25. Die Lösung, um freie Zeit zu verbringen

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Ich atmete tief ein und klopfte leise aber bestimmt an die hölzerne Tür.Als keine Reaktion kam, hob ich gerade die Hand, um nochmals zu klopfen, als sich die Tür öffnete.Unit sah überrascht durch seine Brillengläser in mein, vermutlich erschrockenes Gesicht. Mit einer Geste forderte er mich auf einzutreten.Als ich vor seinem großen Schreibtisch saß und er mich erwartungsvoll ansah, verlor ich beinahe meinen Mut.Doch ich zwang mich ihn anzulächeln, und zwar so wie ich es vor dem Spiegel geübt hatte.Ich hatte versucht kokett und charmant auszusehen, war aber unsicher, ob mein Lächeln diese Wirkung hatte.Er beugte sich näher zu mir, die Ellenbogen auf das dunkle Holz gestützt. Überrascht über die direkte Reaktion auf mein Lächeln sah ich seinen Blick über meinen Körper gleiten.Ich sagte mir, dass das ein Kompliment war. Trotzdem musste ich einen Schauder unterdrücken.Bevor ich meinen Mut verlor, sagte ich:„Falls das Angebot noch besteht, würde ich gern mit dir ausgehen." Meine Stimme klang piepsig.In seinen Augen blitzte Freude und noch etwas auf. Triumph? Damit war es beschlossene Sache.Diesen Freitag würde mich Unit – mein Chef und möglicherweise zukünftiger Liebhaber – zuhause abholen und wir würden in eines dieser Restaurants gehen.Dort würden wir in einem großen Raum an einem Tisch sitzen und essen. Um uns herum würden fremde essende Leute sitzen. Wir würden bekocht und bedient werden und ich würde mich vermutlich fehl am Platze fühlen.In meinem wadenlangen – heute margeritenweißen – Kleid, das einen Ausschnitt hatte, der mich nervös machte, stand ich im Flur und wartete.Belle hatte das Kleid ausgesucht und sie hatte gesagt, dass ich in der Wohnung warten sollte, bis Unit klingelte.Selbst dann sollte ich noch ein paar Minuten warten, bevor ich herunterging. Sie sagte, dass ich sonst bedürftig und unbeholfen wirken würde.Als es klingelte, wartete ich kurz und hob dann den Hörer ab.Auf mein „Hallo?", antwortete Unit tiefe Stimme, dass er es sei. „Ich komme runter. Einen Moment bitte", zwitscherte ich, legte den Hörer auf und ging einmal durch alle Räume der Wohnung, um Belles geforderte Minuten zu vertrödeln.Im Schlafzimmer warf ich einen Blick in den großen Spiegel und musste zugeben, dass ich ganz gut aussah. Belle hatte mein Haar am Hinterkopf hochgesteckt und der Rest meiner roten Locken floß über meine linke Schulter und betonte so den tiefen Ausschnitt, der meine Brüste vorteilhaft in Szene setzte. Das Oberteil des Kleides betonte meine schmale Taille und floss dann in weiten Falten bis zu meinen Waden.Belle hatte das Kleid für mich bei geschneidert. Zunächst war ich darüber nicht begeistert gewesen, weil ich ein rüschiges Ungetüm erwartet hatte. Doch das Kleid war schlicht und effektvoll. Ich hätte mir zwar eine andere Farbe gewünscht, doch Belle fand, dass mir weiß schmeicheln würde und Unit das mögen würde.Ich hatte das Kleid bezahlen müssen und dafür hatte sich Belle mehrfach entschuldigt. Aber da sie es in ihrer Arbeitszeit in der Schneiderei für mich genäht hatte, musste es sein. Das konnte ich verstehen, trotzdem musste ich schlucken, als sie mir den Preis nannte. Nach der Bezahlung befand sich aber immer noch erschreckend viel Geld auf meinem Konto. Chip hatte mir erklärt, dass wir so gut bezahlt wurden, da wir zur Geheimhaltung verpflichtet waren.Genug Zeit vertrödelt. Mit zügigen Schritten verließ ich die Wohnung ins Ungewisse.Unit erwartete mich im Eingangsbereich, der das Klicken meiner Absätze laut widerhallen ließ. Sein Blick glitt bewundernd über meinen ganzen Körper. Ich fühlte mich dabei etwas unbehaglich, vor allem, als seine Augen einen Moment zu lang auf meinen Brüsten hängen blieben. Doch als er mir ins Gesicht sah und mich ehrlich anlächelte, fiel mir wieder auf, dass er dabei einen Mundwinkel höher als den anderen zog. Das ließ ihn attraktiv und sympathisch wirken.Er räusperte sich, schob seine Brille mit dem Mittelfinger seine Nase hoch.„Du siehst wunderschön aus."Ich unterdrückte das in mir aufsteigende, wenig damenhafte Schnauben, als ich den ernsthaften Blick sah, mit dem er mich ansah. Er meinte es so, wie er es sagte. Die unvermeidliche Hitze stieg in mir auf und an seinem erneuten Blick auf mein Dekolletee konnte ich verfolgen, dass die Röte von dort ausgehend mein Gesicht erreichte.Ein unsicheres „Danke" murmelnd, folgte ich ihm aus der gläsernen Haustür, die er mir aufhielt. So wie es die Männer in den Filmen machten.Etwa eine Stunde später saß ich vor einem kleinen Teller gegenüber von Unit an einem kleinen, edel gedeckten Tisch. Zwischen ihm und mir stand eine ‚gemischte Vorspeisenplatte'. Ich hatte mich nicht getraut zu fragen, was genau ich zu erwarten hatte. Der Begriff an sich war zwar selbsterklärend, aber ich hatte noch nie eine Vorspeise gegessen und bisher den Sinn auch nicht verstanden.Ich musste zugeben, dass ich den Sinn auch jetzt nicht verstand, aber vor uns auf einer Platte befanden sich verschiedene winzige Häppchen. So hatte ich die Möglichkeit verschiedenste kleine Kunstwerke zu probieren.Von den vielen Bestecken verunsichert, hatte ich gewartet, was Unit tat, um ihn nachzuahmen. Unglücklicherweise hatte er zuerst einige der kleinen Kunstwerke auf meinen Teller gelegt. Doch Unit schien meine Verunsicherung zu bemerken und wie schon bei der Bestellung half er mir so geschickt, dass er mich nicht bloßstellte. Trotzdem war ich nervös und zerknüllte die Stoffserviette, die auf meinem Schoß lag. Unit hatte sie mir dorthin gelegt, nachdem er mir meinen Stuhl vorgezogen hatte. Einen unangenehm langen Augenblick hatte ich nicht gewusst, was er von mir wollte. Doch auch das hatte ich überwunden.Ein Kellner kam an unseren Tisch. Er hatte eine teuer aussehende Flasche und zwei Gläser in seinen Händen, über einem der Arme ein weißes, glatt gebügeltes Tuch.Mit großer Geste präsentierte er die Flasche.„Ihr Favorit. Wie immer für sie gekühlt und zurückgelegt", sagte er zu Unit und zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Unit nickte ihm gönnerhaft zu und ignorierte ihn dann, während er kritisch beäugte, wie ihm in ein langstieliges, wunderschönes Glas eingeschenkt wurde. Er hob den winzigen Schluck in dem Glas hoch, begutachtete das Getränk gegen das Licht, nahm den Schluck, ließ ihn durch seinen Mund gleiten. Es dauerte eine Ewigkeit, die der Kellner geduldig neben uns abwartete. Dabei warf er mir ein ums andere Mal einen Blick zu.„Wie immer. Vorzüglich", stellte Unit fest. Vorzüglich. Ich hatte nicht gewusst, dass noch irgendjemand dieses Wort benutzte.Der Kellner schenkte daraufhin mehr ein und füllte auch mein Glas.Unit hob das Glas in meine Richtung und unsicher kopierte ich seine Bewegung.„Auf die schönste Frau in diesem Raum. Auf unseren ersten gemeinsamen Abend und hoffentlich viele weitere", sagte er feierlich und lächelte mich schief an.Mit roten Wangen beobachtete ich, wie Unit sein Glas sanft an meines stieß, was einen klaren, klingenden Ton verursachte.Dann trank er.Etwas beklommen probierte auch von der prickelnden, hellgoldenen Flüssigkeit. Es schmeckte frisch und hinterließ einen eher unangenehmen Geschmack auf meiner Zunge.Doch schon nach dem zweiten Schluck wurde es angenehmer und der dritte Schluck ließ mich angenehm leicht zurück.Meine Nervosität ließ langsam nach und ich lächelte Unit schüchtern an.Er betrachtete mich seinerseits sehr genau und lächelte zufrieden.„Dieser Sekt ist der beste und auch der einzige, den wir hier im System bekommen. Die meisten Weinberge wurden, nach der Schließung der Grenzen und teilweise auch schon davor in Nutzflächen für Lebensmittel umgewandelt, die wichtiger erschienen. Das war natürlich auch sinnvoll, da wir ohne Handel nach außen abhängig davon sind von unseren eigenen Ressourcen zu leben. Nur zwei Weingüter blieben übrig. Größtenteils bauen sie Weißweintrauben an. Meist Riesling – noch ein Glas?"Ich nickte und hielt ihm mein Glas hin. Seine Stimme hatte einen angenehmen Klang.„Ich nehme an, dass du keine Erfahrungen mit Alkohol hast, also trink nicht zu schnell", sagte er freundlich, bevor er seinen Vortrag weiter ausführte. „Eines der Güter stellt im Jahr wenige Flaschen Sekt her. Aus ihren besten Trauben natürlich. Hier, in diesem Restaurant, kaufen sie einige dieser Flaschen und für mich wird immer zumindest eine reserviert."Ich hatte mich am weiteren Abend an Units Rat gehalten und nicht mehr allzu viel von dem Sekt getrunken.Das war auch sinnvoll gewesen, denn selbst die zwei Gläser waren mir in den Kopf gestiegen.Ich vermutete, dass der Alkohol auch dafür zuständig gewesen war, dass ich Units Vorträge besonders interessant gefunden hatte.Jedenfalls war der weiter Abend eher ereignislos verlaufen.Er hatte mich nach dem Essen zu meiner Wohnungstür gebracht und mir einen keuschen Kuss auf die Wange gehaucht.Alles in allem war es ein netter Abend gewesen.Und ich hatte den ganzen Abend über keinen Gedanken an Ilan verschwendet.Mein Ziel hatte ich also erreicht.Ich seufzte laut auf und Chip öffnete den Mund und ich war sicher, dass er sich überwinden würde, um endlich zu fragen, was los war.Wir saßen im großen Büro, doch in diesem Moment ging die Eingangstür auf.In der Stille wirkte das Geräusch der sich öffnenden Tür rechts von mir, wie ein lauter, sehr unpassender Schrei in einer wichtigen Prüfung. Oder im Amt ... Ein älteres, gut gekleidetes, Ehepaar ging selbstbewusst auf Units Bürotür zu. Der Mann, der wie ein älteres Modell von Unit aussah und vermutlich sein Vater war, klopfte kurz, öffnete die Tür und die Beiden traten ein und schlossen die Tür hinter sich.„Waren das Units Eltern?", fragte ich Chip, dessen Mund immer noch leicht dümmlich offen stand. Schnell schloss er ihn.„Äh ... Ja. Seine Eltern. Die sind ziemlich reich. Eine von diesen wohlhabenden Familien, die aus der Abschottung vom System profi...", er verstummte erschrocken. Negativ über das System zu sprechen, war gefährlich. Sein Gegenüber hatte jederzeit die Möglichkeit das anzuzeigen. Bei Häufung solcher Anzeigen drohten Konsequenzen.„Schon in Ordnung", beruhigte ich ihn. „Ich sehe es wie du. Außerdem ist es doch nur die Wahrheit. Wer sowas anzeigt, hat selbst ein Pro..." Unser Gespräch wurde wieder unterbrochen.Units Tür öffnete sich nochmal. Unit stand im Türrahmen, sah sich suchend um und das Herz klopfte mir ganz plötzlich bis zum Hals. Ich schluckte. Sein Blick fand mich und er lächelte leicht.„Würdest du bitte kurz kommen?"Gehorsam stand ich auf und ging zu ihm, unsicher, was er von mir wollte.Er nahm meine Hand und zog mich in sein Büro. Seine Eltern saßen steif auf den zwei Besucherstühlen.„Das ist sie. Die Frau, von der ich eben erzählt habe. Die Frau, die ich liebe", sagte Unit. Ich spürte, wie mir der Mund aufklappte.„Ich ... ähm ...", stammelte ich.„Es ist noch ganz frisch und für sie ist alles sehr neu hier." Er zog mich an sich und drückte mich an seine Seite. Ich ließ es steif über mich ergehen.Hatte ich etwas verpasst?!Unit setzte sich auf seinen großen Stuhl und zog mich mit sich, sodass ich halb auf seinem Schoß saß. Ich versuchte, mich frei zu machen, doch er hielt mich eisern fest. Das Lächeln auf seinem Gesicht war wie festgeklebt.Er tat mir irgendwie leid. Er schien seinen Eltern unbedingt gefallen zu wollen.Units Mutter kräuselte die dünnen Lippen. Ihr blond gefärbtes Haar war in einem perfekten Knoten an ihrem Hinterkopf zusammengesteckt. Jede Strähne saß genau dort, wo sie sein sollte.„Das ist diese Namenlose? Dieses Genie, von dem du erzählt hast?" Sie musterte mich kritisch. „Die Stillosigkeit hat sie vermutlich aus dieser Anstalt mitgebracht, in der sie aufgewachsen ist. Wenn wir ihr das austreiben und sie sich anpasst, dann wird es schon gehen. Diese ..." Sie verzog das Gesicht, als würde sie etwas schlechtes riechen. „Unbestimmtheitssache kann auf den Dinnerpartys eine amüsante Geschichte abgeben."Ich war wie vor den Kopf gestoßen und sah sie nur dümmlich an.Diese Namenlose? Unbestimmtheitssache? Stillosigkeit?Units Vater nickte zustimmend.„Sie ist zumindest ganz hübsch. Ihr Haar ist besonders. Wenn sie nicht so bäuerlich ihre Haut in die Sonne streckt, werden auch ihre Sommersprossen verblassen und ganz bezaubernd aussehen. Nicht wahr?"Die Mutter musterte mich kritisch.„Die Figur ist gut. Möglicherweise ist sie etwas dünn. Aber das ist momentan gern gesehen. Die jungen Mädchen der Gesellschaft sind alle so dünn." Sie selbst war dürr wie ein Zweig. „Das Haar macht wirklich etwas her. Der Kontrast zu dem weißen Kleid ist ganz bezaubernd. Ich würde sie gern offen sehen." Sie betrachtete meine geflochtenen Zöpfe, dich ich um meinen Kopf geschlungen hatte, kritisch.Ich starrte die Beiden nur dümmlich an.Sie starrte auffordernd zurück.Erst als Unit mir an die Haare griff und offensichtlich meine Zöpfe öffnen wollte, erwachte ich aus meiner Erstarrung und schlug ihm unsanft auf die Finger.„Nun ja", sagte die Frau zu ihrem Sohn. „Auf der nächsten Veranstaltung kannst du sie mitbringen. Dann soll sie ihr Haar offentragen."Mit diesen Worten rauschte das Paar aus dem Büro und ich blieb vollkommen perplex zurück.Unit ging zu seinem Schreibtisch und sortierte irgendwelche Papiere.„Am Samstagabend ist ein Ball. Möchtest du mit mir hingehen?", fragte er seinen Tisch.Ich musste meinen offenstehenden Mund erstmal schließen und mein erster Impuls war nein zu sagen. Doch dann dachte ich an die freien Samstage und meinen Entschluss meine Zeit anders zu verbringen.Also sagte ich zu.Als ich Belle von der Einladung erzählte, hüpfte sie aufgeregt kreischend mehrere Minuten durch meine Küche.Sie ging nahezu sofort, um ein Kleid für mich zu nähen.Am Freitagabend tauchte sie dann mit besagtem Kleid auf und ich musste zugeben, dass es wunderschön war.Ihre Aufregung steckte mich an und ich musste ihr hoch und heilig versprechen ihr haarklein alles zu berichten, was ich dort erleben würde.

Die Einsamkeit der NamenlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt