33. Das Ende meiner Unentschlossenheit

9 2 0
                                    

Mein Entschluss stand fest. Ich würde zu Ilan gehen, und zwar jetzt. Ich musste einfach wissen, ob ...Ob es möglich wäre, dass ...Oh Mann. Hoffentlich würde mir klarer werden, was genau ich von ihm wollte, wenn ich ihn sah.Ich beschleunigte meine Schritte je näher ich meinem Ziel kam. Mein Schatten vor mir war langgezogen und es wurde zusehends dunkler. Ich war heute schon lange unterwegs. Als ich fast rannte und schon die Straße, in der sich Ilans Haus befand, sah, ging ich bewusst langsamer.Ich wollte nicht nach Luft schnappend bei ihm ankommen. Mein Herz klopfte immer noch schnell, auch als sich mein Atem normalisiert hatte. Das kleine, so vertraute Haus kam in Sicht und ich spürte Nervosität und Vorfreude in mir gegeneinander ankämpfen.Ich öffnete tief Atem holend das, immer noch quietschende Gartentor und ging über den kurzen abgegrenzten Weg zur Haustür. Vor der Tür stehend klopfte mein Herz bis zum Hals – so wie ich es in so vielen Romanen gelesen und doch nie richtig verstanden hatte. Ich strich nervös das locker fallende, aber meine Taille betonende Kleid zurecht.Dann, bevor ich den Mut verlor, klopfte ich energisch an.Im Haus tat sich nichts. Ich konnte keine Geräusche hören.Ich klopfte noch einmal lauter an. Nervös auf den Fußballen vor und zurück wippend, legte ich das Ohr an die Tür, um nach Geräuschen zu lauschen, doch ich hörte immer noch nichts.Also stellte ich mich auf die Zehenspitzen, um durch das Fenster über der Tür zu spähen. Was ich natürlich nicht konnte, denn selbst ich war nicht groß genug dafür. Vermutlich wäre auch Ilan nur knapp dazu in der Lage.Ich klopfte noch einmal.Vielleicht war er ja im Garten. Ich spähte um die Hausecke, traute mich aber nicht weiter vor. Ich sah das so bekannte und liebgewonnene Gestrüpp, das alles einrahmte und den Garten, in dem ich vor, gefühlten Ewigkeiten mit ihm gearbeitet hatte – Seite an Seite.In der abendlichen Dunkelheit konnte ich nicht mehr alles erkennen, aber genug.Er hatte die Beete und alles, was wir bearbeitet und gepflanzt hatten, genauso gelassen, wie es gewesen war.Alles was verwildert gewesen war, war es auch jetzt noch. Alles was wir gepflanzt hatten, war gewachsen und sah gepflegt aus. Unter anderem sah ich meine Tomatenpflanzen und lächelte unwillkürlich. Ich konnte aus der Entfernung zwar keine roten, reifen Tomaten erkennen, aber möglicherweise erkannte ich einige grüne.Wie sehr ich das Gärtnern vermisste! Was würde ich geben, um eine meiner gezüchteten Tomaten probieren zu können. Doch das würde wohl warten müssen. Etwas enttäuscht und gleichzeitig irgendwie erleichtert, machte ich mich auf den Weg zu meiner Wohnung.Morgen würde ich es noch einmal versuchen.Im Aufzug hoch in mein Stockwerk begann ich beim Blick in den, an den Rändern stumpf werdenden, Spiegel mein Haar zusammenzufassen und zu flechten.Beim ‚Pling' verließ ich weiter flechtend den Fahrstuhl und in dem Moment, in dem ich umgriff, um den Zopf vor meiner Schulter weiterflechten zu können, nahm ich aus dem Augenwinkel etwas wahr und erstarrte.Vor meiner Wohnungstür stand ein rustikaler Tontopf, aus dem kleine blaue Blüten rankten. Über und über war der Topf voll mit den schönsten kleinen Vergissmeinnicht. Ich lächelte. Neben dem Topf stand eine Schale mit roten Tomaten.Und neben den Tomaten stand er.Ilan.Seine breiten Schultern, die in ein typisches Karohemd gehüllt waren, lehnten an der Wand. Seine Hände steckten in den Hosentaschen seiner Jeans. Es war vermutlich eines seiner saubereren Exemplare, doch trotzdem konnte ich an den recht ausgewaschenen Knien Erdflecken entdecken.Der Blick aus seinen klaren grauen Augen bohrte sich in meinen. Ich war weiterhin zu keiner Bewegung fähig und spürte einen Schauer, der über meinen Rücken lief.Doch anders als ein paar Stunden zuvor als sich die nahezu gleichen grauen Augen in meine gebohrt hatten, war sein Blick nicht stechend und boshaft, sondern fragend.Entschuldigend.Freundlich.Meine Aufgeregtheit war mit einem Mal verschwunden.Ohne weiter darüber nachzudenken, überwand ich den Abstand zwischen uns.Ich legte den Kopf in den Nacken und presste meine Lippen auf seine.Und ganz plötzlich – einfach so – war die Welt eine andere.Seine Lippen waren warm und weich.Ich hatte keine Ahnung, wann ich meinen Zopf losgelassen hatte und wann ich meine Hände an seine Brust gepresst hatte.Nur für etwa eine Sekunde erstarrte er, bevor er einen seiner Arme um meine Taille schlang und die zweite Hand mit einem erstickten Geräusch, das an meinen Lippen vibrierte, in mein Haar vergrub. Mein ganzer Körper war von Gänsehaut überzogen und obwohl ich noch nie richtig geküsst hatte, fühlte es sich natürlich an.Seine Lippen bewegten sich sanft und zärtlich auf meinen und ich seufzte auf, während ich mich näher an ihn presste. Meine Haut fühlte sich warm an und dort, wo seine Hände meinen Körper berührten, glühte sie.Ich ließ meine Hände über seine Brust wandern, woraufhin er mich fester an sich zog.Seine Lippen wanderten von meinem Mundwinkel, über meine Wange zu meinem Ohr. Ich keuchte auf.„Red", murmelte er. Unkonzentriert wollte ich ihn korrigieren, doch seine Lippen wanderten zurück zu meinen und der Gedanke war vergessen. Als er mir sanft in die Unterlippe biss, wurde mir bewusst, dass er immer noch an der Flurwand lehnte. Ich an ihn gepresst. Also befreite ich, einen vagen Plan verfolgend, meinen Arm und wedelte blind mit dem nicht mehr sichtbaren Barcode auf dem Handgelenk in der groben Wohnungstürrichtung herum. Ein Klicken verriet, dass sie sich öffnete.Ilan protestierte, etwas an meinen Lippen murmelnd, als ich ihn an seinem Hemd mit mir zog. Rückwärts gehend stolperte ich mit ihm in den Wohnungsflur. Unsere Lippen hatten sich für keinen Moment voneinander gelöst.Undeutlich nahm ich wahr wie er mit dem Fuß die Vergissmeinnicht in ihrem Topf über die Türschwelle schob.Ich schlang meine beiden Arme um seinen Hals und ließ – endlich – meine Finger durch sein Haar fahren. Es war etwas länger, als es beim letzten Mal gewesen war. Es war weich und ...Als seine Zunge über meine Lippen strich, waren alle Gedanken wie ausgelöscht. Die Tür schloss sich mit einem Knall und ich öffnete meine Lippen für ihn.Zum ersten Mal war ich froh darüber, dass mein Bettzeug im Flur lag. Denn ohne weiter darüber nachzudenken, zog ich ihn in die weichen Kissen meines improvisierten Bettes. Ich umschlang ihn mit den Beinen, während er auf die Ellbogen gestützt den Großteil seines Gewichts abstützte. Trotzdem lag er schwer und angenehm auf mir und ich schmiegte mich näher an ihn, während seine Zunge meinen Mund erkundete.Ich zitterte genüsslich und entlockte ihm ein leises Stöhnen, als ich es ihm nachmachte und nun meinerseits seinen Mund mit meiner Zunge erkundete.Etwas später – die Zeit verging, ohne dass ich ein Gefühl dafür hatte, wie schnell oder wie langsam– lösten sich unsere Lippen nur für kurze Momente.Unser Atem ging keuchend.Ilan griff über mich auf die Kommode und zauberte eine rote Tomate hervor. Ich hatte keine Ahnung, wie er es geschafft hatte die Schüssel mit hereinzubringen. Als er mir die Tomate in den Mund schob und ich darauf biss, explodierte der Geschmack förmlich in mir. Süße, Säure, alles auf einmal.Dann presste ich mich wieder an ihn und meine Lippen auf seine.Mit geöffnetem Mund teilte ich den Geschmack mit ihm und etwas später explodierten wir gemeinsam.

Die Einsamkeit der NamenlosenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt