichtert zu. „Hast du dir denn schon überlegt, was für einen Namen du dir geben willst, wenn du aufgerufen wirst?", fragte Black und wechselte damit das Thema zu einem anderen, das mir nicht viel lieber war.
Es war eines der wenigen Privilegien, die Namenlose besaßen. Wir wurden aufgerufen und uns wurde unsere Berufung mitgeteilt. Dann hatten wir selbst die Möglichkeit einen, zu dieser Berufung passenden, Namen zu wählen.
Ich ließ mir Zeit mit meiner Antwort, zuckte dann mit den Schultern und sagte: „Es kommt auf jeden Fall auf die Berufung an, aber es gibt auf jeden Fall Namen, die ich ausschließe."
„Zum Beispiel?", fragte Ilan.
„Erminlinda."
Black prustete los. „Oder Timothea", ergänzte sie.
„Adelheid", sagte ich.
„Eulalia", meinte Ilan.
„Der geht doch noch", fand Black, aber Ilan schüttelte den Kopf.
„Tusnelda würde ich für dich schön finden", sagte ich zu Black und dachte an mein weißes Lieblingshuhn. Sie nickte ernst.
„Für dich würde mir Adelgunde gut gefallen.", grinste sie mich an.
„Engelberta und Kreszentia würde ein gutes Team abgeben", fand Ilan.
Da mussten Black und ich beide lachen und auch Ilan stimmte ein. Wir fanden die schönsten Namen füreinander, von Klothilde über Radmilde bis zu Ferdinandine war alles dabei.
Mir tat schon der Bauch vor lauter Kichern weh, als Black versuchte die Kurve wieder zu ernsteren Bahnen zu lenken.
„Aber was sagt ihr denn in Wirklichkeit? Welchen Namen würdet ihr mir geben?", fragte sie.
Ilan und ich sahen sie lange und ernst an.
„Mir würde Jolie gut gefallen.", sagte Ilan. Ich nickte, denn das fand ich tatsächlich auch passend. Außerdem wusste ich, dass im Modesektor häufig französische Namen vorkamen. Viele hatten entweder mit Schönheit, mit Farben oder Stoffen zu tun.
„Oder Satin", sagte ich. Das war zwar ein außergewöhnlicher Name, aber er kam mir für Black passend vor.
Black lächelte uns an. „Die gefallen mir auch beide gut", meinte sie. „Meinen Favoriten verrate ich euch nicht. Das wird dann eine Überraschung, wenn es so weit ist."
„Und du, Red? Hast du dir schon einen Namen überlegt?", fragte Ilan und mir lief ein kleiner Schauer über den Rücken, als er mich direkt ansprach und meinen Spitznamen nutzte.
Ich sah zu Boden. Das letzte Mal hatte ich über Namen mit Grin gesprochen. Ich musste schlucken. Seither hatte ich nicht über meinen zukünftigen Namen nachgedacht. Ich weiß nicht, was ich getan hätte, wenn ich tatsächlich aufgerufen worden wäre. Denn ich hätte dann schließlich einen Namen angeben müssen. Ich versuchte, die noch immer dumpf schmerzenden Gedanken an Grin zu verdrängen und nur an die Namen zu denken, die wir uns überlegt hatten, doch das war nicht so einfach .Ich sah auf und zuckte die Schultern. Ich würde es, wie Black machen.
„Wie würdet ihr mich nennen?", fragte ich und die Geschwister musterten mich ernst aus ihren unglaublich grauen, nahezu identischen Augen und mir wurde etwas unwohl.
„Flora.", sagte Ilan mit seiner tiefen Stimme, die in meinem Körper nachschwang und sah mir dabei in die Augen, die mich einen langen Augenblick lang gefangen hielten. Mit dem Namen ordnete er mich eindeutig dem Natursektor zu und kurz verfiel ich in Träumereien, wie ich mit ihm Seite an Seite Gärten für reiche Leute gestaltete.
Ich schluckte und unterbrach den Blickkontakt.
„Ich finde, du wärest eine gute Rosalie., meinte Black. Der Name war mir etwas zu verspielt, doch ich verstand, was ihr daran gefiel. Auch sie sah mich im Natursektor.
Ich nickte ihr lächelnd zu. „Beides schöne Namen. Früher wollte ich mich einmal ... anders ... nennen, doch ich bin mir nicht mehr so sicher. Der Name ist mit ... schlechten Erinnerungen verbunden", sagte ich leise.
Ilan brummte etwas Unverständliches. Wieder dieser intensive Blick zu mir, doch ich sah dieses Mal schneller weg, denn das flatternde Gefühl in meiner Magengegend machte sich langsam selbstständig.
„Stimmt.", warf Black ein und ich sah zu ihr. „Die Namen gefallen mir gut. Du kannst sie ja behalten und es dir überlegen. Und wenn du aufgerufen wirst, nimmst du den Namen, der sich richtig anfühlt. So will ich es zumindest machen."
„Falls ich aufgerufen werde.", murmelte ich.
„Was?", fragte Black, doch ich schüttelte nur den Kopf. Ilan sah mich aufmerksam an und ich vermutete, dass er gehört hatte, was ich gesagt hatte.
Nachdem wir den Tisch abgeräumt hatten, ging ich mit Ilan in den Garten, weil wir die mitgebrachten Pflanzen einsetzen und weitere Beete freiräumen wollten. Es war noch einiges zu tun, doch der kleine Dschungel sah langsam nach einem richtigen Garten aus
.Als wir unsere Arbeitsutensilien aus dem Gartenschuppen holten, hielt mir Ilan mit verlegenem Blick einen Sonnenhut hin.
„Den ... habe ich ...", er räusperte sich. „Den habe ich gesehen und habe ihn dir mitgebracht. Du kannst ihn hier lassen, damit du einen Hut hast, wenn du hier arbeitest. Damit du keinen ... Sonnenbrand bekommst." Sein Blick glitt von meinem blassen, von Sommersprossen gesprenkelten Gesicht zu meinen gesprenkelten Armen und zurück in mein Gesicht.
Ich starrte den Hut mit großen Augen an.
Ich hatte noch nie in meinem Leben ein Geschenk bekommen.
Mein Herz wummerte laut in meiner Brust und schien sich einen Weg nach draußen bahnen zu wollen.
Der Sonnenhut war ebenso groß, wie der alte, kaputte es gewesen war. Doch der Neue war wesentlich schöner. Er war aus Bast oder etwas Ähnlichem geflochten und mit einem schlichten, jadegrünen Band verziert. Schlicht und wunderschön.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich reagieren sollte.
„Ich ... ähm ... ich ... weiß nicht ...", begann ich.
Er deutete mein Stottern und meinen, vermutlich grenzdebilen, Blick falsch. „Du musst ihn nicht nehmen. Wenn er dir nicht gefällt, bringe ich ihn ..."
Er wollte den Hut zurückziehen, doch ich griff danach und erwischte dabei auch eine seiner Hände, die sich unter meiner Hand warm, rau und stark anfühlte.
„Nein!", sagte ich und sammelte meine Gedanken. Ich sah auf den Hut, um nicht seinen hypnotisierenden Augen zu begegnen und einen kompletten Satz herauszubringen.
„Danke – vielen Dank. Ich möchte den Hut sehr gerne behalten." Ich atmete tief durch. „Ich habe nur noch nie ein Geschenk bekommen und weiß nicht, wie ich reagieren soll." Ich nahm ihm den Hut aus der Hand und setzte ihn auf.
Dabei sah ich in seine grauen Augen und, wie schon so oft zuvor, konnte ich meinen Blick nicht von ihnen lösen.
„Er steht dir gut. Das dachte ich mir", sagte er und lächelte.
Ich lächelte unsicher zurück und fragte mich, wie man angemessen auf sein erstes Geschenk reagierte.
Mein Herz pumpte immer noch laut in meiner Brust und in meinem Magen hatte sich wieder dieses warme, aufgeregte Flattern ausgebreitet.
Ohne noch weiter darüber nachzudenken und es mir möglicherweise anders zu überlegen, schloss ich mit einem Schritt die Lücke zwischen uns und stand direkt vor ihm.
Ich schlang die Arme um seinen Oberkörper und fragte mich plötzlich, ob ich ihn auch richtig umarmte.
Von einem auf den anderen Moment war ich unsicher, wie man Jemanden umarmte. Ich machte es bestimmt falsch.
Doch er hob seine Arme und schloss sie um mich. Wärme breitete sich von seinen Armen ausgehend in mir aus und ich spürte ein Prickeln, das durch meinen ganzen Körper wanderte. Wie lang sollte wohl eine Dankeschön-Umarmung für ein erstes Geschenk ausfallen? Doch als mich einer seiner Arme um meine Taille näher zu sich zog und ich meinen Kopf an seine Schulter legte, hörte ich auf nachzudenken. Es fühlte sich gut und richtig an. Ich fühlte mich sicher und beschützt, als wäre nichts anderes mehr wichtig, außer dieser Umarmung. Sein Atem strich über mein Haar. Mein neuer Sonnenhut musste heruntergefallen sein und warme Luft streifte mein Gesicht. Ich öffnete die Augen und sah direkt in seine. Er sah zu mir herab und ich konnte nicht deuten, was er denken mochte. Ich sah aber, dass sein Blick zu meinen Lippen hinabglitt und diese wurden mir plötzlich überdeutlich bewusst. Ich ließ den Blick ebenfalls zu seinen Lippen wandern und fand sie einladend in seinem braungebrannten, kantigem Gesicht zwischen seinen Bartstoppeln, über die ich zu gern einmal streichen würde. Vorzugsweise mit meinen Lippen. Ich sog überrascht die Luft ein. Woher kamen solche Gedanken? Ich hatte nicht gewusst, dass ich so etwas tun wollte. Kaum merklich bewegten sich unsere Köpfe aufeinander zu, als Schritte auf den Steinplatten vor der Hütte ertönten und wir erschrocken auseinanderfuhren. Black betrat die Hütte, die plötzlich unangenehm voll war und fand mich, mit rotem Kopf meinen, neuen, wunderschönen Sonnenhut aufhebend und Ilan irgendwelches Werkzeug in einen Eimer werfend, vor.Sie sah prüfend von Einem zum Anderen.
„Ich wollte nur sehen, wo ihr bleibt", meinte sie mit gerunzelter Stirn.
„Wir kommen", sagte Ilan. Seine Stimme war tief und rau und ließ mich noch tiefer erröten. „Wir haben nur eben ..."
„Schon klar. Ich bin dann draußen.", unterbrach Black ihn.
Ilan sah noch einmal zu mir. Ich stand unsicher in der Hütte, meinen Hut in der Hand. Dann folgte er seiner Schwester hinaus.
Ich atmete noch einmal tief durch und versuchte mit meinen kalten Händen meine heißen Wangen zu kühlen. Dann nahm ich meine Sachen mit und folgte den Geschwistern hinaus.
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Die Einsamkeit der Namenlosen
FantasyBei der Geburt eines Kindes gibt die Mutter diesem einen Namen. Im System hat die Mutter keinen Einfluss auf den Namen, doch sie weissagt damit das zukünftige Leben des Kindes. Kinder, deren Mütter bei der Geburt sterben, bleiben namenlos und wachse...